Neue Bauprojekte:Wohnen in der Genossenschaft: "Das ist der Jackpot!"

Kooperative Großstadt,  junge Wohnungsbaugenossenschaft im Kulturraum Lothringer 13

Vorstand Christian Hadaller (r.) und einige Mitgründer der Kooperative Großstadt stellen bei einem Informationstreffen in Haidhausen ihr Projekt vor.

(Foto: Florian Peljak)
  • Die Stadt vergibt immer mehr Grundstücke an Wohnungsgenossenschaften.
  • Wer in eine solche Genossenschaft eintritt, soll in absehbarer Zeit und unbefristet eine bezahlbare Wohnung bekommen.
  • Nun finden sich ganz neue Gruppen zusammen, die ihre ersten Häuser planen - wie die "Kooperative Großstadt" etwa in Riem.

Von Anna Hoben

Der Mann mit dem Hipsterbart, letzte Reihe, direkt an der Eingangstür, er fasst nach anderthalb Stunden nochmals zusammen: "Hab' ich das richtig verstanden? Man kriegt für 50 000 Euro lebenslanges Wohnrecht, und man ist unkündbar, in München. Das ist der Jackpot!" Lachen, Nicken, Murmeln.

Ja, klar: in eine Genossenschaft eintreten und in absehbarer Zeit und auf unbefristete Zeit eine Wohnung mit bezahlbarer Miete bekommen, besser geht es kaum. Deshalb ist der Begegnungsraum der Haidhauser Kunsthalle Lothringer 13 an diesem Abend rappelvoll. So voll, dass neue Stühle herangeschleppt werden, so voll, dass einige am Eingang stehen müssen, so voll, dass jemand nach vorne ruft, draußen vor der Tür warteten noch drei Rollstuhlfahrer, wo die sich denn nun noch hinstellen könnten.

Auch um viertel nach Sieben drängen noch Leute nach, jemand ruft: "Das ist zu klein hier", und damit ist man passenderweise genau beim Thema, diesem Münchner Grundproblem: immer mehr Menschen, wo sollen die bloß alle hin. Zu wenig Wohnraum, die Stadt zu eng. Ungefähr 70 bis 80 Menschen sind gekommen, um zu hören, was die "Kooperative Großstadt" vorhat, zunächst auf dem Grundstück, für das sie im vergangenen Dezember den Zuschlag von der Stadt erhalten hat. Seit Oktober 2015 ist die "Kooperative Großstadt" als Genossenschaft im Handelsregister eingetragen, 45 Mitglieder hat sie mittlerweile und jede Menge Ideen, die mit der Grundstückszusage nun immer konkreter werden.

Sie müssen ranklotzen jetzt, es gibt Vorgaben, die Zeit drängt. Erst einmal ein Jahr lang nach Bewohnern schauen, das ist nicht drin; im März soll der Architekturwettbewerb starten, im Sommer von einer Jury der beste Entwurf gekürt werden. Anfang 2019 soll Baubeginn sein, und dann, im Sommer 2020, werden, wenn alles nach Plan geht, die ersten Bewohner ihre Umzugskisten ins Haus tragen. Knapp 50 000 Euro Einlagen für eine 75-Quadratmeter-Wohnung, dazu stabile 720 Euro Kaltmiete im Monat. Der München-Jackpot.

Los ging alles so, wie viele gute Dinge losgehen: mit einer Unzufriedenheit. Den Architekten, die sich als Gründungsmitglieder zusammentaten, ging es gar nicht so sehr um die Wohnungsnot in München, sondern um inhaltliche Positionen. Sie vermissten in der Stadt die richtig guten Wohnhäuser und übten Kritik an der Praxis von Architekturwettbewerben. Um nicht im Jammern zu verharren, beschlossen sie schließlich, selbst aktiv zu werden, als Genossenschaft. "Man sieht das in ganz Europa", sagt der Architekt Christian Hadaller, der im Vorstand der Kooperative sitzt, "Genossenschaften sind die Vorreiter, die Innovation vorantreiben."

