Neue Gesprächsreihe:Wer kann sich München leisten?

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Im Gespräch vor ungewöhnlicher Kulisse: Sozialreferentin Dorothee Schiwy und Günther Bauer. (Foto: Robert Haas)

Im Sozialkaufhaus diskutieren Politik und Wohlfahrtsverbände über Mieten und Armut

Von Anna Hoben

Es ist eine ungewöhnliche Szenerie für eine Podiumsdiskussion: Das Publikum im Sozialkaufhaus Diakonia in Moosach sitzt auf Sofas, die hier normalerweise zum Verkauf angeboten werden - zu Preisen, die sich Menschen leisten können, die wenig Geld zur Verfügung haben. Die Redner haben sich auf einem Podest zwischen den Bereichen "Wohnen" und "Schrank" platziert. Es sei die "bequemste, gemütlichste Podiumsdiskussion, die sie je erlebt habe", findet die Moderatorin Özlem Sarikaya, und eine Besucherin tuschelt: "Mal sehen, wer einschläft heute Abend."

Dabei ist das Thema weder gemütlich noch zum Einschlafen, und die Diskussion wird schon bald für die Gäste geöffnet. Es geht um die Frage, wie Normal- und Geringverdiener künftig noch in München leben können, der Stadt mit den höchsten Mieten in Deutschland. Das Gespräch ist Teil der neuen Veranstaltungsreihe "Sozial und fair", mit der sich die öffentliche und freie Wohlfahrtspflege künftig im halbjährlichen Rhythmus zu drängenden sozialen Themen zu Wort melden will. Vieles wird an diesem Abend gestreift: von der Geschichte der Wohnungsnot, die in München schon mindestens seit der Nachkriegszeit existiert, über das starke Wachstum der Stadt und die Verdreifachung der Wohnungslosenzahl in den vergangenen zehn Jahren hin zu städteplanerischen Themen wie der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM), mit der neue Wohngebiete entstehen sollen. Auch die Hochhausdebatte und die Anwohnerproteste, die zur verlässlichen Begleiterscheinung fast jedes Bauprojekts geworden sind, kommen zur Sprache.

"Wohnungslosigkeit ist in Deutschland die extremste Form von Armut", sagt Isabel Schmidhuber, die das Frauenobdach Karla 51 leitet. Eine Armut, von der besonders alleinerziehende Frauen betroffen sind und die in München wächst, was sich auch auf Schmidhubers Arbeit auswirkt. Früher habe man in der Karla 51 fünf oder sechs Kinder pro Jahr aufgenommen, mittlerweile seien es 30 bis 40. Insgesamt gab es 2300 Anfragen im Jahr 2018; nur 200 Frauen konnte die Einrichtung einen Platz anbieten. Immer wieder müssten Frauen nach der Beratung weggeschickt werden, ohne dass man ihnen helfen könne. "Das ist schwer auszuhalten."

Günther Bauer, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege München, weist darauf hin, dass sich längst nicht mehr nur Geringverdiener die Stadt nicht mehr leisten könnten, sondern auch "die Fachkräfte, die München am Laufen halten". Sobald er von einer freien Wohnung erfahre, versuche er deshalb, "die Hand draufzulegen" und sie an einen Klienten oder eine Mitarbeiterin zu vermitteln. Indes seien die Ansprüche in den vergangenen Jahrzehnten auch gewachsen: 45 Quadratmeter haben die Deutschen durchschnittlich pro Kopf zur Verfügung. Könnte er zaubern, so Bauer, würde er dafür sorgen, dass die ersten 25 Quadratmeter einer jeden Wohnung günstig wären und die Miete mit zunehmender Wohnfläche pro Kopf steigen würde. Der Staat müsse der Spekulation mit Boden Einhalt gebieten. Auch die Sozialreferentin Dorothee Schiwy wiederholt ihre Forderungen an die Bundespolitik, vor allem die nach einem Verfahren, mit dem der Mietspiegel die tatsächliche Durchschnittsmiete abbilden würde. Irgendwie müsse man den Zuzug nach München erschweren, schlägt am Ende ein Mann aus dem Publikum vor - und damit ländliche Regionen stärken. Allerdings, so entgegnet Günther Bauer: "Wer möchte denn, dass München unattraktiv wird?"

© SZ vom 23.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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