Faszination dank Unkonvention. So lässt sich in Zeiten schwindender Aufmerksamkeitsspannen maximal verkürzt die Kunst von Nessi Tausendschön beschreiben. Allein dieser Künstlername: ein Sommerfest der Andersartigkeit, ein beinahe revolutionärer Akt für jemanden, der bürgerlich Annette heißt. Dass die gute Frau recht wenig von einem braven Gänseblümchen (im Volksmund auch Tausendschön genannt) hat, wird schnell klar.
Müsst man ihrem Tun einen Claim verpassen, dann vielleicht den hier: alles, außer gewöhnlich. Wäre ihr sicher zu abgegriffen. Sie nennt ihre Programme lieber „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich auf den Prinzen scheiß!“ oder „Die wunderbare Welt der Amnesie“. Solo-Werk Nr. 13 hört auf den Namen „Rumeiern“ - und das tut sie auch selbst zwei Stunden lang: „Warum soll ich einen roten Faden haben, wenn die ganze Welt eiert?“
Inhaltlich geht es im Lustspielhaus um die Verwerfungen dieser irren Welt, um Populistenhoden, den „cerebral teilmöblierten“ US-Präsidenten, um KI und Deep Fakes und um Gutes von der Technik-Front (die Katze chippen, per Facebook-Statusänderung Schluss machen). Was es nicht gibt: Schenkelklopfer, auch keine schneidend-sezierende Polit-Analyse des Zeitgeschehens.
Nessi Tausendschön kriegt einen über die Musik: kein Song auch nur andeutungsweise wie der andere, zum Einsatz kommt ihre „nach Ausbildung zur Extrem-Sängerin“ von Max Raabe bis Nena höchst variable Stimme, die singende Säge, Klangschalen, ein elektronisches Instrument namens Theremin, das ohne Berührung gespielt wird, aber schaurig-schöne Töne produziert, sowie ein kanadischer Gitarrist namens William Mackenzie, der nicht nur Slide-Gitarre und Jonglieren kann, sondern sich auch aus einem 13-Euro-Baumarkt-Spaten ein Instrument zu basteln vermag. So entstehen vom Seemanns- bis zum Schlaflied lauter kleine Gaga-Gesamtkunstwerke inklusive Ausdruckstanz und finalem Mutmach-Appell: „Trotz allem haben wir Menschen immer noch das Recht, nach Glück zu streben.“