Neuaubing:Sprung über die Barrieren

Neuaubing: Hand in Hand: Tanzkurs mit Menschen aus Sri Lanka, Indien, Deutschland und Lehrer Serdar Yolcu (Mi.), der türkisch-kurdische Wurzeln hat.

Hand in Hand: Tanzkurs mit Menschen aus Sri Lanka, Indien, Deutschland und Lehrer Serdar Yolcu (Mi.), der türkisch-kurdische Wurzeln hat.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Das SOS-Familien- und -Kindertageszentrum Neuaubing setzt mit seiner Anti-Rassismus-Woche ein Zeichen für bessere Verständigung. Beim Tanz, beim Essen und bei Vorträgen bauen die Teilnehmer Vorurteile ab

Von Ellen Draxel

Die Löffel sind aus Holz. Man nimmt sie paarweise in die Hand und schlägt sie wie Kastagnetten aneinander. "Kaşık Oyunu", der Löffeltanz, sagt Tanzlehrer und Choreograf Serdar Yolcu, erzähle wie alle türkischen Volkstänze Geschichten. Geschichten über das Leben. Geschichten von Menschen. Am Dienstagnachmittag in Neuaubing konnten sich mit Yolcu alle, die das Thema anzieht, an der Tradierung dieser Geschichten versuchen. Sie lernten den Löffeltanz aus der Gegend von Ankara und den Reihentanz aus Südostanatolien. Sie öffnen sich einer neuen Kultur, haben gemeinsam Spaß und erfahren dabei Toleranz und Verständnis. Um Toleranz und Verständnis soll sich bis Freitag an der Wiesentfelser Straße 68 alles drehen. Der Tanzworkshop ist lediglich einer der Programmpunkte bei der aktuellen Anti-Rassismus-Woche, die das SOS-Familien- und -Kindertageszentrum Neuaubing heuer erstmals unter dem Motto "Miteinander? Füreinander? Nebeneinander? - Lasst uns reden!" organisiert.

Da gibt es ein "Internationales Mitbring-Frühstück" mit landestypischen Speisen an diesem Mittwochvormittag von 9 Uhr an und parallel ein Eltern-Kind-Café, bei dem über die Rolle von Müttern im gesellschaftlichen Umfeld gesprochen wird. Von 16.30 Uhr an ist der Kinofilm "Monsieur Claude und seine Töchter" zu sehen, anschließende Diskussion inbegriffen. Für Donnerstag, 29. November, laden die SOS-Mitarbeiter von 9.30 Uhr an zu einem Austausch über Erfahrungen bei Reisen in andere Länder in die Kaffeestube ein.

Praxisorientiert ist auch das Angebot am Freitag von 15 bis 18 Uhr: Das Beratungsnetzwerk Bayern gegen Rechtsextremismus informiert in einem Workshop über Rassismus und Stammtischparolen und erarbeitet mit den Teilnehmern Handlungsstrategien, wie man rechten Sprüchen begegnet. Das Familienzentrum bittet für diesen Workshop um Anmeldung an Annemarie.Graser@sos-kinderdorf.de oder telefonisch unter 871 32 09 20.

"Unser Ansatz", sagt Renate Meschnark, "ist das Miteinander". Das gemeinsame Erleben und der Austausch im Café oder bei Veranstaltungen. Das Zuhören und Helfen mit Expertise, wenn Sorgen mit der Wohnung und dem Geld in der Familie überhandnehmen. Das einfach "Da sein" für Mütter mit kleinen Kindern oder Senioren, die eine Anlaufstelle suchen, damit sie nicht den ganzen Tag alleine in ihrer Wohnung sitzen. "Eigentlich machen wir das ganze Jahr nichts anderes als in dieser Woche", sagt die 60-Jährige lächelnd.

Meschnark engagiert sich seit 30 Jahren in der Einrichtung, sie leitet den Bereich Familienzentrum und Mehrgenerationenhaus. "Wir haben hier einen sehr hohen Migrationsanteil, bis zu 90 Prozent." Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten, aus den arabischen Ländern, aus Afrika, Europa, Asien. Die Kulturen sind sehr bunt gemischt, aber "wir sind alle Menschen und brauchen letztendlich alle dasselbe." Deshalb gibt es in Neuaubing viele Eltern-Kind- und Kinder-Spiel-Gruppen, Gesundheits- und Beratungsangebote, Familienausflüge, einen Secondhand-Laden, und - als Herzen der Einrichtung -, offene Cafés und den internationalen Mittagstisch. Bezahlbar ist alles, manches ist sogar kostenlos. Ein Frühstück mit Kaffee oder Tee, Aufstrich und Breze oder Semmel etwa kostet zwei Euro, das Essen beim Mittagstisch, frisch gekocht, regional und bio, mit Hauptgericht, Salat und Dessert 3,90 Euro für Erwachsene und zwei Euro für Kinder.

Dem SOS-Familienzentrum mangelt es nicht an Zulauf. "Aber vielleicht", hofft Meschnark, "erreichen wir mit dem Angebot in dieser Woche auch mal Leute, die sonst nicht zu uns kommen würden." Viele im Viertel, das habe sich bei der jüngsten Landtagswahl gezeigt, seien noch in verkrusteten Strukturen verhaftet. "Der Anteil der AfD-Wähler in dieser Gegend war sehr hoch." Kommendes Jahr soll die Anti-Rassismus-Woche erneut stattfinden.

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