Neuaubing:Verborgene Schätze

Der Antikmarkt in Neuaubing fristet ein Schattendasein - und das bekommen auch die Händler zu spüren. Viele von ihnen klagen, dass zu wenige Kunden in die Brunhamstraße finden. Überhaupt scheint das Geschäft mit Kunst und Krempel härter geworden zu sein

Von Ellen Draxel, Neuaubing

"Antikmarkt" steht in braunroten Lettern auf dem kleinen Schild. Direkt an der Toreinfahrt zu den ehemaligen Werkstätten der legendären Schlafwagengesellschaft der Deutschen Bahn, nach der Bahnschranke an der Brunhamstraße. Dort, wo mehr als 80 Jahre lang Waggons gewartet wurden, findet man jetzt, da Wolfgang Nöth und sein Geschäftspartner Andreas Dünkel 2013 die alten Hallen angemietet haben, Kunst und Krempel. Und es gibt fast nichts, was es dort nicht gibt: teure Barockschränke, historische Deko-Artikel, Kuriositäten en masse.

Zwei der rot gestrichenen Hallen der früheren Schlafwagenfabrik beherbergen seit gut einem Jahr ein Dorado für Sammler jeglicher Couleur. Wer das weiß, ist in der Lage, das Antiquitäten- und Trödel-Schatzkästchen zu entdecken. Schwerer hat es, wer den Geheimtipp nicht kennt. "Uns findet man nicht, da fehlt ein richtiges Schild", bedauern die Händler. Für sie einer der Gründe, warum das Geschäft nicht so gut läuft. Vielleicht liegt die Location aber auch zu weit ab vom Schuss? Vielleicht funktioniert am Ende das Geschäftsmodell der hippen Hallen am Stadtrand nicht mehr?

Immer freitags und samstags zwischen 10 und 17 Uhr öffnen 33 Anbieter im Antikmarkt ihre Pforten. Klaus Rieser ist einer von ihnen. Der 63-Jährige betreibt einen "k. u. k.-Antikhandel", er kauft und verkauft Militärisches aus alter Zeit. Orden liegen in einem Glasschrank, daneben Ehrenmedaillen, fein ziselierte Säbel. Auch bunte Emailschilder und Bilderrahmen dekorieren den Laden, beleuchtet von elektrifizierten Lüstern. Truhen, die wie wahr gewordene Piratenträume aussehen, ein altes Telefon, Fliegerbrillen und ein Hut à la Napoleon - da verwundert es nicht, wen Rieser alles zu seinen Kunden zählt. "Zu mir kommen wahnsinnig viele vom Film", erzählt der Österreich-Fan. "Dann heißt es nur: Rieser, hast du mal ein paar Orden? Ich brauch' die ganz schnell."

Neben Rieser hat Dieter Spalk sein Geschäft. 33 Jahre lang besaß er einen Antiquitätenladen in Untermenzing namens Riverside Antiques, jetzt hat er einige seiner edlen Möbel in Neuaubing ausgestellt. In dem akkurat gestylten Raum glänzt ein 2200 Euro teurer Mahagoni-Schreibtisch mit Lederauflage aus der Zeit um 1900 neben einem Sofa, einer alten Holzwiege und einem mit Schnitzereien verzierten Eichenschrank von 1720, den es für 8500 Euro zu kaufen gibt. Sein ungewöhnlichstes Stück ist ein Kinderhochstuhl mit Loch für den Pipitopf, der sich mit einem Handgriff in Stuhl und Tisch verwandeln lässt. "Alle Sachen bei mir sind restauriert", sagt Spalk. "Man kann sie so in die Wohnung stellen."

Leben aber können weder er noch Rieser von ihrem Laden. Dafür ist zu wenig los. "Der Verkauf geht sehr schleppend, bislang habe ich vielleicht gerade mal die Kosten für die Miete erwirtschaftet", meint Spalk. Zehn Euro pro Quadratmeter zahlen die Händler monatlich. Rieser ist von Beruf Messebauer und wollte eigentlich zu Gunsten seines Hobbys kürzertreten. Stattdessen muss er wieder mehr Messestände errichten, um sich den Antik-Handel leisten zu können. Anderen Händlern geht es nicht anders. Eva-Maria Dold hat Kirchenleuchter, Buddhas, Schallplatten und Seidenvorhänge mit geklöppelter Spitze im Angebot, aber auch Rosenthal-Geschirr und Käthe-Kruse-Puppen. Einen Tabernakel-Schrank von 1856 samt Tisch und vier Stühlen gibt sie "wirklich für ein Butterbrot her", wie sie betont: für 6000 Euro.

"Klassische Möbel", weiß Reinhold Hoch, "interessieren heute fast keinen mehr". Gekauft werde Funktionales, Umtauschbares - "das Gefühl für Wertigkeit geht immer mehr verloren". Die Firma Hoch's Tandlerei existiert seit 61 Jahren, ist immer wieder umgezogen. Mit seinem acht Jahre jüngeren Bruder Norbert sitzt Reinhold Hoch nun im Antikmarkt der Schlafwagenfabrik und stellt ernüchtert fest, dass er "ein bisschen Angst um die Branche" hat. Bücher seien bereits weggebrochen, auch Zinn und Porzellan. "Hätte mir die Preise, die ich heute noch bekomme, früher jemand angeboten, hätte er eine Watsch'n kassiert." Leben können auch die Hochs von dem Laden nicht mehr.

Also einfach aufgeben? Nie und nimmer. Da sind sich alle einig. Niedergedrückt wirkt hier jedenfalls keiner, Scherze wandern hin und her, die Leidenschaft fürs Stöbern wirkt ansteckend. Das Café, das es in den ersten Monaten um die Ecke gab, soll auch bald wieder aufmachen, dann gibt es einen Ort zum Seele-baumeln-lassen und Genießen. Der Antikmarkt, sagt Reinhold Hoch, sei wie "ein Museum, in dem man auch einkaufen kann". Nicht umsonst sei der Generaldirektor des Deutschen Museums, Professor Wolfgang Heckl, Dauerkunde.

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