Neonazi-Prozess:"So ein Ding am Jakobsplatz wäre schon ein Riesenzeichen"

Der mutmaßliche Plan eines Anschlags auf die jüdische Gemeinde zeigt, dass die Rechten in München nicht nur ein paar versprengte Spinner sind.

Von Stephan Handel

Die Wand ist schwer, kalt und abweisend. Sie besteht aus Betonklötzen, die bestimmt Zentner wiegen, darauf Pressspanplatten, drei Meter hoch, da kann niemand drüberschauen. Fünf Meter vor der Wand läuft ein Drahtgitterzaun um den Platz, und Schilder mahnen nicht nur wie üblich Eltern, auf ihre Kinder aufzupassen - hier hängen an den Toren Warnungen, das Betreten der Baustelle werde "strafrechtlich verfolgt".

Wiese, Reuters

Der Neonazi Martin Wiese während des Prozesses in München.

(Foto: Foto: Reuters)

So ist leider wenig zu sehen vom "subtilen Spiel mit den Volumen und Räumen", von den "schlicht gehaltenen" Plätzen zwischen den Gebäuden, von dem "anspruchsvollen stadträumlichen Konzept", wie es die Image-Broschüren in blumiger Architekten- Prosa verkünden. Vor allem aber vermittelt die Wand eins: Die "Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft jüdischer Existenz" in München bleibt vorerst den Blicken der Öffentlichkeit entzogen. Und das Schlimme ist: Es ist wirklich not wendig.

Seit gut einem Jahr wird gegraben und betoniert im Herzen Münchens, am Jakobsplatz. Die Israelitische Kultus gemeinde baut eine Synagoge und ein Gemeindehaus, in dem ein Kindergarten untergebracht werden soll und eine Ganztagsschule, Veranstaltungsräume und ein koscheres Restaurant.

Zwischen den beiden Gebäuden errichtet die Landeshauptstadt das Jüdische Museum; sie ist außerdem für die Gestaltung des gesamten Platzes zuständig - eines Platzes, von dem Oberbürgermeister Christian Ude meint, er zeige, dass "Religion, Kultur und Gemeinschaftsleben in München einen zentralen Platz beanspruchen können".

Dass dieser Platz dennoch verrammelt und verriegelt werden muss, liegt an vier jungen Männern, denen derzeit vor dem Bayerischen Obersten Landes gericht der Prozess gemacht wird. Ihnen wird vorgeworfen, Pläne geschmiedet zu haben, den Platz in die Luft zu jagen mit einer Bombe, weshalb sie jetzt angeklagt sind nach Paragraf 129a des Strafgesetzbuchs, also wegen der "Bildung einer terroristischen Vereinigung".

Sporttasche mit Sprengstoff

Ach, da war doch nichts, sagen die vier Angeklagten, das war doch alles nicht ernst gemeint, ein Scherz, mehr nicht. Außerdem: "Unter den Kameraden war Disziplin und Ruhe", geradezu pazifistisch muss man sich das vorstellen.

Wenn sie von der "Kameradschaft Süd" nicht gewesen wären, dann hätte der eine oder andere Kamerad auf der einen oder anderen Demonstration vielleicht doch mal angefangen, sich mit dem Gegner zu prügeln oder mit der Polizei.

Zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung, so sagen es die Angeklagten, haben sie in Wäldern rund um München eine Art Manöver abgehalten, haben exerziert und geübt, und zur Entspannung haben sie sich hinterher mit Softball-Pistolen beschossen.

Immer donnerstags war Stammtisch, da mussten die Handys ausgeschaltet und die Sim-Karten daraus entnommen werden, damit niemand zuhören konnte, wenn über interessante Themen diskutiert wurde: zum Beispiel über die Wohnungsnot, über Schlachtschiffe des Deutschen Reiches, und, einer sagt das wirklich so, "über Migrationsprobleme".

Natürlich hat sie auch das Jüdische Zentrum am Jakobsplatz gewurmt, vor allem aber der Termin für die Grundsteinlegung: der 9. November 2003. Das Datum gehörte ihnen, fanden sie, denn an diesem Tag war 80 Jahre zuvor ein gewisser Adolf Hitler zur Feldherrnhalle marschiert, misslungen zwar der Putsch, dennoch ein Heldendatum für die jungen Männer mit den kurzen Haaren. "So ein Ding am Jakobsplatz wäre schon ein Riesenzeichen", hätten sie sich untereinander gesagt. Aber war doch nur Spaß.