Die Genossen von der Kooperative wollen nicht nur eine Plattform für Ideen aus der Stadtgesellschaft sein, sondern auch ein Akteur auf dem Münchner Wohnungsmarkt werden. Nun, mit dem ersten Grundstück, wird es konkret, und hier, im Konkreten, versteckt sich der einzige kleine Haken, wenn ein Jackpot einen Haken haben kann. Denn das Grundstück, das die Häuslebauer von der Stadt bekommen haben, es befindet sich nicht in Neuhausen, nicht in Schwabing, nicht in Giesing, sondern in Riem. Genauer: im hinteren Teil, am Übergang zur Parklandschaft, nahe der U-Bahn-Haltestelle Messestadt Ost.

Der Ort für das erste Projekt ist eine Herausforderung

Riem also. Als die Genossen über ihren Mailverteiler ein erstes Stimmungsbild erfragten, waren die Rückmeldungen, nun ja, sehr gemischt. Und auch an diesem Abend bei der Infoveranstaltung im rappelvollen Lothringer-13-Café äußert sich mancher zunächst verhalten. Sie sei schon Mitglied in der Genossenschaft Wogeno, erzählt eine Frau im mittleren Alter am Rande der Veranstaltung, wohnungsmäßig aber noch nicht zum Zug gekommen. Die Kooperative Großstadt findet sie "an sich super", nur von der Lage des ersten Wohnprojekts ist sie nicht begeistert. Ein anderer Besucher erntet Lacher für seinen Zwischenruf: "Ich will nicht nach Riem, da bin ich groß geworden, das reicht mir."

Christian Hadaller gibt zu: "Es ist schon schwierig, aus dem satten, gründerzeitlichen Haidhausen heraus zu sagen, jawohl, Riem ist etwas für mich." Aber eigentlich spornt das die Genossen nur noch mehr an. Denn dort bauen und hinziehen, wo alle wohnen wollen, das kann ja jeder. Klischees überwinden und an der Gestaltung eines Viertels mitwirken, das bislang nicht den allerbesten Ruf genießt, das ist eine Herausforderung. "Es gibt keinen schlechten Ort, es gibt nur schlechte Projekte", so lautet ein Leitsatz der Genossen.

Mit dem Beamer wirft Hadaller nun Fotos von rodelnden Kindern an die Wand, und man kann wirklich nicht behaupten, dass er sich nicht ins Zeug legt, um für den Standort zu werben. Der Schlittenberg im Riemer Park, "könnte beinahe schon in einem Wintersportort sein", schwärmt der Architekt, "diese Landschaft direkt vor der Haustür, das sind Weiten, wie man sie sonst nur im Englischen Garten hat".

Fünf Minuten entfernt vom Park liegt das Grundstück, auf dem die Kooperative ihr Projekt realisieren will, zusammen mit den Genossenschaftskollegen von Wogeno und Wagnis. Mit 185 Metern wird es wahrscheinlich das längste genossenschaftliche Haus in München. Aber dieser Superlativ spielt keine große Rolle, viel wichtiger ist der Wunsch nach "höchstmöglicher architektonischer Qualität". Es soll nicht weniger werden als "das beste Wohnhaus, das wir uns vorstellen können".

Etwa 40 Wohnungen sollen darin Platz finden, von Klein-Apartments über Familienwohnungen bis hin zu Groß-WGs. Flexibel sollen die Einheiten vor allem sein, sich den wandelnden Lebenssituationen anpassen: Kinder kommen, Kinder ziehen irgendwann aus. Im Erdgeschoss soll es keine Wohnungen geben, sondern eine Ausbildungswerkstatt für anerkannte Flüchtlinge, die abends und am Wochenende von den Bewohnern genutzt und zugleich ein Kommunikationsraum fürs Quartier werden soll. Hierfür sind die Genossen mit verschiedenen Trägern im Gespräch.

Die Besucher in der Lothringer 13 haben noch viele Fragen, vom Stellplatzschlüssel über die Details des genossenschaftlichen Wirtschaftens bis zum Architekturwettbewerb. Am Ende signalisiert ein gutes Dutzend ernsthaftes Interesse am Wohnen in Riem. Die beste Zeit für sie, sich in die Planungen einzubringen, ihr künftiges Wohnen mitzubestimmen, sie beginnt jetzt.

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