Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge in München:Abenteuer auf dem Rücken des Schlittens

Rodeln, das kann ja nicht so schwierig sein, denkt unser Neue-Heimat-Kolumnist aus Syrien. Doch das hölzerne Mini-Pferd ist störrischer als gedacht.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Schlitten fahren ist ein Kinderspiel - das sagten mir meine deutschen Freunde, als wir zum ersten Mal in die verschneiten Berge fuhren. Ich hatte keine Ahnung, was da auf mich zukommen würde und war sehr optimistisch, denn hierzulande sind schon die ganz Kleinen mit diesem winterlichen Gefährt unterwegs. So viel anders wie Reiten kann es nicht sein - da hatte ich in Syrien während meines Studiums schon Erfahrungen gesammelt, als ich bei einer Serienfilmproduktion mit Pferden zu tun hatte.

Oben am Berg setzte ich mich auf mein hölzernes Pferd - so wie es mir meine Freunde zeigten. "Jalla jalla", schnell schnell, damit setzte ich in Syrien mein Pferd in Bewegung. Aber der bayrische Schlitten hörte nicht auf mich. Ich musste anschieben und eh ich mich versah, entwickelte mein Schlitten ein gewaltiges Tempo. Ich wollte nach rechts und teilte das auch mit - aber mit Worten war hier nichts auszurichten. Mein syrischer Freund landete gleich zu Anfang in einem Schneehaufen.

Lachende Kinder überholten uns links und rechts und fuhren in eleganten Kurven zu Tal. Es war für mich ein Rätsel, wie sie ihre Schlitten so unter Kontrolle bekamen. Ich erinnerte mich an Syrien und wie ich auf einer Plastiktüte die Berge hinunter gerutscht war - ohne Schnee. Meine Mutter musste nicht nur einmal meine Blessuren verarzten.

Mein zweiter Versuch, eine Kurve zu nehmen, endete mit einer rasanten Fahrt zwischen die Bäume am Rande der Bahn. Meine Mütze flog in hohem Bogen davon und ich weiß nicht, wie viel Schnee ich gegessen habe ... Aber eines hatte ich jetzt verstanden: Irgendwie hing die Bewegung des Schlittens mit meiner Bewegung zusammen, und die Füße spielten eine große Rolle.

Ein todesmutiger junger Mann stürzte sich auf dem Bauch auf dem Schlitten liegend ins Verderben - dachte ich. Aber er meisterte die Kurven mit rasantem Tempo und ohne Unfall. Ich war so froh, als ich endlich mit einigermaßen heilen Knochen im Tal war. Nach dieser Fahrt war es dringend nötig, in einer Bergwirtschaft einzukehren und eine Pause einzulegen. Ich saß zum ersten Mal unter ausgestopften Vögeln und den Geweihen von Waldtieren in einer hölzernen Stube. Und jetzt ließ ich mir genau erklären, welche Technik für das Schlittenfahren nötig war.

Ein großer Schatz in der Stille der Nacht

Das zweite Mal ging ich überlegter an: Ich hatte verstanden, dass ich das Gewicht verlagern musste, dass meine Füße zum Lenken des Schlittens da waren. Endlich schaffte ich es die Rodelbahn mit für mich beeindruckendem Tempo und mit meisterlichen Kurven zu bewältigen. Es machte mir sehr viel Spaß, dieses wilde Spiel im Schnee zu spielen. Und ich erinnerte mich daran, wie ich im Libanon in einem großen Flüchtlingslager mit syrischen Kindern "Schlittschuh" gelaufen war. Sie hatten alle keine Schuhe - ihre Schlittschuhe bastelten sie aus halbierten Plastikflaschen, die sie mit Bändern um die Füße banden. Auch mit ihnen hatte ich eine unbekümmerte und fröhliche Zeit.

Mein nächster Ausflug mit dem Schlitten zeigte mir die Berge von einer ganz anderen Seite: Nachts unter dem glitzernden Sternenhimmel fuhren wir mit unseren Schlitten ins Tal. Eine große Stille breitete sich über die Berge, und voller Staunen erlebte ich diese wunderschöne romantische Stimmung. Es war lange her, dass ich die Natur wieder von dieser Seite erleben konnte. In Syrien habe ich abends in meiner Heimatstadt ganz andere Lichter gesehen: die Bomben, die auf die Stadt fielen und uns allen Angst machten. Ich war unendlich dankbar die Schönheit der Natur ganz ohne Furcht bewundern zu dürfen - das ist ein großer Schatz, den mancher vielleicht vergessen hat.

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Quelle:
SZ vom 24.02.2017/vewo
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