Süddeutsche Zeitung

Neuanfang:Einmal die Nummer eins

Julia Kautz war lange Chefreporterin der "Bravo", ist um die Welt gejettet und hat Stars wie Rihanna, Beyoncé und Bruno Mars interviewt. Dann hat sie gekündigt - um selbst Musikerin zu werden.

Von Michael Bremmer

Manchmal braucht man jede Menge Mut für ein kleines Kompliment. Sängerin Julia Kautz trägt schwarze Jeans, Chucks, ein dunkles T-Shirt und eine ausgewaschene Jeansjacke. Sie sitzt auf einem Barhocker und blickt mit dem Augenaufschlag eines Hundewelpen ins Publikum.

Es läuft eine Open Stage im Container Collective. Der Abend handelt von München, und die Künstler vor Kautz, Comedians und Schauspieler, haben ihre Abneigung gegen diese Stadt herausgekotzt. Die Sängerin lächelt nervös ins Publikum. "Es ist jetzt gar nicht so leicht, mal was Positives zu sagen", kündigt sie ihren Song an. "Ich liebe diese Stadt", sagt sie. "Meine Stadt" heißt der Song, den sie für die Münchner Stadtwerke geschrieben hat, das dazugehörende Werbevideo kann man häufig im Kino sehen.

Gestern Stars, heute Stadtwerke - warum tut sie das?

Natürlich, Werbesongs bringen Gage, bringen Gema-Einnahmen. Aber sieht so das Musikgeschäft aus, das sich Julia Kautz seit ihrer Kindheit erträumt hat, als sie mit sechs Jahren ihr erstes Lied über einen Luftballon geschrieben hatte, seit ihrer Jugend, in der sie nach eigener Aussage mehr Bands hatte als Lover? Ist das die Welt, für die sie im Januar 2012 alles hingeschmissen hat - ihren Beruf, ihre Sicherheit? Heraus aus dem Leben im Scheinwerferlicht, heraus aus dem Alltag, der sie alle zwei, drei Tage zu Popstars in der ganzen Welt geführt hat. Julia Kautz war Chefreporterin des Jugendmagazins Bravo. Sie ist für Superstars um die halbe Welt gejettet, wenn es die Möglichkeit gab, Lady Gaga, Katy Perry oder Bruno Mars zu interviewen. Nebenbei moderierte sie die tägliche Sendung "BRAVO WebTV", ein Format, bei dem ihr schon mal Justin Bieber gegenüberstand.

Gestern Stars, heute Stadtwerke - warum tut sie das? "Ich durfte ständig ganz nah am Kuchen sitzen und in meinen Artikeln in den schillerndsten Farben beschreiben, wie gut er schmecken muss. Selbst reinbeißen durfte ich aber nie. Das wurde irgendwann zur Belastung", sagt sie. "Ich war ja fast nur von Menschen umgeben, die das Privileg hatten, meinen eigenen Traum zu leben." Reichtum und Ruhm können blenden, das habe aber bei ihr keine Rolle gespielt. "Es ging eher darum, mich selbst zu verwirklichen und den richtigen Platz im Leben zu finden." Und ihr Platz, so ihre Überzeugung, ist auf der Bühne. Oder im Tonstudio. "Ich wollte Songs schreiben und damit Menschen berühren. Genau deshalb mache ich heute Musik", sagt sie.

Mit zwölf Jahren gründete sie ihre erste Band, eine Nirvana-Coverband

Julia Kautz ist ein Sonnenmensch. Jeden Tag schönes Wetter, selbst wenn es regnet: ständig gute Laune, immer ein Lächeln, beliebt bei allen, der Kumpel-Typ. Würde man Julia Kautz' Leben verfilmen, müsste man unbedingt ihre eigenen Songs in den Soundtrack packen: Dur-Akkorde, poppige Refrains, dazu eingängige Elektro-Arrangements. Das muss nicht jedem gefallen, ist aber auf jeden Fall für die Masse angelegt. Im aktuellen Video "Verliebt in Kurt Cobain" wird dafür sogar im Refrain eine Art Hymne aus der Fankurve eingebaut. Kurt Cobain, der Nirvana-Sänger, brachte sich 1994 um, da war Julia Kautz gerade mal 13 Jahre alt - trotzdem sagt sie, es sei ihr "authentischster Song". Das ist keineswegs daher gesagt, so viel zeigt ein Blick in die Vergangenheit.

