Neue Heimat:Verzweifeln auf Rezept

Lesezeit: 2 min

Unsere Kolumnistin war es aus ihrer Heimat gewohnt, Medizin zu bekommen, ohne vorher den Arzt zu fragen. In München funktioniert das allerdings nicht.

Kolumne von Lillian Ikulumet

Ich war neu in München, hatte aber mein altes Problem aus Uganda: eine Schilddrüsenüberfunktion - und keine Medikamente mehr. Ich ging also in die Apotheke und erklärte der Frau hinterm Tresen, dass ich eine spezielle Medizin benötige. Der Einfachheit halber zeigte ich ihr die leere Schachtel. Doch einfacher wurde es dadurch nicht. Zu meiner Überraschung bat mich die Frau, ein Rezept vom Arzt zu holen. Rezept? Dieses Wort war mir unbekannt.

Ich dachte, sie mache Witze. Ich habe sogleich eine andere Apotheke ausprobiert und noch eine dritte, aber die Antwort war immer die gleiche: nicht ohne Rezept. Und das trotz meiner erkennbaren Symptome: Die Augen geweitet, der Hals geschwollen. Es half alles nichts. Keine Chance, die Apotheken-Mitarbeiter davon zu überzeugen, mir das Medikament zu verkaufen. Ich brauchte also ein Rezept.

Neue Heimat
:Verreisen? Nicht ohne meine Papiere!

Die deutsche Bürokratie ist manchmal unnachgiebig. Das musste auch unsere Kolumnistin feststellen, als sie mit ihrer kleinen Tochter nach London wollte.

Kolumne von Lillian Ikulumet

Der Münchner geht zu diesem Zweck zu seinem Hausarzt. Ich erzählte ihm erst gar nicht von meiner Erkrankung, sondern verlangte schlicht das Rezept für mein Schilddrüsenarzneimittel. Doch auch ihn überzeugte die Schachtel nicht restlos. Er bestand darauf, mehrere Tests zu machen - und schickte mich schließlich zu einem Spezialisten. Es wurde immer komplizierter. In diesem Moment hätte ich diese Stadt wirklich verfluchen können.

In Uganda bekommt man Medikamente so einfach wie einen Sack Getreide. Ein Rezept haben dort die wenigsten schon mal in der Hand gehalten. Alleine schon, um teure Arztbesuche zu vermeiden. Praktischerweise sind viele Apotheken geschäftstüchtig orientiert: Solange man den Apothekern Symptome zeigen kann, bekommt man auch das gewünschte Präparat. Man geht dann mit seinem Problem immer wieder zum selben Apotheker und fragt nach dem bekannten Medikament. Wunderbar unbürokratisch.

In München musste ich nun auf einen Termin beim Spezialisten warten. Es dauerte vier Wochen, ehe ich meine Medizin verschrieben bekam. Auf die Warterei hätte ich gerne verzichtet, der Lohn war aber nun, dass ich punktgenauen Angaben erhielt, wann ich wie viele Milligramm zu mir neben sollte. Ich bekam erstmals zu spüren, wie eng die Regeln hier gefasst sind, und wie ernst Apotheker und Ärzte sie nehmen. Keine Chance, in einer deutschen Apotheke ein verschreibungspflichtiges Medikament ohne gültiges Rezept zu bekommen.

Natürlich gibt es nicht nur Nachteile, im Gegenteil. Viele Medikamente wie etwa Antibiotika oder die Anti-Baby-Pille können ihre Wirkung bekanntermaßen massiv verfehlen, wenn man sie ohne ärztlichen Rat einsetzt. Und wer Schmerzmittel wie ein Hausmittel einsetzt, den kann eine Überdosis Kopf und Kragen kosten - also im übertragenen Sinne. So sehr ich mich manchmal immer noch zusammenreißen muss, wenn ich wieder im Wartezimmer Platz nehme, hat dieses System auch sein Gutes. Seit ich die ärztlich empfohlene Dosierung für meine Schilddrüse einhalte, bin ich das Problem mit der Überfunktion los.

© SZ vom 02.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: