Netze im Meer:"Das Meer ist tot. Es ist krass"

Netze im Meer: Verena Platt-Till, 37, taucht im im Dienst der "Gesellschaft zur Rettung der Delphine".

Verena Platt-Till, 37, taucht im im Dienst der "Gesellschaft zur Rettung der Delphine".

Geschätzte 640 000 Tonnen Geisternetze töten jedes Jahr Hunderttausende Meerestiere. Die Biologin Verena Platt-Till taucht im Atlantik, um die tödlichen Fallen zu bergen.

Von Martina Scherf

Es sind grausame Bilder: ein Delfin, der Körper mit Narben übersäht und eingeschnürt, zum Sterben verdammt. Eine mächtige Meeresschildkröte, hilflos im Netz treibend. Eine Robbe, beinahe stranguliert. Bilder, wie sie Umweltschützern auf den Meeren weltweit begegnen. Auch Verena Platt-Till hat ähnliche Szenen schon oft erlebt. Deshalb hat die Biologin den Kampf gegen die Geisternetze angetreten. In diesen Tagen taucht sie im kalten Atlantikwasser an der Westküste Irlands, birgt zurückgelassene Netze und Hummerreusen vom Meeresboden, die für Tiere zu tödlichen Fallen werden. Und sie schickt neue Fotos, um auf die Umweltsünden aufmerksam zu machen.

Die Münchnerin ist im Dienst der "Gesellschaft zur Rettung der Delphine" (GRD) unterwegs. Der Delfin ist ein Sympathieträger, wer wollte ihn nicht retten? Doch es geht den Münchner Umweltschützern um mehr. "Die Menschen fliegen zum Mond, aber wir wissen noch so wenig über die Lebewesen in unseren Meeren", sagt Verena Platt-Till, 37, vor der Abreise im Münchner Stadtcafé. Nur, dass sie massiv bedroht sind, diese Tatsache lässt sich nicht länger leugnen - die Überfischung, das Korallensterben, die Verseuchung der Gewässer durch Plastik sind überall zu beobachten.

Es waren die Weltumsegler Rollo und Angelika Gebhard, die vor fast 30 Jahren die GRD gegründet haben. Rollo Gebhard (er ist 2013 im Alter von 92 Jahren gestorben) hatte schon in den sechziger und siebziger Jahren zweimal allein die Erde in einem Segelboot umrundet. Beim dritten Mal war Angelika dabei, acht Jahre waren die beiden damals unterwegs. Auf ihrem Nonstop-Törn vom Südpazifik bis nach Alaska, erzählt Angelika Gebhard, die als Autorin und Filmemacherin in München lebt, hatten sie ein mysteriöses Erlebnis.

"Unser Schiff blieb plötzlich stecken, mitten im Meer." Es war Nacht, der Wind blies mit fünf bis sechs Beaufort, sie hatten volle Segel gesetzt, eine ungemütliche Situation. Und gefährlich - ohne Fahrt hätte der Wind das Schiff ins Meer drücken können. Es gelang ihnen, die Segel zu bergen, "und plötzlich fuhren wir weiter, wir wussten nicht, warum."

"Alles, was sich darin fängt, stirbt einen qualvollen Tod"

Die erfahrenen Segler hatten damals lange gerätselt, was passiert sein könnte. In Alaska angekommen, lasen sie einen Zeitungsartikel über "drift nets", im Meer treibende, aufgegebene oder verlorene Netze. Sie sprachen mit Fischern und Umweltbehörden, "und da wurde uns klar, dass wir in so einem Ding hängen geblieben waren, und welche Gefahr diese Geisternetze für Mensch und Tier darstellen." Sie können mehr als 100 Kilometer lang sein, "und alles, was sich darin fängt, stirbt einen qualvollen Tod." Auch Delfine, Robben, Wale und Meeresschildkröten.

Als die Gebhards damals zurück kamen, gründeten sie die "Gesellschaft zur Rettung der Delphine", um auf das millionenfache Sterben der Tiere in den Treibnetzen der Thunfischfangflotten aufmerksam zu machen. Der Verein finanziert sich durch Spenden. Prominente Botschafter setzen sich für seine Projekte ein. Verena Platt-Till stieß vor einem guten Jahr dazu. Die Biologin ist begeisterte Taucherin und kann bei den Delfinrettern beides verbinden: Wissenschaft und Leidenschaft.