Julia Kautz wird 1981 in Wien geboren. Nach eigenen Angaben nimmt sie schon als Vierjährige erste Songs mit ihrem Kassettenrecorder auf. Mit sechs hatte sie Klavier- und Gitarren-Unterricht. "Eine Mini-Playback-Show gab es damals in Österreich nicht", sagt sie. Für sie blieben die einzige Chance die Musikschule und Auftritte bei Kinder-Musicals. Mit zwölf Jahren gründete sie ihre erste Band, Shark Attack, eine Nirvana-Coverband. Es gibt Videoaufzeichnungen aus Kautz' Kinderzimmer. An den Wänden hängt eine Tapete mit Mickey-Mouse-Figuren, im Regal liegen Spielsachen, direkt von der Tür steht der Gitarrist, daneben sitzt der Schlagzeuger: "Burschen, Aufnahme", sagt Julia Kautz. Sie trägt ein Nirvana-Fan-Shirt über einem Hemd und röhrt dann den Refrain zu "Rape me". Später singt sie in einer Metal-Band, in einer Reggae-Band, in einer Jazz-Band, in einer Pop-Band. "Mich berührt Musik nicht nach Genres", sagt sie, "mich berühren Songs, Melodien, Texte."

"Er hat die ganze Zeit über Sex gesprochen, über Tantra und Orgasmen."

Julia Kautz machte ihre Matura auf einem musischen Gymnasium, studierte dann in Wien Germanistik sowie Theater- und Medienwissenschaften. Mit 20 startete sie ihre Journalistenkarriere - zunächst beim österreichischen Magazin News, in der Musikredaktion. Phil Collins im Hotel Sacher war ihr erster Star, danach reiste sie um die Welt, um Musiker zu interviewen. In einem Londoner Hotelzimmer traf sie auf Sting. Julia Kautz erinnert sich: "Er hat die ganze Zeit über Sex gesprochen, über Tantra und Orgasmen." Man hat es nicht leicht als Frau in diesem Geschäft. Und das Interview? Sie habe das alles dann auch so aufgeschrieben, sagt sie. Okay, ganz so frech sei er doch nicht geworden, sagt sie später, als sie den Text im Archiv gefunden hatte. Aber immerhin, die Überschrift: "Sex und Musik als Religion."

Kautz hat im Laufe der Jahre viele Stars interviewt, mindestens 500, schätzt sie. Von daher gibt es auch jede Menge Geschichten. Mit Dave Gahan, dem Sänger von Depeche Mode, wollte sie ein Gespräch vereinbaren. Als Gahan persönlich zurückrief, stand die Reporterin an der Supermarktkasse, wimmelte ihn ab, ob er nicht später noch einmal anrufen könne. Als er sich wieder meldete, lag sie in der Badewanne - am nächsten Tag klappte dann das Interview. Ihre Erfahrungen: "Männer waren meist sehr charmant und haben gern auch mal geflirtet", sagt sie, Frauen hingegen waren ab und an auch zickig. Avril Lavigne zum Beispiel. Am Interviewtag hatte die Sängerin Geburtstag, wurde 17. Julia Kautz brachte ihr eine Torte mit - keine Reaktion. Im Interview antwortete sie wortkarg, immer nur mit ja, nein, vielleicht - "das war ganz schwierig".

Im Dezember 2003 zog Kautz nach München, bei der Bravo tauchte sie dann so richtig ein ins Leben der Stars. Jede Woche sei sie in drei Metropolen gewesen, für 30 Minuten mit Destiny's Child habe sie schon mal zwölf Stunden im Flieger gesessen. Noch heute erinnert eine Bildersammlung in Kautz' Wohnung in Haidhausen an diese Zeit; ihre Eltern haben ihr diese Collage gebastelt. Mehr als 150 Bilder von Interviews: eine Umarmung mit Rihanna, ein Küsschen auf die Backe von Bruno Mars, auf der Couch mit Beyoncé. Tag und Nacht habe sie damals gearbeitet, jede Woche eine Menge Überstunden, keine Zeit für eine Beziehung, keine Zeit für ein Haustier. Bis Januar 2012 geht das so, dann kündigt sie. "Julia Kautz ist einfach so sehr mit Leib und Seele Songwriterin und auch Sängerin, dass man ihre Konsequenz, den sicheren Bravo-Job aufzugeben, nur bewundern kann", sagt ihr Manager Alex Haas-Guder.

