Netzwerk:Seinen Nachbarn lernt man im Internet kennen

Netzwerk: Silke Stähler-Schöpf hat die Gruppe "Hundesitter gesucht" auf der Plattform gegründet.

Silke Stähler-Schöpf hat die Gruppe "Hundesitter gesucht" auf der Plattform gegründet.

(Foto: Catherina Hess)
  • Seit drei Jahren gibt es das soziale Netzwerk nebenan.de
  • Dort werden Nutzern nur Kontakte aus der unmittelbaren Umgebung angezeigt.
  • In München gibt es laut Betreiber mehr als 80 000 Nutzer.

Von Manuel Kronenberg

Mit der altmodischen Methode ist Lukas Hoerpel nicht sehr erfolgreich. Aber immerhin traut er sich, was anderen Menschen vielleicht unangenehm wäre: Er spricht fremde Leute an, direkt auf der Straße, ganz persönlich. Der 19-jährige Student ist vor kurzem aus dem Ausland nach München zurückgekehrt und ist jetzt auf der Suche nach Mitstreitern für sein neues Hobby.

Als die Dame mit dem Cello auf dem Rücken an ihm vorbeiläuft, geht er auf sie zu. Sie ist quasi eine Kollegin: Hoerpel lernt seit zwei Jahren Geige. Ob sie schon mal von Soundpainting gehört habe, fragt er sie. Nein, antwortet die Cellistin. Aber sie hört interessiert zu, als Hoertel erklärt, was es mit seinem speziellen Hobby auf sich hat. Leider passe es zeitlich nicht, sagt sie, aber er solle es doch mal im Internet auf nebenan.de probieren.

Eigentlich ist Hoerpel kein großer Fan von sozialen Netzwerken. Aber er sieht die Chance, über die Plattform Leute von seinem Vorhaben zu begeistern. Also erstellt er ein Profil und postet eine Veranstaltung. Dort erklärt er, was Soundpainting überhaupt ist: eine Zeichensprache, mit der Improvisation gesteuert werden kann. So kann ein Dirigent eine Gruppe von Musikern, Tänzern und anderen Künstlern anleiten und sozusagen live eine Komposition schaffen. Jetzt ist Hoerpel gespannt, ob er über nebenan.de Gleichgesinnte findet.

Was auf der Straße nicht klappt, soll über den digitalen Weg funktionieren - genau so stellen es sich die Betreiber von nebenan.de vor. Die Plattform ist ein lokales Netzwerk und unterscheidet sich von Konkurrenten wie Facebook: Es soll Menschen aus der Nachbarschaft zusammenbringen - und damit Leute, die in der Nähe wohnen, sich aber nicht kennen. Auf einer Karte sind klar definierte Gebiete eingezeichnet; in München zum Beispiel gibt es 172 Nachbarschaften. Wer sich anmeldet, muss seine Adresse verifizieren und kann nur mit Leuten aus seiner eigenen und den angrenzenden Nachbarschaften in Kontakt treten.

"Wir wollen die Hürde senken, auf einen Nachbarn zuzugehen", sagt Gründer Christian Vollmann. Das Internet enthemme die Leute ja bekanntlich - und dies wolle er zum Positiven nutzen. Vollmanns Vorstellung dabei ist, dass man zwar digital anklopft, dann aber einen persönlichen Austausch eingeht. So sollen Nachbarschaften in lebenswerte Orte verwandelt werden.

Ganz in der Nähe von Hoerpel wohnt Silke Stähler-Schöpf. Sie leitet im Max-Planck-Institut für Quantenoptik ein Labor für Schüler, die dort mit Licht experimentieren können. Weil auch ihr Mann arbeitet und die Söhne studieren, braucht sie jemanden, der sich tagsüber um ihre Hündin Ginny kümmert. Auf nebenan.de hat sie deshalb die Gruppe "Hundesitter gesucht" gegründet. "Da habe ich jetzt schon 93 Mitglieder", sagt sie. Inzwischen kann sie gar nicht mehr alle Nachrichten beantworten. Über die Gruppe hat sie eine Frau kennengelernt, mit der sie sich gut versteht. Seither kümmert sich die Nachbarin an zwei Tagen in der Woche um Ginny.

München gehört zu den aktivsten Städten auf nebenan.de

Es geht nicht nur darum, wie Hoerpel Leute mit gleichem Hobby zu suchen. Die Nachbarn sollen sich austauschen und gegenseitig helfen. So laden die einen zum Beispiel zum Sonntagsfrühstück ein, andere suchen Putzhilfen oder Hebammen. Das Netzwerk bietet auch einen Marktplatz. Stöbert man hier in den Angeboten, sieht man Klamotten oder Konzerttickets, aber auch Dinge wie ein Nasenspülset, eine Toilettensitzverkleinerung oder den kompletten Inhalt eines Kinderzimmers.

