Süddeutsche Zeitung

Neue Energie:Die ganze Stadt - eine Quelle der Solarenergie

  • Jens Mühlhaus geht davon aus, dass die Stadt München künftig überwiegend mit Solarstrom versorgt wird.
  • Der Ingenieur ist Vorstand der Green City Energy AG. Er sieht sich als einer der Energiepioniere, die daran arbeiten, Ökologie und Ökonomie zu verbinden und auf dieser Basis zukunftsweisende Energieprojekte zu verwirklichen.
  • In seiner Vision wird sich künftig jedes Stadtviertel autark mit Energie versorgen können und müssen.

Von Wolfgang Görl

Wenn Science-Fiction-Filme das städtische Leben in einer mehr oder weniger fernen Zukunft abbilden, dann sind da oft düstere, kilometerhohe Türme zu sehen, zwischen denen die Menschen in UFO-artigen Kabinendrohnen herumschwirren, angetrieben von einer obskuren, extrem effektiven Energie. Wäre die betreffende Stadt München, so würden die Frauentürme winzig wie Spielzeuggebäude am Fuße der stählernen Monster stehen. Sieht so die Zukunft aus? Ist dies das München im Jahr 2050?

Jens Mühlhaus muss da gleich mal lachen. Nein, so wird es nicht kommen. Das Stadtbild wird sich gar nicht so sehr geändert haben. Die Residenz, das Hofbräuhaus, der Dom - alle noch da und keineswegs von gigantischen Wolkenkratzern verstellt. Und doch wäre vieles anders, nur sähe man es nicht auf den ersten Blick. Es könnte zum Beispiel sein, dass die Zwiebeldächer der Frauenkirche den Solarstrom lieferten, mit dem der Erzbischof - eine Erzbischöfin wäre zu viel der Utopie - sein Palais heizt. Okay, ganz so ins pittoresk Katholische lappen Mühlhaus' Zukunftsvisionen nicht, aber im Prinzip wäre der Kirchturm als Energiequelle möglich. Es hat sich eben doch manches gewandelt.

Jens Mühlhaus, 45, geboren in München, ist Vorstand der Green City Energy AG, einer Tochter der 1990 gegründeten Münchner Umweltorganisation Green City. Die Gesellschaft baut Solaranlagen, Wind- und Wasserkraftwerke in Deutschland, aber auch im Ausland. Der Bauingenieur Mühlhaus und seine Mitstreiter sehen sich als Energiepioniere, die daran arbeiten, Ökologie und Ökonomie zu verbinden und auf dieser Basis zukunftsweisende Energieprojekte zu verwirklichen.

Für die Green-City-Leute ist es keine Frage, dass fossile Energiequellen angesichts des weltweiten Klimawandels stillgelegt werden müssen, je früher, desto besser. Kohle, Gas, Öl, so die Überzeugung, sind klimaschädliche Kraftstoffe von gestern, die Zukunft hingegen gehört den erneuerbaren Energien, die das Potenzial hätten, den gesamten Bedarf der Menschheit zu decken.

Was Großstädte wie München betrifft, so werden sie, sagt Mühlhaus, in der Zukunft ausschließlich von erneuerbaren Energien in Betrieb gehalten. Aber sagen das nicht auch die Stadtwerke, die sich zum Ziel gesetzt haben, bis 2025 so viel Ökostrom in ihren Anlagen zu produzieren, wie ganz München benötigt? Ja, das sagen sie.

Ein Mix aus erneuerbaren Energien für die Zukunft

Und doch gibt es einen gravierenden Unterschied zu den Konzepten, an denen Mühlhaus arbeitet. Abgesehen von kleineren regionalen Energiespendern wie Wasserkraft oder Biogas setzen die Stadtwerke auf die ganz dicken Brummer, auf Offshore-Windparks in der Nordsee oder Irischen See, auf Onshore-Windparks in Belgien, Finnland, Frankreich, Kroatien, Polen und Schweden, auf große Parabolrinnen-Kraftwerke in Spanien, dazu Fernwärme aus heißem Thermalwasser im Umland.

In Mühlhaus' Stadt der Zukunft gehören die Energiequellen quasi zum städtischen Mobiliar. Sie sind überall: An der Hauswand, auf dem Garagendach, auf Radwegen und Plätzen, auf dem Stachus, dem Königsplatz oder einem Südbalkon in Bogenhausen. Es ist Solarenergie, die hier vor der Haustür "geerntet" wird.

Sonnenenergie wird in jedem Stein geerntet

Wer nun befürchtet, Münchens Dächer und womöglich auch die "Welschen Hauben" der Frauenkirche würden in einigen Jahrzehnten mit den heute üblichen Sonnenkollektoren oder Solarmodulen verbarrikadiert, kann seine Sorge, das schöne Stadtbild werde verschandelt, fürs Erste hintansetzen. Schon heute gibt es optisch einwandfreie Dachziegel mit Solarzellen, und überdies, da hat Mühlhaus keine Zweifel, werde die einschlägige Technik mit der Zeit noch effektiver und billiger.

Überhaupt könnte man ganze Häuser aus Materialien bauen, die Sonnenenergie ernten. "Im Baumarkt wird der normale Ziegel eines Tages nicht mehr existieren", prophezeit Mühlhaus. Praktisch jede verfügbare Fläche würden die Münchner der Zukunft zur Energieerzeugung nutzen.

