Neubiberg:Kämpferin mit langem Atem

Neubiberg: "Man rennt von morgens bis abends." Natascha Kohnen arbeitet unermüdlich dafür, die bayerische SPD aus dem Umfragetief zu holen.

"Man rennt von morgens bis abends." Natascha Kohnen arbeitet unermüdlich dafür, die bayerische SPD aus dem Umfragetief zu holen.

(Foto: Claus Schunk)

Natascha Kohnen tritt im Stimmkreis München-Land Süd als SPD-Direktkandidatin an. Von schlechten Umfragewerten lässt sie sich nicht entmutigen

Von Stefan Galler, Neubiberg

Vermutlich hätte es Natascha Kohnen auch als Leistungssportlerin weit bringen können. Was weniger daran liegt, dass die zierliche Frau über Muskelpakete oder eine Pferdelunge verfügen würde, als an der Mentalität der 50 Jahre alten Politikerin. Die Chefin der bayerischen SPD hat das, was man im Sport als Kampfgeist bezeichnet. Um im Jargon zu bleiben: Sie ist ständig bemüht, Abwehrlücken in ihrer Partei zu stopfen und scheut sich nicht, dorthin zu gehen, wo es wehtut.

Und doch muss es unglaublich frustrierend sein, wenn man derart viel Einsatz zeigt und trotzdem nicht recht vom Fleck kommt. Das suggerieren zumindest die Umfragen. In diesen Wochen liegt die Bayern-SPD, deren Spitzenkandidatin für die Landtagswahl am 14. Oktober Kohnen ist, zwischen 11 und 13 Prozent. Die gebürtige Münchnerin lebt seit 1999 in Neubiberg und tritt zum dritten Mal als Direktkandidatin für den Stimmkreis München-Land Süd an, zu dem die Gemeinen Planegg, Gräfelfing und Neuried zählen. Allein, sie jammert nicht. Sie kämpft. "Ich weiß, was ich erreichen will. Ich möchte zum Beispiel, dass die nächste Generation wieder bessere Chancen hat", sagt Kohnen. Sie wisse, wie schwer es für die SPD sei. Auf die Wahlprognosen geht Kohnen gar nicht weiter ein. Sie setzt ein Lächeln auf und sagt: "Noch nie waren so viele Leute unentschlossen. Die meisten entscheiden auf den letzten Metern, was sie wählen."

Als die Affäre um den Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen ins Rollen gerät, begreift die bayerische Spitzenkandidatin, dass es jetzt für die SPD um viel geht. Der Behördenchef sei für die Sozialdemokraten in diesem Amt nicht mehr tragbar, er müsse weg, betonen Kohnen und auch andere SPD-ler. Kohnen weiß genau, dass es wohl ihr persönlicher Knock-out sein würde, wenn ihr die Bundes-SPD, bei der sie mit im Vorstand sitzt, in der entscheidenden Phase des Wahlkampfes in den Rücken fallen würde. Anstand und Haltung, das sind die Schlagwörter ihrer Kampagne. Und genau darum geht es in der Debatte um den Spitzenbeamten.

Nein, diesmal lasse sich die SPD nicht düpieren, so ihr Credo. Als genau das dann doch zu geschehen droht, und der Beamte in das Amt eines Staatssekretärs im Innenministerium befördert werden soll, schrillen bei Natascha Kohnen die Alarmglocken. Sie ist es, die jetzt angreift. Sie fliegt zum Krisengipfel nach Berlin und haut im Gespräch mit SPD-Chefin Andrea Nahles auf den Tisch - am Ende wird neu verhandelt, Maaßens Karrieresprung abgewendet. Und Kohnen kann sich als Siegerin fühlen.

Es ist nicht der erste Kampf in ihrem Leben, den sie für sich entscheidet. Der wichtigste war jener gegen eine lebensbedrohliche Krankheit vor gut zehn Jahren. Seither sieht sie alles entspannter. "Es gibt so schöne Dinge im Leben", sagt sie und betont, wie sehr sie es genießt, im Landkreis München zu wohnen. "Hier hole ich mir die Energie für die Auseinandersetzungen im Landtag."

Hier, in der Gartenstadtgemeinde Neubiberg, begann vor knapp 20 Jahren auch Kohnens politische Karriere. Die Diplombiologin war mit ihrer Familie gerade aus Paris zurückgekehrt, wo ihr Mann, von dem sie mittlerweile geschieden ist, beruflich zu tun hatte. Sie fragte im Rathaus nach einem Betreuungsplatz für ihre Kinder Paul und Hannah. Der Beamte habe geantwortet, dass man so etwas hier nicht brauche. "Ich war total fassungslos", sagt sie. Zwei Tage später habe sie auf einem Supermarktparkplatz Johanna Rumschöttel getroffen, die sich damals um das Bürgermeisteramt bewarb. "Ich hatte auf einem Arm meine Tochter, in der anderen Hand einen Salat, und sie fragte mich, ob sie mir Salat oder Kind abnehmen sollte. Da habe ich ihr Hannah übergeben." Es war der Beginn einer Freundschaft und einer politischen Karriere, denn Kohnen, deren Stiefmutter sie bereits als Jugendliche sozialdemokratisch geprägt hatte, trat auf das Werben der späteren Landrätin Rumschöttel hin 2001 in die SPD ein.

Sie ließ sich in den Gemeinderat wählen, kämpfte auch wegen ihrer eigenen Erfahrungen um eine Verbesserung der Kinderbetreuungssituation. Ihre politische Karriere nahm Fahrt auf: Sie wurde Kreisrätin, übernahm den Vorsitz der SPD München-Land und schaffte es 2008 in den Landtag. Nur ein Jahr später wurde sie Generalsekretärin der Bayern-SPD, im Frühjahr 2017 setzte sie sich in der Kampfabstimmung um den Landesvorsitz gegen fünf männliche Kandidaten durch.

Bei der Landtagswahl droht ihr nun ein Rückschlag, dabei tut Kohnen alles, um die Wähler von ihren Themen zu überzeugen: Unermüdlich predigt sie die Notwendigkeit, günstigen Wohnraum zu schaffen. "Der Freistaat weiß nicht einmal, welche bebaubaren Flächen existieren, es gibt kein Flächenkataster", sagt sie. Kohnen für günstigen öffentlichen Nahverkehr und die Energiewende. Und sie wirft Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vor, mit seiner Aussage, der "geordnete Multilateralismus" sei beendet, die Europäische Union zu Grabe zu tragen. "Ich stehe für ein vereintes Europa und für die Zuwanderung von Fachkräften", betont sie. Letztlich ist es im Wahlkampf eben doch wie beim Sport. "Man rennt von morgens bis abends und fragt sich jeden Tag, ob man alles getan hat, was geht", sagt Kohnen. Und kämpft weiter.

Die SZ stellt in loser Folge die Direktkandidaten der sieben größten Parteien im Landkreis vor. Alle Porträts sind nachzulesen unter www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen.

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