Wenige Wochen vor der Feier wurden sie verhaftet, sie und noch einige andere. Als alles durchsucht war, hatte die Polizei eine Sporttasche in Händen mit rund 18 Kilogramm - vermeintlichem - Sprengstoff und einer Handgranate. Am Ende blieben zwar nur 1,8 Kilogramm TNT, weil sie den Rest in Polen aus Übungsminen gekratzt hatten, die mit einer Art Gips befüllt waren. Aber das hätte gereicht, einen gehörigen Schaden anzurichten - am Bauwerk, mehr aber noch an der Reputation und dem Image der Stadt.

Darüber wird also nun verhandelt seit Ende November: Haben Martin Wiese und Alexander Maetzing, die man wegen ihrer zweifelhaften Prominenz namentlich kennzeichnen darf, sowie Karl-Heinz St. und David Sch. tatsächlich geplant, die Feier zur Grundsteinlegung in die Luft zu sprengen? Oder können sie nur wegen Sprengstoffbesitzes verurteilt werden?

Der Prozess plätschert im Moment ein wenig vor sich hin, wie immer, wenn sich das Gericht in der Beweisaufnahme befindet und klein für klein die Steinchen zusammenträgt, die am Ende ein Urteil ergeben sollen. Deshalb haben die Prozessbeobachter Zeit, die Angeklagten zu beobachten, wie sie schauen, was sie sagen, wie sie sich geben.

"So ein Ding am Jakobsplatz wäre schon ein Riesenzeichen"

Martin Wiese hat den Schädel rasiert und nur die Koteletten stehen lassen, außerdem einen Bart rund um den Mund. Das ist nicht sehr attraktiv, aber er gibt sich eh keine große Mühe, auf irgendeine Art sympathisch zu wirken. Wiese ist jetzt 28 Jahre alt, er kam 2002 nach München, aus Mecklenburg-Vorpommern, wo er geboren wurde und zu Beginn der neunziger Jahre anfing mit seiner Karriere als Neonazi. Er hat zum Beispiel bei den Brandanschlägen auf ein Ausländerheim 1992 in Rostock mitgemacht. In Bayern stieß er schnell zum "Aktions büro Süd", das damals noch von Norman Bordin geleitet wurde.

Als Bordin 2003 zu einer 15-monatigen Haftstrafe wegen versuchter schwerer Körperverletzung verurteilt wurde, übernahm Wiese die Leitung der Gruppe. In dem jetzt laufenden Prozess hat er zunächst geschwiegen, dann aber ausgesagt, es habe zwar den Sprengstoff gegeben, aber keine konkreten Attentats pläne.

Zwei Sitze weiter hat Karl-Heinz St. Platz genommen. Er ist nicht besonders groß, und er verschränkt seine Arme so, dass die Oberarmmuskeln unter dem T-Shirt kräftiger erscheinen. Auch er trägt keine Haare auf dem Schädel, dafür ein kleines Bärtchen und meistens ein Grinsen im Gesicht, das wohl spöttisch wirken soll, aber dazu ist es zu eingefroren.

Nur einem scheint es zu dämmern

Freundlich begrüßt er manchmal Kameraden, die als Zuhörer in den Gerichtssaal gekommen sind. Es gibt ein Foto aus dem Jahr 2002, eine Demonstration in Wunsiedel, da steht Karl-Heinz St. hinter Martin Wiese und hält ein Plakat in die Luft, das behauptet, Rudolf Heß sei "von den Besatzern ermordet" worden.

Am Ende der Anklagebank sitzt David Sch., der jüngste der vier. Er scheint der Einzige zu sein, dem wohl zu dämmern beginnt, wohinein er sich da geritten hat - bis zu zehn Jahren Haft drohen jedem der Angeklagten. Während Karl-Heinz St. in seiner Aussage an seiner politischen Einstellung grundsätzlich festhielt - "die Körperertüchtigung war nur sportliche Betätigung", sagte er beispielsweise über die paramilitärischen Übungen im Wald-, versucht David Sch., deutlich weniger schönzufärben.

Zwar hätten sie sich geärgert über das Jüdische Zentrum mitten in der Stadt - aber über einen Bombenanschlag hätten sie nie gesprochen, eher über eine Mahnwache, eine Demo oder höchstens darüber, mit Schweineblut das Gelände zu besudeln, so dass es nicht mehr koscher gewesen wäre.