Wenn es so kommt, wie die Leute von Green City erhoffen, würden große Kraftwerksanlagen allenfalls noch für die industrielle Produktion gebraucht. Windenergie wiederum werde eher auf dem Land eine Rolle spielen, wohingegen "in der Stadt die Solarenergie das Rennen machen wird". Daraus folgt eine radikale Dezentralisierung, die über kurz oder lang darauf hinausläuft, dass jedes Stadtviertel sich selbst versorgt. "Autark sein auf Quartierebene" lautet Mühlhaus' Parole für die Zukunft.

Der Strom, den die lokalen Solaranlagen liefern, muss freilich auch gespeichert werden, damit er rund um die Uhr verfügbar ist. Derzeit arbeiten viele Forscher an der Verbesserung der Speichersysteme, weshalb es keine sonderlich kühne Annahme wäre, den Batteriespeicher oder andere innovative Speichersysteme als üblichen Bestandteil eines Münchner Haushalts im Jahr 2050 zu betrachten.

Per Digitaltechnik wäre es dann auch möglich, die im Viertel erzeugte Energie in engmaschige, intelligent verknüpfte Netze einzuspeisen und nach Bedarf zu verteilen. "Derjenige, der den Strom erzeugt, verkauft ihn dann auch digital." Die Stadt hinge dann nicht mehr an Großanlagen mit überregionalen Leitungsnetzen, sie hätte eine kleinteilige Infrastruktur, die ausreichend und günstig Energie lieferte - Energie von der Sonne.

Jens Mühlhaus ist überzeugt, dass es so kommt. Aber hat er auch recht? Werden die Energiekonzerne zulassen, dass ihre Großanlagen und Netze zu Industriedenkmälern werden, die man nur noch vereinzelt oder gar nicht mehr braucht? Es wäre das Ende ihres bisherigen Geschäftsmodells. Keine Frage, sagt Mühlhaus, "von der Politik und den Konzernen wird erbitterter Widerstand kommen".

Und doch ist "der Wandel nur eine Frage der Zeit" - schlichtweg aus ökonomischen Gründen. Der dezentral erzeugte Strom aus regenerativen Quellen wird viel billiger sein als Energie aus kostspieligen Riesenanlagen. "Tausende kleine Energieversorgungsanlagen werden entstehen. Man muss die Energieerzeugung in die Städte bringen."

Die Hoffnungen der Freunde der Großtechnologie hingegen ruhen nicht zuletzt auf der Kernfusion. Dabei geht es darum, vereinfacht gesagt, zwei Wasserstoffatomkerne zu einem Heliumkern zu verschmelzen. Bei diesem nuklearen Prozess, der auch im Inneren der Sonne abläuft, wird Energie frei. Würde es gelingen, dieses Sonnenfeuer dauerhaft in einem Reaktor zu erzeugen und in Strom umzuwandeln, wären, so die Erwartung, alle Energieprobleme gelöst. Das klingt einfach, tatsächlich aber ist die Sache so kompliziert, dass die Wissenschaftler sich bereits seit Generationen daran abarbeiten.

Das Auto ist kein Statussymbol mehr

Für die Kernfusion sind extrem hohe Temperaturen - 100 Millionen Grad Celsius - notwendig, und bislang ist der Energieaufwand immer höher als der Ertrag gewesen. Eine vorteilhaftere Bilanz soll der riesige Experimentalreaktor Iter in Südfrankreich liefern, an dem derzeit gebaut wird. Frühestens 2035 soll die Anlage so weit gediehen sein, dass sie Strom liefert. Kritiker halten die Investitionen in den Reaktor für rausgeschmissenes Geld, unter anderem, weil man nicht wisse, ob er jemals funktionieren werde. Zudem hätte eine derartige Megaanlage neue Abhängigkeiten sowie ökonomische und sicherheitstechnische Risiken zur Folge.

Auch Mühlhaus hält Kernfusionsreaktoren für ein Luftschloss von vorgestern. In seiner Vision der solarbetriebenen Stadt ist die Energieerzeugung Teil eines generellen Struktur- und Kulturwandels. "Auch die Mobilität wird sich verändern." Zwar wird es auch in München um 2050 noch Autos geben, aber keine mit Verbrennungsmotor, sondern allein Elektrofahrzeuge.

Die Lebensqualität steigt in der Solarcity

Das Auto als Statussymbol, von dem jeder mindestens eines besitzen muss, hätte ausgedient, stattdessen gäbe es Gemeinschaftsautos - "Carsharing" -, die man sich bei Bedarf nimmt. Weniger Autos, leisere Antriebe - das München von morgen wird eine leisere Stadt sein mit hellen, lichtdurchfluteten Wohnungen, klimafreundlich temperiert mit Solarstrom. Weite Wege zur Arbeit wären die Ausnahme, denn "Arbeiten und Wohnen werden zusammenrücken". Wohl oder übel müssten auch die Menschen zusammenrücken. "Städte wie München werden massiv wachsen."

Gleichwohl werde die Lebensqualität in so einer Solarcity steigen. In dieser "kann auch die Elektroheizung wieder schick sein", meint Mühlhaus. Möglicherweise aber werden Wärmespender gar nicht mehr so häufig benötigt wie heute. "Es wird leider heißer werden in München." Schuld daran sei der Klimawandel. Demzufolge herrschen an der Isar in einigen Jahrzehnten Temperaturen wie heute in Mailand - ein guter Grund, mehr Bäume zu pflanzen, die Schatten spenden.

Angesichts dessen steht womöglich auch dem Biergarten eine Kulturrevolution bevor. Wenn es so kommt, wie es Mühlhaus voraussagt, trinken die Münchner im Jahr 2050 ihr Bier unter Palmen.

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SZ vom 17.11.2016/vewo
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