Neonazidemos in München:Ein Gesetz ohne Folgen

Der Marienplatz als Propagandabühne: Das neue Versammlungsrecht sollte Neonazi-Kundgebungen erschweren - funktioniert hat das bisher kaum.

Bernd Kastner

Samstagnachmittag vergangene Woche, Marienplatz. Es herrscht das übliche Gedränge, doch plötzlich halten Einkäufer und Touristen inne. "NSDAP" ruft jemand in ein Megafon, und auch "Ruhm und Ehre der Waffen-SS".

Neonazidemos in München: Das neue Versammlungsrecht sollte Neonaziaufmärsche erschweren. Ob das Gesetz greift, wird aber bezweifelt.

Das neue Versammlungsrecht sollte Neonaziaufmärsche erschweren. Ob das Gesetz greift, wird aber bezweifelt.

(Foto: Foto: Hess)

Vor dem Rathaus, hinter zwei Reihen Absperrgittern, weht eine NPD-Fahne im Wind, ein Dutzend Rechtsextremisten stehen da, einer liest den Auflagen-Bescheid für die Kundgebung vor. Und so verkünden die Neonazis lautstark, welche Parolen sie nicht rufen, und welche Buchstabenkombinationen sich nicht auf ihrer Kleidung finden dürfen. Es sind die üblichen Verbote, und es ist ein mittlerweile üblicher Anblick: Braune Ideologen nutzen den Marienplatz als Propagandabühne.

Sollte nicht das neue bayerische Versammlungsgesetz eben diesem "braunen Unfug" Einhalt gebieten? So formulierte es Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im vergangenen Jahr. Das umstrittene Gesetz trat im Oktober 2008 in Kraft, weil die Kompetenz für Versammlungen vom Bund auf die Länder übergegangen war.

Ein Dreiviertel Jahr später wird das Gesetz schon wieder diskutiert, weil es die Koalitionsregierung aus CSU und FDP novellieren will, um es "bürgerfreundlicher zu gestalten". Das Bundesverfassungsgericht bemängelte diverse Details, und die jetzige Regierungspartei FDP hatte selbst zu den Klägern gehört. Die maßgeblichen Passagen zu rechtsextremen Aufmärschen sind von den zu erwartenden Änderungen aber weitgehend unberührt, und so fragt man sich: Was hat es gebracht, das Gesetz gegen die ewig Gestrigen?

"Null Fortschritt" im Kampf gegen Neonazis

"Nichts." Hartmut Wächtler, Rechtsanwalt und bundesweit anerkannter Experte für Versammlungsrecht, konstatiert "null Fortschritt" im Kampf gegen Neonazis und beruft sich auf die Gerichtsentscheidungen der vergangenen Monate. Wenn etwa im vergangenen November das Marschieren der äußersten Rechten mit Trommeln und Fackeln verboten wurde, wäre dies auch unter dem alten Gesetz möglich gewesen.

So sieht es auch Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle. Immerhin, räumt er ein, biete das neue Gesetz mehr Rechtssicherheit. Darin ist er sich mit Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer einig. Dessen Beamte haben die undankbare Aufgabe, den braunen Ideologen das Demonstrieren zu ermöglichen: Der Gesetzgeber habe klargemacht, dass er bestimmte Auswüchse nicht toleriere, aber "den großen Sprung nach vorn" im Kampf gegen Nazis sieht der Polizeichef nicht.

Das Gesetz soll vor allem rechte Aufmärsche an historisch belasteten Tagen und Orten unterbinden. Tatsächlich aber sind Hitlers Geburtstag oder die Feldherrnhalle schon lange tabu, was für die These spricht, dass dafür auch das alte Gesetz genügt hätte. Verschwunden sind die Neonazis keineswegs aus dem Stadtbild, im Gegenteil: Verzeichnete das KVR 2007 sieben Nazi-Versammlungen und -Demos in München, 2008 waren es 19, und im ersten Halbjahr dieses Jahres bereits zehn.

Wie wirksam ist das Gesetz?

Christine Stahl, grüne Vizepräsidentin des Landtags, will die Anti-Nazi-Passagen aus dem Gesetz nicht gestrichen wissen. Sie warnt aber vor dem Irrglauben, so den "Rassismus in den Köpfen" bekämpfen zu können. Dafür brauche es das Engagement der Bürger. "Vorgeschoben" sei das Argument mit dem Kampf gegen Nazis gewesen, sagt auch Franz Schindler, Rechtsexperte der SPD-Landtagsfraktion. Aus Sicht der Opposition benutzte die Staatsregierung das Anti-Nazi-Argument nach dem Motto: Wer gegen das Gesetz ist, verhindert, dass sich der Staat wirksam gegen die äußersten Rechten wehrt.

Im Innenministerium verteidigt man die neuen Paragraphen nach wie vor, hat aber ein Problem: die positiven Folgen zu beweisen. "Im einen oder anderen Fall" habe das neue Gesetz "durchaus gegriffen", meint ein Sprecher. Allein, man habe das nur für die ersten Wochen nach dem Inkrafttreten ausgewertet, über das vergangene halbe Jahr habe er derzeit keinen Überblick.

Und überhaupt sei die Interpretation der Folgen "ein bisschen spekulativ". Man wisse ja nicht, wie das Gesetz präventiv auf die Rechtsextremen wirke. Haben die sich im Angesicht der Paragraphen einschüchtern lassen? Wohl kaum. Man denke an den "Heldengedenkmarsch" im November oder die Demo am Gründungstag der Bundesrepublik, dem 23. Mai. Ein wenig leiser ist man im Ministerium schon geworden. Während Herrmann das Gesetz 2008 noch als wichtige Waffe gegen die Nazis pries, sagt sein Sprecher heute: "Ein Allheilmittel kann es nicht sein."Bernd Kastner

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