Neue Heimat:Wenn die Bedienung im Biergarten Mitleid bekommt

Biergarten in München

Das Zuprosten mit einem Masskrug ist wichtig, um im Biergarten Anschluss zu finden.

(Foto: Robert Haas)

Unser Kolumnist aus Syrien bestellte sich am Tisch unter den Kastanienbäumen eine Tasse Tee: welch großer Fehler.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Es war ein heißer Tag und ich auf der Suche nach einem kühlen Ort zum Durstlöschen. Also nahmen mich meine deutschen Freunde mit zu einem Biergarten. Ein Garten für Bier also. Auf der Fahrt versuchte ich mir vorzustellen, wie ein Biergarten aussieht. Überhaupt erstaunlich, dass Bier in Gärten sprudelt. Auch erstaunlich, was das Gehirn manchmal für behämmerte Gedanken hegt.

Wer zum ersten Mal einen Münchner Biergarten betritt, steht vor großen Herausforderungen. Die erste: einen Parkplatz finden - in München praktisch unmöglich. Viele Einheimische wissen das. Sie kommen deshalb mit dem Fahrrad, das lässt sich nach einer Mass Bier relativ gefahrlos heimlenken. Sagen sie. Es folgt die zweite Prüfung: Eine Frau in Verkleidung kam auf uns zu und teilte uns in schroffem Ton einen Tisch zu. Von dem, was sie sagte, verstand ich kein Wort. War sie im Stress? Sauer? Oder überhitzt? Meine Begleiter klärten mich auf. Es handelte sich schlichtweg um eine ganz normale bayerische Bedienung. In einem Biergarten muss das so sein.

Wir saßen nun an einem Holztisch unter Kastanienbäumen. Wären wir in einem syrischen Freiluft-Restaurant, würden die Leute die Blätter von den Bäumen pflücken und mitnehmen, um sie zu verarbeiten. Hier macht das keiner, wahrscheinlich würde man sich damit auch den Magen verderben. Außerdem sollen die Blätter Schatten spenden. Weil sich Bier und Sonne nicht so gut vertragen.

Dritte Herausforderung: der Verzehr. Wo ich herkomme, würden die Leute jetzt Reis mit Fleischstreifen essen, dazu Zwiebeln und gefüllte Blätter, Brot und Soßen. Eine Bestellung in syrischen Lokalen ist deshalb recht aufwendig. Im Biergarten nicht. Jeder bestellt eine Mass Bier, was anderes kommt nicht in Frage. Dazu eine Breze mit Obazdn. Oder Weißwürste. Die haben in München empfindliche Ohren: Man muss verhindern, dass sie das Zwölf-Uhr-Läuten hören.

Als ich nur einen Tee bestellte, sah mich die Bedienung mit einem besonderen Blick an. Eine Mischung aus Staunen, Mitleid und Belustigung. In Syrien gibt es für Menschen wie mich ein Sprichwort: Wie ein Glatzkopf unter den Trägern dichter Haare. Ich fühlte mich sehr einsam mit meinem Tee, unter den sich lustig zuprostenden Gästen. Also bestellte ich einen Masskrug mit Spezi. So konnte ich beim Prosten mitmachen, was wichtig ist, um im Biergarten Anschluss zu finden. Um mitreden zu können, wenn über Politik diskutiert wird, über den Chef im Landtag, über die Befürchtung, dass das Wetter so heiß bleibt - und die Sorge, dass der AfD die Hitze zu Kopf steigt.

Anfangs sprach ich sehr leise über diese Themen. So wie in Rakka, wo ich mich abends mit Freunden in einem Café zum Teetrinken traf. Wir mussten vorsichtig sein mit unseren Gesprächen, jeder Tisch hatte Ohren, viele Kellner waren vom Geheimdienst. Also unterhielten wir uns in verschlüsselter Sprache. Am Ende bezahlten wir und suchten schnell das Weite. In München dauert das Bezahlen manchmal etwas länger. Dafür haben die Tische keine Ohren, nur die Weißwürste.

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Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Mohamad Alkhalaf, 32, stammt aus Syrien. Bis 2015 arbeitete er für mehrere regionale Zeitungen, ehe er vor der Terrormiliz IS floh. Seit der Anerkennung seines Asylantrags lebt er in Kirchseeon.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Alkhalaf für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite.

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