Stähler-Schöpf erzählt, dass eine Nachbarin einmal Quitten zu verschenken hatte. Sie habe sofort geschrieben und sei vorbeigegangen. "Und wer macht mir die Tür auf? Eine, die ich vom Chor kenne. Das war wirklich lustig." Weil sie auf nebenan.de nur den Vornamen gesehen habe und nicht wusste, wo ihre Chorkollegin wohnt, habe sie damit nicht gerechnet.

Große Nachfrage

Das Thema Nachbarschaftshilfe hat längst die Kommunalpolitik erreicht. Vor allem die SPD-Stadtratsfraktion hat, teilweise gemeinsam mit dem Kooperationspartner von der CSU, in den vergangenen Monaten einige Vorstöße gewagt, um insbesondere ältere Menschen zu unterstützen, die nicht mehr ohne fremde Hilfe einkaufen, putzen oder andere Dinge im Haushalt erledigen können. Schon jetzt kommen Hilfsdienste nicht ohne Ehrenamtliche aus. Ohne die Freiwilligen könnte die große Nachfrage nach bezahlbarer Unterstützung nicht annähernd befriedigt werden. Das Sozialreferat soll nun darstellen, welche Angebote es bereits gibt und wo diese verbessert werden könnten. Zudem sollen die Helfer entlastet werden. Denkbar wäre, so argumentieren SPD und CSU, eine Notrufnummer, die abends und am Wochenende durchgehend erreichbar ist, um schnell Unterstützung zu organisieren, wenn diese dringend nötig sei. Die Sozialdemokraten wollen zudem bereits bestehende Angebote der Nachbarschaftshilfe für Senioren, wie sie etwa die Vereine Nachbarschaftshilfe Aubing oder Wohnen im Alter im Cosimapark machen, auch auf andere Stadtteile ausweiten. Die Stadtverwaltung soll dazu noch in diesem Jahr Stellung nehmen. mest

Für Leute wie Stähler-Schöpf geht Vollmanns Vision also auf - und auch, wenn man nach den Zahlen geht: Das Netzwerk ist mittlerweile seit gut drei Jahren online. Bereits im vergangenen Herbst wurde die Marke von einer Million Nutzern geknackt. In Deutschland wird nebenan.de in allen großen Städten, aber auch in kleinen Dörfern genutzt. Zudem ist das Netzwerk in Frankreich, Spanien und Italien vertreten. Laut den Betreibern ist München mit mehr als 80 000 Nutzern eine der aktivsten Städte. Die lebendigsten Nachbarschaften sind dabei das Glockenbachviertel, das Franzosenviertel und Alt-Sendling. Dort gibt es jeweils deutlich mehr als 1000 Nutzer.

Seit kurzem kümmern sich Vollmann und sein Team verstärkt um das Thema Refinanzierung. Wie Facebook Daten sammeln und Werbung schalten, das wollen sie auf keinen Fall, sagt Vollmann. Bisher wurde das Startup von Investoren gestützt. Inzwischen können auch Nutzer freiwillige Förderer werden. Zudem gebe es vermehrt Kommunen, die den Mehrwert von nebenan.de erkennen, sagt Vollmann. Oftmals klopfen auch kleinere Gemeinden an und seien bereit, sie zu unterstützen, damit das Netzwerk auch in ihrer Gegend aufgebaut werden könne. Anfangs konnten sich nur Einzelpersonen anmelden. Jetzt dürfen auch Gewerbetreibende gegen ein Entgelt ein Profil erstellen und Veranstaltungen posten - auch die bereichern die Nachbarschaft, findet Vollmann.

Clara Holzheimer ist Koordinatorin im Stadtteilkulturzentrum Guardini90 in Hadern, welches niederschwellige Kulturangebote schafft. Für das Zentrum hat sie ein Profil auf nebenan.de erstellt. "Wir nutzen die Plattform, um unsere Veranstaltungen bekannt zu machen", sagt Holzheimer. So habe man eine neue Zielgruppe erreichen können. Ehrenamtliche für ihr Kulturzentrum habe sie aber nicht über nebenan.de rekrutiert. Wenn es um langfristiges Engagement geht, schaue sie sich zum Beispiel eher auf der Münchner Freiwilligenmesse um.

Doch Holzheimer nutzt die Plattform auch privat. Sie findet, dass die Seite für eine Vernetzung auf lokaler Ebene viel besser geeignet ist als Facebook. Für Hoerpels Soundpainting-Aktion stellt sich nebenan.de ebenfalls als hilfreich heraus. Nach zwei Tagen hat er schon genügend Leute beisammen, mit denen er sich jetzt zum Improvisieren treffen kann.

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