Neuaubing:Sandkorn im Getriebe

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"Glump, das da nicht hergehört": 40 Eimer Müll hat der Pasinger Gerhard Ettinger in den vergangenen drei Monaten im Biotop aufgesammelt. (Foto: Robert Haas)

Aus Liebe zur Natur sammelt Gerhard Ettinger, 74, Müll im ehemaligen Gleislager in Neuaubing

Von Ellen Draxel, Neuaubing

Gerhard Ettinger radelt nicht bei jedem Wetter nach Neuaubing. An diesem Montagmorgen aber hat es gerade zu schütten aufgehört, und so zieht es den Pasinger wie immer, wenn seine Frau Flötenunterricht hat, ins Grüne. Jetzt steht er, mit Greifzange und Eimer ausgerüstet, vor einer kleinen Grube inmitten der Ausgleichsfläche zwischen den Gewerbegebieten Triebwerk und Freiham-Süd und beobachtet fasziniert die vielen Weinbergschnecken im tropfnassen Gras. "Die Höhle hier ist die Wohnung der grünen Zauneidechse", erklärt der 74-Jährige. "Wenn die Sonne scheint, sehe ich die streng geschützten Tiere auf den Steinen sitzen - ist doch nicht schlecht in der Stadt." Ein paar Meter weiter entdeckt er einen kaum zu sehenden Zwerg-Bläuling auf einer Pflanze thronend. Auch dieser Schmetterling, der kleinste Tagfalter Mitteleuropas, steht auf der Roten Liste gefährdeter Arten.

Ettinger streift mehrmals in der Woche durch das ehemalige Gleislager. Dort, wo noch vor 80 Jahren Eisenbahnweichen montiert und später Züge abgestellt wurden, befindet sich jetzt ein überregional bedeutsames Biotop. Das am besten untersuchte Stadtbiotop Bayerns mit mehr als 30 in Deutschland oder Bayern gefährdeten Pflanzen- und Tierarten. "Auf den verbliebenen Gleissträngen, verwitternden Hallenböden und kiesigen Lagerflächen entstand ein Mosaik aus unterschiedlichsten Vegetationsstandorten trockener und magerer Ausprägung", erläutert die Sprecherin der Baureferats, Dagmar Rümenapf. Für die Zauneidechse, gefährdete Heuschrecken-Arten wie die Gemeine Sichelschrecke und seltene Wildbienen wie die Zwergwollbiene sei das Gleislager "einer der bedeutendsten Lebensräume Münchens".

Bevor das Baureferat aktiv wurde, diente die 13,5 Hektar große Fläche eine Zeit lang als Müllhalde für alte Sofas, Fahrräder, Autoreifen oder Betonplatten. Dieser Abfall wurde zwar inzwischen beseitigt und die Grünzone zum Schutz der Amphibien zur Centa-Hafenbrädl-Straße hin eingezäunt. Reste der vormaligen Nutzung als Gleislagerstandort aber finden sich nach wie vor in dem Gebiet. Diese Form von Kleinmüll sei aber "für die Artenvielfalt ohne Bedeutung", betont die Behörde.

Gerhard Ettinger findet im Biotop nach wie vor Gummiteile und alte Schrauben, Verbundglasscherben, "an denen sich die Hasen und Hunde verletzen können", zudem jede Menge zerbrochene Platten entlang einer Trasse und Eisendrähte, die er "manchmal auf den Weg wirft, um die Leute zum Nachdenken anzuregen". Einen dieser Eisendrähte hat er schon mal abgesägt, weil er daran hängen geblieben war.

40 Eimer voller solchem "Glump, das da nicht hergehört", hat der gebürtige Münchner in den vergangenen drei Monaten gesammelt. Warum er das tut? "Mir macht's halt Spaß", sagt der Rentner und lacht. "Ich sperre Augen und Ohren auf und schaue, was es gibt. Wenn ich dann noch einen Grünspecht oder einen Turmfalken fliegen sehe, freut mich das." Außerdem, ergänzt der Pasinger, sei es ihm im Leben immer gut gegangen. "Deswegen möchte ich ein bisschen was zurückgeben." Die gefüllten Eimer stellt er am Eingangstor ab und bittet dann das Baureferat, sie zu entsorgen. Die Behörde freut sich über das private Engagement.

Ettinger ist Rentner, er betrieb bis vor einigen Jahren sein Feinkostgeschäft in der Pasinger Kolonie I. Hobbymäßig hat er sich aber immer schon mit der einheimischen Natur beschäftigt. Er ist Mitglied bei der Bayerischen Botanischen Gesellschaft und bei der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern. Im Biotop kennt er die meisten Lebewesen beim Namen, Fauna wie Flora. Er weiß, wie das Johanniskraut aussieht, die Wilde Möhre, die Zottige Fahnenwicke. Weil er nach den Besuchen in Neuaubing Bücher wälzt. "Das da", erzählt der Naturliebhaber und deutet auf eine kleine blaue Wiesenblume, "ist Lein. Als ich jung war, gab es ganze Felder davon. Die Redensart ,eine Fahrt ins Blaue machen' basiert auf diesen blauen Blüten."

Spaziergängern im rund um die Uhr zugänglichen Biotop ist Ettinger längst bekannt. Er sei "ein ganz feiner Mensch", loben sie. Jemand, dem dieses wunderbare Stückchen Natur am Herzen liege, der sich aber nur als ein "ganz kleines Sandkorn im Getriebe" erachte.

© SZ vom 28.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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