Neue Heimat:Mit Kerzen kann man nicht nur den Teufel austreiben

Traditionelles Matthiae-Mahl

Kerzen illuminieren so manchen gedeckten Tisch.

(Foto: dpa)

Das Verhältnis unseres Autoren zu Kerzen ist ambivalent. Denn in seiner Heimat Nigeria haben sie nichts mit Romantik zu tun, sondern sind ein reines Werkzeug der Gläubigen.

Kolumne von Olaleye Akintola

Die Münchner zelebrieren ihren Feierabend wie ein Ritual. Sie treffen sich gerne zum Rendezvous, und wenn die Sonne untergeht, ist der Marienplatz mit Menschen gefüllt. Durch die Fenster der Stadt sieht man Leute um kerzenerleuchtete Tische sitzen, zu zweit oder in größeren Gruppen. Die Flammen der Kerzen brennen langsam herunter und erzeugen künstliche Schatten, die sich im Raum bewegen, während sich die Gesichter der Speisenden in Biergläsern mit Goldrändern spiegeln. Ihre Köpfe sind leicht nach vorne gebeugt, als würden sie leise beten oder Geister beschwören. Dann trifft Besteck auf Porzellan, die Gespräche werden von einem Klirren durchbrochen.

Dieser Ton beruhigte mein klopfendes Herz. Es handelte sich neulich abends also lediglich um ein Abendessen. Kein religiöses Ritual, wie man es in einem Hindu- oder Maharaja-Tempel erwarten würde. Nur ein weiteres ungeöffnetes Kapitel des Alltags in meinem neuen Daheim in München: das Candle-Light-Dinner. Ich fragte mich, wozu man so etwas braucht, wo hier doch jedes Haus Elektrizität hat.

Vielleicht handelt es sich um eine Vorsichtsmaßnahme. Die Kerze wird am Tisch entzündet, falls der Strom ausfällt. Damit man sein Gegenüber in der Dunkelheit nicht versehentlich mit der Gabel aufspießt. Oder man will mit der Flamme Moskitos und lästiges Getier vertreiben. Das wäre ein guter Grund für Kerzenlicht. Nur gibt es im Münchner März keine Mücken. Und auch sonst hat man hier wenig angriffslustige Besucher zu fürchten. Was auch immer der Grund für all die Kerzen ist, es muss ein anderer sein.

Man mag mich vielleicht als naiv bezeichnen. Es ändert aber nichts daran, dass mir diese Frage in meiner Anfangszeit in München nicht aus dem Kopf gehen wollte: Was zum Teufel hat eine Kerze auf einem Esstisch verloren?

Wo ich herkomme, werden Kerzen zu ganz anderen Zwecken verwendet. Sie sind ein reines Werkzeug der Gläubigen. In Nigeria werden sie verwendet, um Dämonen auszutreiben, um Menschen spirituell zu reinigen. Wer oft mit einer Kerze gesehen wird, dem wird nachgesagt, dass er eine tiefe Spiritualität in sich trägt. So jemand strahlt meist ein Signal von Frömmigkeit aus, das aber oft auch scheinheilig daherkommt. Ein großer Förderer des afrikanischen Kerzenhandels ist etwa die in Nigeria weit verbreitete "Himmlische Kirche Christi". Weil die Kirche für ihre Verehrungszeremonien einen so hohen Verbrauch hat, sind die Kerzenpreise kräftig angestiegen.

Wahrscheinlich ist mein Verhältnis zu Kerzen deshalb leicht ambivalent. Und vielleicht hat ja die Mahlzeit-Dekoration der Münchner auch etwas Spirituelles. Mit den Blumen, den kunstvoll gefalteten Servietten und den Flammen, die den Esstischen geistlichen Schein verleihen. Ein Sprichwort sagt, dass Extravaganz tötet und heilt. Was auch immer einem die Kerzenschale neben dem Weinglas geben mag: Man genieße beides, solange noch was drin ist.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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