Süddeutsche Zeitung

Neue Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentat:"Gutmensch" unter Rechtsanwälten

Sie taten ihn als Spinner, Querulant oder Verschwörungstheoretiker ab - doch der Münchner Opferanwalt Werner Dietrich gab nie auf: Der Oktoberfestanschlag und seine Hintergründe sind für ihn zum Lebensthema geworden.

Von Annette Ramelsberger

Es gibt sicher Menschen, die würden den Münchner Rechtsanwalt Werner Dietrich mit dem abfällig gebrauchten Wort "Gutmensch" belegen. Es beschreibt einerseits, dass man an einem Mann wie ihm nichts wirklich Kritisierenswertes findet. Andererseits sagt es, dass er einem aber mit dieser gußeisernen Rechtschaffenheit leicht auf die Nerven gehen kann.

Auf die Nerven geht Dietrich, 68, seit Jahren vielen Menschen: In erster Linie den früheren Ermittlern zum Oktoberfestanschlag, dann ganzen Generationen von Bundesanwälten, zuletzt dem Bundesnachrichtendienst und dem Verfassungsschutz, dessen Akten zum größten Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte er unermüdlich immer wieder anforderte. Bis er sie am Ende im Frühjahr 2014 bekam, freilich gefleddert und geschwärzt.

Einfach war es für Dietrich nie, seiner Überzeugung zu folgen, wonach die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat am 26. September 1980 zu früh eingestellt wurden und nach den Hintermännern des rechtsradikalen Attentäters Gundolf Köhler nicht ernsthaft genug gesucht worden war. Dietrich wurde zunächst abgetan, wahlweise als Spinner oder Querulant oder als Verschwörungstheoretiker, der mehr sah als es zu sehen gab.

Dietrich fand in Ulrich Chaussy einen Mitstreiter

Doch Dietrich hatte ja all die Opfer und viele Zeugen in seiner Kanzlei, die erzählten, was sie gesehen hatten: Wie der angebliche Einzeltäter Köhler in den Minuten vor der Tat mit zwei Männern intensiv geredet hatte. Wie er schon am Tag zuvor mit seinem Wagen in München gesehen worden war, in Begleitung mehrerer Männer. Wie ein anderer Mann schrie: "Ich wollt's nicht, bringt's mich um." All diese Zeugen gab es, doch ihre Hinweise, so beteuert die Bundesanwaltschaft, führten ins Nichts.

Damals wurde auch gegen die rechtsradikale Wehrsportgruppe Hoffmann ermittelt, einen paramilitärischen Verband, der in den Wäldern Frankens den Guerillakampf übte. Der Attentäter Gundolf Köhler war mindestens zweimal dabei.

Dietrich stellte alle diese Fragen, er deckte Widersprüche auf, er wühlte sich durch die Akten. Und er fand in dem Journalisten Ulrich Chaussy einen Mitstreiter, der all die Zweifel weiterverfolgte, über Jahre hinweg. Die beiden schafften es, dass das Thema nie wirklich einschlief. Dietrich, gebürtiger Hamburger, ist nicht einer dieser Star-Anwälte, die sich neben lukrativen Mandaten ihr kleines Hobby gönnen. Er nennt sich einen linken Anwalt, teilte sich 18 Jahre lang mit dem späteren Grünen-Bundestagsabgeordneten Jerzy Montag die Kanzlei, und ist vielfältig sozial engagiert.

Finanzielle Belastung durch Ermittlungen

Der Oktoberfestanschlag und seine Hintergründe sind für ihn zum Lebensthema geworden. Er opfert den Recherchen eine Menge Geld und Zeit, von seinen Mandanten, die durch den Anschlag schwer getroffen wurden, erhält er wenig. Allein das Kopieren der Stasi-Unterlagen zum Anschlag oder der Ermittlungsakten der Bundesanwaltschaft kostete Tausende Euro.

In dem Film "Der blinde Fleck" wurde ihm und seinem Mitstreiter Chaussy vergangenes Jahr ein Denkmal gesetzt. Benno Fürmann spielt darin den Reporter Chaussy, Jörg Hartmann, der hypernervöse Tatort-Kommissar Faber, spielt Anwalt Dietrich. Hypernervös ist Dietrich nicht, aber getrieben von seiner Mission.

Fast kann er nicht glauben, dass er nun wirklich mit seinem Wiederaufnahmeantrag durchgedrungen ist, dem dritten, den er in all den Jahren gestellt hatte. Wer weiß, wie viel Arbeit so ein Antrag macht, der weiß auch, mit welcher Leidenschaft Dietrich diese Wiederaufnahme verfolgt. Es ist diese nie vergehende Leidenschaft, mit der er Widerstände und Widersacher langsam zermürbt. Nun beginnen die Ermittlungen von vorn. Man darf gewiss sein, dass Dietrich sie unermüdlich und akribisch begleiten wird. Er wird ganz sicher wieder vielen auf die Nerven gehen, aber eines wird nicht geschehen: dass er etwas übersieht.

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Quelle:
SZ vom 13.12.2014/mmo/hai
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