Gastronomie:Diese Frau führt Deutschlands erstes digitales Weingut

Gastronomie: Nelly Fischer ist gelernte Winzerin und hat internationale Weinwirtschaft studiert.

Nelly Fischer ist gelernte Winzerin und hat internationale Weinwirtschaft studiert.

(Foto: Catherina Hess)

Nelly Fischer will Leute erreichen, die gerne Wein trinken. Auch diejenigen, die sich nicht besonders gut auskennen. Die junge Winzerin setzt auf Geschmack, weniger auf Herkunft und Rebsorte.

Von Laura Kaufmann

Nelly Fischer war keines dieser Kinder, das mit einem festen Berufswunsch groß wurde. Irgendwas beim Film vielleicht, denn nirgends konnte sich die junge Nelly so verlieren wie in einem guten Film, und das Leben am Set stellte sie sich spannend vor. Schließlich brachte sie ein Film auf andere Ideen: "Ein gutes Jahr" mit Russell Crowe. 15 Jahre alt war sie da. Das sonnige Weingut in der Provence, das gute Leben in der Natur und eine ordentliche Prise Liebeskitsch. Es wirkte traumhaft. "Ich bin auf dem Land aufgewachsen und wollte immer etwas Naturbezogenes machen."

Jetzt sitzt sie in ihrer Bar mitten im Glockenbachviertel, die Beine locker übereinander geschlagen. Eher wenig Natur, der Himmel so grau wie die Straße, aber ein Glas Wein vor sich. Nur für ein Foto, es ist schließlich erst Nachmittag. Die Fotografin versucht, sie aus der Reserve zu locken. Gar nicht so leicht. Die 32-Jährige hat eine fröhliche Unverbindlichkeit an sich, an der aber auch das graue Wetter abperlt und die Probleme, von denen sie erzählt. Sie lacht die weniger schönen Erfahrungen einfach weg.

Die Atmosphäre rund um den Wein ist immer locker

Erst einmal hineinschnuppern in die Weinwelt wollte sie nach dem Abi, und so ging sie weg von Celle in der Nähe von Hannover, ihrem Zuhause, hin nach Würzburg auf ein Weingut. Und weil es ihr dort gut gefiel, ließ sie sich dort zur Winzerin ausbilden. Sie lernte, was alles auf dem Weinberg passiert und anschließend im Weinkeller, und wie man die fertige Flasche später vermarktet. "Ich habe gemerkt, dass nur im Weinberg stehen nicht mein Ding ist. Das ist schon hart", sagt die 32-Jährige. "Aber Wein ist dort trotzdem endgültig zu meiner Leidenschaft geworden. Ein superspannendes Produkt, sehr von der Natur abhängig - und die Atmosphäre drumherum ist immer locker, die Kunden glücklich."

Sie ging nach Geisenheim und studierte dort internationale Weinwirtschaft, inklusive Auslandssemester in Argentinien, wo sie, Erasmus eben, viel feierte und nebenher etwas studierte. Ein kleines Tattoo mit den Umrissen Argentiniens verewigt die Zeit auf ihrem Knöchel, so wie der Notenschlüssel unter ihrem Handgelenk für die Liebe zur Musik steht. Und auch für die Liebe zur Familie. Die Großmutter brachte ihr Piano spielen nahe.

Nach der Uni stieß sie auf eine Anzeige von Juliane Eller, die eine Assistenz suchte. Als "Weinrebellin" wird Eller betitelt, ihr Podcast heißt "You never drink alone", sie hat über 49 000 Follower auf Instagram und Weine mit Joko Winterscheidt und Matthias Schweighöfer herausgebracht. "Sie ist eine Vorreiterin, was das Weinmarketing angeht und hat den Markt damit ziemlich aufgerüttelt", sagt Fischer. "Ihr Wein ist sehr mit ihr als Person identifiziert. Ich fand das superspannend, genau mein Vibe."

"Die Weinwelt wird eben noch sehr beherrscht von alten weißen Männern."

Nelly Fischer trägt beim Gespräch ein pinkes Sakko und weiße Turnschuhe, sie sieht jünger aus als 32. Die Welt der Weine ist nach wie vor sehr männlich dominiert und elitär, Frauen wie Juliane Eller sind Fischers Vorbild. Sie bekam den Job bei Eller und sagt, es hätte einfach gepasst. Sie unterstützte Eller beim Aufbau von Struktur für ihr Business. Die beiden arbeiteten auf dem Weingut von Ellers Eltern, die dort ganz klassisch Wein vertreiben. Von älteren Kunden wird Fischer, wenn sie am Empfang steht, oft nicht für voll genommen. "Die Leute haben gedacht, sie können mir etwas erzählen über Wein - und waren dann überrascht." Ein Gefühl, dem sie öfter begegnet, aber entspannt entgegentritt. "Die Weinwelt wird eben noch sehr beherrscht von alten weißen Männern."

Gastronomie: Nelly Fischer in ihrer Weinbar "Dizzy Daisy".

Nelly Fischer in ihrer Weinbar "Dizzy Daisy".

(Foto: Catherina Hess)

Fischer lässt sich davon nicht abhalten. Bei einer Weinprobe auf dem Weingut lernte sie ihren heutigen Freund kennen, einen Münchner. "Hast du Headhunter darauf angesetzt, mich nach München zu bringen?", fragte sie ihn eines Tages scherzhaft am Telefon. Sie hatte einen Anruf bekommen, es gäbe da eine Idee. Ob man sich nicht zusammentun möchte. Erst nahm sie die Sache nicht besonders ernst, nach einem weiteren Gespräch aber sah sie die Chance. "So eine kriegt man nicht alle Tage", sagt Fischer.

