Neue Heimat:Bayerische Musik ruft nicht zu schlimmen Taten auf

Standkonzert auf dem Münchner Oktoberfest, 2015

Die Wiesn-Kapellen beim Standkonzert zu Füßen der Bavaria.

(Foto: Robert Haas)

Manche Instrumente aus der bayerischen Volksmusik erinnern unseren Kolumnisten aus Afghanistan an Klänge aus seiner Heimat. Nur das Jodeln hat dort eine ganz andere Bewandtnis.

Kolumne von Nasrullah Noori

Meine erste Begegnung mit bayerischer Blasmusik hatte ich auf der Auer Dult. Es war schon sehr interessant, das seltsame Verhalten der Bierzeltbesucher zu beobachten. Sie verstanden die Musik offenbar besser als ich, denn wie auf Kommando stiegen sie immer wieder auf die Bänke, um zu tanzen. Manchmal zerbricht eine Bank dann unter dem Gewicht der Tänzer, vielleicht stiegen manche deshalb auf die etwas stabileren Tische. Daran stören sich dann wiederum Männer in schwarzen Jacken.

Gar nicht so einfach, den richtigen Umgang mit bayerischer Musik hinzubekommen. Praktisch ist, dass man sie auch ohne elektrische Verstärkung sehr laut hört - was wiederum unvorteilhaft ist, wenn einem diese Art des Musizierens Schmerz in den Ohren bereitet. Ich fand es nicht schlimm, als die Musik im Festzelt wieder aufhörte. Den anderen Leuten machte das scheinbar auch nichts aus, sie setzten sich wieder hin, stießen mit ihren Masskrügen an und stillten ihren großen Durst. Und dann ging es schon wieder in die nächste Runde mit Musik und Tanz.

Es dauerte etwas, ehe ich erkannte, dass bayerische Volksmusik nicht zwingend laut sein muss. In der Vorweihnachtszeit sah ich im Fernsehen eine Sendung über Stubenmusi. Solche Sendungen gibt es auch in Afghanistan, besonders vor den hohen Feiertagen: Musiker werden in Shows eingeladen, um dort vor Live-Publikum im TV-Studio aufzutreten. Es wird viel gescherzt und gelacht, und manchmal ist es sogar lustig.

Wahrscheinlich kommen mir manche Instrumente aus der Stubenmusi deshalb bekannt vor. Auch in Afghanistan gibt es etwa das Akkordeon - in Bayern sagen sie dazu gerne Quetschn. Das Wort "Zither" klingt wie das persische "Sitar", die Bezeichnung für eine persische Langhalslaute. Auch sie wird gezupft, erinnert optisch an eine Gitarre. Die afghanische Musik-Palette ist also gar nicht mal so weit entfernt von der bayerischen - selbst das Jodeln hat eine afghanische Entsprechung. Afghanische Schäfer müssen sich manchmal über große Distanzen hinweg verständigen, und dazu verwenden sie hohe Töne, die an das alpenländische Jodeln erinnern.

Mit afghanischen Jodlern hatte ich als Jugendlicher eine recht unangenehme Begegnung. Ich war mit meinen Freunden einige Kilometer von Kundus entfernt beim Fußballspielen. Als wir eine Pause machten, sagte einer von ihnen: "Hier in der Nähe gibt es guten Joghurt zu kaufen." Wir alle zusammen, ungefähr zehn junge Männer, gingen zu dem Haus, wo sie den Joghurt verkauften. Die Männer der Familie waren aber nicht zu Hause, sondern beim Schafe hüten.

Aus der Ferne sahen sie, wie wir uns ihrem Haus näherten, und dachten wohl, dass wir vorhatten, ihre Frauen zu überfallen. Mit Hilfe von Jodeln verständigten sie ihre Kollegen vom Nachbarhaus - und auf einmal kam eine große Gruppe wütender Männer mit schweren Holzstöcken auf uns zugerannt. Noch bevor wir unsere Gelüste nach Joghurt erklären konnten, hatte man uns eine übergezogen. Schließlich gelang es uns, das Missverständnis aufzuklären, Joghurt bekamen wir keinen mehr, dafür ist mir ihr Gejodel noch heute in den Ohren ...

Bayerische Musik ist meistens weniger gewalttätig. Egal, ob man den Defiliermarsch hört oder die Biermösl Blosn, ob jemand die Tuba spielt oder auf dem Hackbrett klöppelt, die Lieder wirken nicht so, wie wenn sie einen zu schlimmen Taten aufrufen. Ob die bayerischen Volkslieder tatsächlich von der Liebe handeln, kann ich schwer sagen. Der bairische Dialekt ist für mich noch immer wie eine Fremdsprache. Auch wäre es schön, wenn mir einmal ein Bayer genauer erklären könnte, was es mit dem Jodeln hier auf sich hat.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München

Der Autor: Nasrullah Noori, 27, stammt aus Kundus in Nordafghanistan. Er arbeitete dort als Journalist fürs Fernsehen, unter anderem für den staatlichen Sender RTA. Wegen seiner Berichte über Mädchenschulen erhielt er von der Taliban-Miliz Morddrohungen und musste fliehen. Seit 2014 lebt er mit seiner Familie in München.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Noori für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

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