Fünf Tage nach dem Gespräch in München ein Anruf aus Galway, Irland: "Es ist aufregend", berichtet Platt-Till, "wir haben schon 57 Hummerreusen geborgen. Aber da sind noch Tausende unten, ich hätte nie gedacht, dass es so viele sind." Die Käfige werden von Fischern einfach zurückgelassen, oder sie verlieren sie im Sturm. Eine Gruppe Katzenhaie hätten sie gleich am ersten Tag aus so einem Ding befreit, erzählt die Taucherin erfreut, "ein schönes Gefühl." Am Ufer stapelten sie die Käfige zu Türmen.

"Die Netze stellen eine enorme Bedrohung der marinen Artenvielfalt dar"

Die Münchnerin ist mit holländischen Tauchern der Ghost Fishing Stiftung unterwegs. Die Aktion ist anstrengend und gefährlich. Es geht bis zu 20 Meter hinab, das Bergen der schweren Käfige und Netze kostet Kraft. Einmal, hatte die schlanke Frau vor der Abreise noch erzählt, sei sie an ihr Limit gestoßen. Es war in Australien, "die Strömung hat uns hin und her geworfen, mir ging die Kraft aus, es war grenzwertig." Seither ist sie noch vorsichtiger.

Geschätzte 640 000 Tonnen Geisternetze töten jedes Jahr Hunderttausende Seehunde, Seelöwen, Tümmler, Haie und andere Fische, auch Vögel und kleinere Organismen, die für das Ökosystem wichtig sind. "Die Netze stellen eine enorme Bedrohung der marinen Artenvielfalt dar", sagt die Biologin. Sie treiben als Plastikmüll umher, sinken auf den Meeresboden oder fischen weiter, wenn ihre Besitzer längst zu anderen Gründen gezogen sind.

"Der größte Feind der Delfine ist der Mensch"

Auch in der Adria hat sich die Zahl der Delfine dadurch drastisch verringert. Dort verbrachte Verena Platt-Till als Kind mit der Familie viele Sommer. "Mein Großvater hat mir in Kroatien das Tauchen beigebracht", erzählt sie. Korallen, Schildkröten, Seepferdchen, Doraden, Meeräschen - die bunte Unterwasserwelt habe sie fasziniert. "Davon ist heute nichts mehr da. Das Meer ist tot. Es ist krass", sagt sie bitter.

Heute ist das Tauchen für sie nicht nur Sport, den sie auch in bayerischen Seen betreibt, sondern eine Mission, "um die Welt ein kleines bisschen besser zu machen." Es gehe nicht darum, den örtlichen Fischern das Leben schwer zu machen, sagt Platt-Till bei ihrem Anruf aus Irland. "Im Gegenteil: Wir wollen sie mitnehmen." Deshalb erklären sie ihnen, was sie tun, versuchen mit ihnen gemeinsam Lösungen zu finden. Ein irischer Muschelfischer habe sich spontan angeschlossen und mit seinem Kranboot Reusen hoch gezogen. Solche kleinen Erfolge machen Mut.

"Der größte Feind der Delfine ist der Mensch", sagt die Biologin. "Fast 90 Prozent der Meere gelten mittlerweile als über- oder maximal befischt." Die Meeressäuger finden immer weniger Nahrung und landen als Beifang in den Netzen der immer größeren Fischereiflotten. Wer das weiß, kann vor allem eines tun: "Weniger Fisch essen", sagt sie. Denn auf die meisten Umweltsiegel sei kein Verlass. Gerade das blau-weiße Siegel des Marine Stewardship Council (MSC) ist in jüngster Zeit in die Kritik geraten. Es prangt auf Thunfisch-Pizza, Fischstäbchen und Katzenfutter und soll nachhaltige Fischproduktion auszeichnen. Doch Umweltschützer zweifeln an der Glaubwürdigkeit.

Und wer im Urlaub Delfine entdeckt? "Der sollte ihnen nicht hinterherjagen", sagt die Biologin, "sondern respektieren, dass er sich in ihrem Lebensraum aufhält, und warten, ob sie von selbst kommen." Der Tourismus habe vielerorts absurde Züge angenommen. "Am Roten Meer findet mittlerweile eine regelrechte Hetzjagd auf Delfine statt. Da werfen Skipper der Boote sogar Kinder ins Wasser, damit sie mit Delfinen schwimmen können. Wo früher zwei, drei Schnellboote rausfuhren, sind es heute 50 oder mehr." Für die einen sei es die Jagd nach dem schnellen Geld, für die anderen die Jagd nach dem spektakulären Urlaubsfoto. Am Ende werde es dort aber keine Tiere mehr geben.

Sie selbst hat immer wieder "magische Momente" mit Delfinen erlebt, sagt Verena Platt-Till. "Aber das waren Zufälle. Ich würde nie mit Delfinen schwimmen." Deswegen gibt es auch keine Fotos mit ihr und Delfin. "Da bin ich sehr streng."

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