"Viele kaufen im Supermarkt nach Etikett."

Die Idee: "Wyne", ein Onlinestore für Wein, der sich eher an Frauen richtet, Wein als Lifestyle-Produkt versteht und sich statt auf Lagen und Rebsorten auf den Geschmack konzentriert. Aufgebaut mit Nelly Fischer, der gelernten Winzerin, als Vertrauensperson, die die Wyne-Weine mit befreundeten Weingütern macht. Der Shop soll sich an Menschen richten, die sich nicht so gut auskennen, aber gerne guten Wein trinken wollen.

Genau ihr Ding.

"Viele kaufen im Supermarkt nach Etikett und trinken dann einen Wein, der nicht besonders gut ist." Das sind die Menschen, die Nelly Fischer erreichen möchte. Die, die eine Jules-Mumm-Werbung gesehen haben und dann den Sekt kaufen, weil sie das in der Werbung transportierte Lebensgefühl haben wollen. Sie will keine wohlwollende Erwähnung in einem Branchenmagazin, sondern guten Wein für die breite Masse etablieren.

Eine Selbständigkeit war ohnehin ein Traum, jetzt wurde sie ihr auf dem Silbertablett präsentiert. "Ich bin neugierig und springe oft direkt ins kalte Wasser, ohne groß darüber nachzudenken", sagt sie. Die ersten Bedenken, ob es wirklich noch einen weiteren Onlineshop für Wein braucht, schob sie beiseite. Sie will sich verwirklichen und ging nach München. Die Start-up-Welt ist eine ganz andere als die angestaubte Weinwelt, in der sich Nelly Fischer als junge Frau ununterbrochen beweisen muss, und auch das gefällt ihr. Aber drei Tage nach ihrem Umzug kam der Lockdown. Nicht der beste Start. Neue Leute kennenlernen fiel aus, der Onlineshop entstand im Homeoffice mit Videocalls.

Und während der Onlinehandel überall schon durch die Decke ging, arbeitete sie noch mit Hochdruck an "Wyne" - und ging immerhin im August 2020 live. Es lief nicht schlecht, als die Corona-Regelungen gelockert werden und die Menschen wieder nach draußen strömen, suchten sich die Wyne-Partner einen Pop-up-Store. Eine gute Zeit, Fischer war wieder unter Menschen. Nach und nach aber wurde es wirtschaftlich schwieriger. Einen neuen Investor hätte es gebraucht, aber der war nicht in Sicht. Fischer wurde auf viele Veranstaltungen eingeladen, das Handelsblatt schrieb "Nelly Fischer führt Deutschlands erstes digitales Weingut" und das Feedback war gut. Aber die Zahlen, die waren es eben nicht mehr.

Vielleicht zu viel "Trial and Error"

Die Website soll weiterlaufen, die Weine können immer noch dort gekauft werden, ansonsten aber sollten erst einmal keine weiteren Kosten produziert werden, entschieden die Gesellschafter letzten Sommer schließlich. "Ich bereue es nicht. Die Lernkurve ist und war immens." Fischer lacht, wenn sie die Geschichte erzählt, wie so oft. "So richtig am Boden zerstört hat es mich nicht." Auch, weil es kein harter Cut war, es gibt den Onlineshop ja noch. "Ich hatte eher damit zu kämpfen, wieder zu Kräften zu kommen, weil es eine zehrende Zeit war." Der Kopf voll, und trotzdem nicht wissen, wo man anfangen soll. "Typisch Start-up eben." Sie hätten noch mehr herausarbeiten müssen, wofür Wyne steht, was sie anders machen als die anderen, meint sie heute. Es hatte durch die Pandemie plötzlich schnell gehen müssen und die Mittel waren begrenzt. "Vielleicht war es zu viel Trial and Error."

Für Fischer ergab sich aus dem Wyne-Pop-Up-Store eine andere Chance: Einer ihrer Kunden ist Gastronom und hatte einen Laden an der Hand, der neu belebt werden soll. Nelly Fischer treibt die Demokratisierung der Weine jetzt lokal in der Weinbar "Dizzy Daisy" in der Thalkirchner Straße 10 voran. Das Konzept ist von ihr und der Look, und natürlich hat sie die Weine ausgewählt. Die "Dizzy Daisy"-Weine hat sie gemeinsam mit der Winzerin Jana Hauck kreiert. Das Konzept geht auf: Ein sehr junges, unprätentiöses Publikum trifft sich hier. Eines, das ebenso gut durch die benachbarten hippen Glockenbachbars ziehen könnte. Und Fischer liegt das, "ich bin Gastgeberin durch und durch, ich mag das, für gute Stimmung zu sorgen und dass sich alle wohlfühlen." Nur die späten Arbeitszeiten möchte sie nicht dauerhaft haben. "Und es wäre schön, auch die zu erreichen, die nicht in München wohnen." Ob das eine Reaktivierung von Wyne wird, ein ähnliches Konzept, oder sogar so etwas wie Tupperpartys für Wein - Ideen hat sie genug. Nur mit dem Trend zum alkoholfreien Wein kann sie, zumindest im Moment, noch nicht besonders viel anfangen. "Da bin ich eher konservativ: Ich trinke doch lieber Wein mit Wumms."

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