"Viele haben mich damals dafür für völlig verrückt erklärt. Aber tief in mir drin wusste ich immer, dass es der richtige Weg für mich ist. Deshalb ist es mir im Endeffekt dann doch nicht so schwer gefallen." Natürlich, es gab auch Momente, "da hatte ich teilweise schon Angst", die Sorge, wie sie die Miete zahlen soll, Selbstzweifel. Julia Kautz gibt auch zu, öfter mal geheult zu haben in dieser Zeit. Aber: "Ich habe den Schritt niemals bereut, obwohl der Weg, den ich gerade gehe, wirklich alles andere als einfach ist."

Gleich nach Bravo bekam Julia Kautz mit dem Duo Neonherz einen großen Plattenvertrag. Eine gute Starthilfe, doch das Projekt zerbrach. "Ich wollte damals meinen Traum leben, deswegen habe ich auch viele Kompromisse geschlossen", sagt sie rückblickend. "Heute lasse ich mir nicht mehr vorschreiben, was ich mache. Ich treffe alle künstlerischen Entscheidungen selbst." Kautz arbeitet seitdem weiter an ihrer Solo-Karriere, schreibt Lieder für andere Künstler wie Wincent Weiss, Luxuslärm und Max Mutzke. "Du gibst so viel, verdienst am Anfang kaum was, das macht das Business so hart", sagt Kautz. Um bekannter zu werden, spielt sie jede Menge Gratis-Konzerte, reiste kürzlich mit ihrer Band nach Binz auf Rügen, um ohne Gage im Vorprogramm von Wincent Weiss spielen zu können - das ist nicht selbstverständlich, vom ehemaligen DSDS-Kandidaten Wincent Weiss wohlgemerkt; er könnte seine Support-Bands nach Belieben aussuchen. "Julia hat zusammen mit Wincent an seinen ersten eigenen Songs geschrieben und war von Anfang an dabei. Deshalb ist es klar, dass wir sie auch immer wieder gern als Support-Act für Wincents Konzerte dabei haben", erklärt dessen Manager Sascha Wernicke.

Auf das Geld wartet sie bis heute

Dienstagabend im Glockenbachviertel: Die Plattenfirma Warner Music hat zum Sommerfest auf die Dachterrasse geladen. Es wird gegrillt, Flaschenbier gereicht, Musikmanager treffen auf Journalisten. Unter den Gästen ist auch Julia Kautz. Sie trägt ein schwarzes Kleid und silberne Slippers. Stehtische werden weggeschoben. Marie Bothmer, die neue Pop-Hoffnung von Warner, spielt ein Unplugged-Konzert. Nach zwei Songs kommt Zak Abel nach vorne, ein Shootingstar aus London, ebenfalls bei Warner unter Vertrag. Gemeinsam performen sie eine Coverversion von "Ain't No Sunshine". Wie die meisten Leute im Publikum singt auch Julia Kautz den Refrain mit.

"Erfolg mit der Musik zu haben, ist wie ein Lotto-Sechser", sagt Kautz. "Um es wirklich bis ganz nach oben zu schaffen, braucht man nicht nur unfassbare Geduld, Fleiß und Durchhaltevermögen, sondern eben auch eine große Portion Glück." Nebenan am Tisch stehen ehemalige Kolleginnen der Bravo, Selfie-Orgie mit den Musikern. Kautz gesellt sich dazu, macht ebenfalls ein gemeinsames Foto mit den beiden jungen Künstlern, die gerade bei Warner auf eine Weltkarriere warten.

Wenn man so will, hat Julia Kautz bereits den Erfolg, auf den Marie Bothmer und Zak Abel noch warten, einen Nummer-eins-Hit. 2014 hatte sie in Los Angeles den Song "Music Of My Life" geschrieben, der eigentlich für Justin Bieber vorgesehen war. Stattdessen landete das Lied bei der koreanischen Band My Name, die damit vor zwei Jahren die Hitparade in Japan anführte. Warum auch nicht, bringt Ruhm und Geld - nur weiß Julia Kautz bis heute nicht, wie groß ihr Verdienst sein wird. Manche haben ihr erzählt, von der Gage könne sie sich ein Haus kaufen, sagt sie, andere meinten, ein paar Hundert Euro könnten schon rausspringen. Warum sie das nicht weiß? "Ich habe bis heute kein Geld dafür bekommen." Sie sagt das nicht zornig. Keine Anzeichen von Wut sind in ihrem Gesicht zu erkennen. Julia Kautz lächelt.

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Quelle:
SZ vom 01.09.2017
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