Süddeutsche Zeitung

Neuaubing:Kultur am Ort des Schreckens

Künstler und Handwerker öffnen ihre Ateliers im einstigen NS-Lager

Von Ellen Draxel, Neuaubing

Die Ehrenbürgstraße 9 ist etwas Besonderes. Einst lebten auf dem versteckten Gelände, das nur durch die Wiesentfelser Straße und einen kurzen Weg vom neu entstehenden Stadtteil Freiham getrennt ist, Zwangsarbeiter: Mehr als 500 Männer und Frauen hatten die Nationalsozialisten von 1943 bis 1945 in das Lager verschleppt, sie mussten im Reichsbahnausbesserungswerk Neuaubing und im nahegelegenen Werk des Flugzeugherstellers Dornier mitarbeiten. Die Unterbringung in den Baracken war damals katastrophal - die Menschen, vorwiegend aus der Ukraine, Polen, Weißrussland und Italien, wurden vom Lagerpersonal regelmäßig misshandelt.

Heute ist der Ort eine kulturelle Oase, Künstler und Handwerker haben das Gelände in eine Symbiose aus Wertschätzung der Geschichte und kreativer Vielfalt verwandelt. Einige von ihnen nutzen das Areal seit mehr als 25 Jahren, ihnen ist es mit zu verdanken, dass es den Ort überhaupt noch gibt.

Besucher willkommen zu heißen und Gästen einen Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen, war für die Kreativen stets selbstverständlich. Von 1. bis 3. Oktober erheben sie diese Willkommenskultur nun zum wiederholten Male zum Programm: An diesen Tagen öffnen Bildhauer, Keramikerinnen und Objektkünstler, Malerinnen, ein Fotograf und eine Weberin ihre Ateliers und Werkstätten für die Öffentlichkeit. "Sicher wird es diesmal anders sein als in den vergangenen Jahren", meint Bildhauer Peter Heesch, der Vorsitzende des Vereins "Freie Ateliers und Werkstätten Ehrenbürgstraße" (Fauwe). Coronabedingt. "Aber es wird auf jeden Fall schön, spannend, anregend und interessant werden." Ergänzend zu den Ausstellungen soll es heuer auf den Wegen immer mal wieder kleinere musikalische Darbietungen und Performances geben. Am Freitag- und Samstagabend sind von 20 bis 22 Uhr Konzerte geplant. Und am Sonntag von 11 bis 14 Uhr ein Jazzfrühschoppen mit Weißwurst und Co. Interessierte können außerdem am Freitag, 1. Oktober, um 18.30 Uhr an einer Führung teilnehmen, bei der Moritz Rabe vom NS-Dokumentationszentrum über die Geschichte des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers informiert. Das genaue Programm findet sich auf der Homepage des Vereins unter www.fauwe.de.

Zu erreichen ist die Ehrenbürgstraße 9 mit der S 8 bis Freiham oder den Buslinien 57 (Haltestelle Wiesentfelser Straße) und 143 (Haltestelle Ellis-Kaut-Straße). Auf dem Gelände selbst gibt es keine Parkmöglichkeiten.

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Quelle:
SZ vom 23.09.2021
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