Zwischen Wiese und Karl-Heinz St. sitzt Alexander Maetzing, zweiter Mann hinter Wiese in der "Kameradschaft Süd" - die interessanteste und vielleicht die prozessentscheidende Figur. Denn als die mutmaßlichen Attentatspläne aufflogen, saß Maetzing schon in Haft; er hatte mit einem anderen "Kameraden" einen Abtrünnigen handfest davon zu überzeugen versucht, dass das Aussteigen aus der Nazi-Szene keine gute Idee sei.

Im Gefängnis konfrontierte ihn die Polizei mit dem Stand der Ermittlungen - und Maetzing packte aus. Nun hat er das Problem, dass ihm nicht nur eine lange Strafe droht. Seine ehemaligen Kameraden werden ihm den Verrat nicht verzeihen, weshalb er wohl auch im Gefängnis kein angenehmes Leben hätte.

Einsicht in den Wahnsinn

Deshalb versucht er nun, seine damaligen Aussagen zu relativieren: Zu seiner Zeit habe es keine konkreten Anschlagspläne gegeben. Als er aber hörte, was die Polizei ihm sagte, habe er gedacht, nun seien die Kameraden durchgedreht und hätten ernst gemacht. Um seinen Kragen zu retten, habe er gestanden, mehr gestanden, als er eigentlich wissen konnte.

Allerdings hat er aus der Haft einen Brief an seine Freundin geschrieben, wohl wissend, dass der kontrolliert und vom Richter gelesen wird. "Ich wählte die Ungnade, wo Gehorsam keine Ehre bringt", schrieb Maetzing. Das könnte Einsicht bedeuten, Einsicht in den Wahnsinn der Anschlagspläne.

Während also der Prozess seinen Gang nimmt, während Zeugen aussagen oder nicht aussagen, während die Vertei digung mit dem Gericht streitet und vor dem Saal sich die Polizisten langweilen, die dafür sorgen sollen, dass die strengen Sicherheitsvorkehrungen eingehalten wer den - während all dem ist die Neo nazi-Szene in München keineswegs untätig.

Norman Bordin, Wieses Vorgänger als Anführer der "Kameradschaft Süd", ist mittlerweile aus dem Gefängnis entlassen. In Bernau saß er, was ganz praktisch war, denn dort ist auch Friedhelm Busse inhaftiert, eine Galionsfigur der Rechten.

Der verpasste Bordin den Ritterschlag: Er habe, schreibt Busse, Bordin als "zuverlässigen und unbeugsamen Kameraden kennen und schätzen gelernt", weshalb er, Busse, "alle Kameradinnen und Kameraden des Nationalen Widerstands" auffordere, "Norman Bordin das gleiche Vertrauen und die gleiche Gefolgschaftstreue zu schenken".

Außerdem kündigte Busse an, es solle nun enger Kontakt gehalten werden zur NPD, "die als Phalanx des nationalen Befreiungskampfes eines Tages die Mitverantwortung für die Gestaltung unseres künftigen Staates tragen wird".

Der Gast aus Dresden

Bordin machte sich sofort ans Werk. Auf Martin Wiese ist er nicht mehr so gut zu sprechen, ihn bezeichnet er mittlerweile als "Unfall". Bordin übernahm erneut die Führung der Kameradschaft Süd, dann trat er in die NPD ein.

Am Sonntag vor einer Woche hatte der Münchner Stadtrat Johann Weinfurtner, der mittlerweile sogar seinen Republikanern zu rechts ist, zum "Politischen Neujahrstreffen" nach München geladen, und da waren sie dann alle beisammen:

Bordins Kameraden bewachten die Veranstaltung, drinnen redeten Vertreter der "Deutschen Partei", des "Schutzbundes für das deutsche Volk", der "Deutschlandbewegung" und dazu noch Holger Apfel, stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD und im sächsischen Landtag gerade unangenehm aufgefallen, weil er meinte, die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazis und die Bombar dierung Dresdens durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg sei irgendwie das Gleiche.

An diesem Donnerstag geht der Prozess gegen Martin Wiese und die drei Mitangeklagten weiter. Für den 13. Februar hat die NPD in München eine Mahnwache angekündigt, wogegen auch immer, und für den 19. März eine Demonstra tion. Wie lange der Bomben-Prozess noch dauern wird, kann niemand sagen. Die Wand am Jakobsplatz, die kalte, harte, abweisende, wird wahrscheinlich länger stehen bleiben.

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