Neben berühmten Männern begraben:Treue Gattin, edle Witwe

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Grabinschriften haben Adelheid Schmidt-Thomé zu vergessenen Münchnerinnen geführt

Von Birte Bredow

Die Initialzündung war diese Inschrift auf dem Grabstein von Friederike Thoma: "Die unsterbliche Tante Frieda in Ludwig Thoma's Lausbubengeschichten." Sie war es, die Adelheid Schmidt-Thomé bei einem Spaziergang über den Alten Südfriedhof stutzig machte. Waren die Worte ernst gemeint oder doch ironisch? "Die Grabinschrift und die gehässige Art, auf die er über sie geschrieben hat, passen einfach nicht zusammen", sagt die Historikerin. Viele Leser wüssten nicht einmal, dass die mürrische Frau in den Werken des Schriftstellers ein reales Vorbild hat. Friederike Thoma war dann die erste von vielen Frauen, mit denen sich die Lektorin in den vergangenen zwei Jahren beschäftigte. "Vergessene Münchnerinnen" nannte sie ihr Projekt.

Adelheid Schmidt-Thomé begann zu recherchieren. Sie fand heraus, dass Friederike Thoma die "übrig gebliebene" Tochter eines höheren Beamten war. Wegen fehlender Mitgift konnte sie nicht heiraten, durfte aber auch nicht arbeiten. Ihr Neffe schuf nach diesem Vorbild die Figur einerbösartigen Verwandten, die darunter leidet, im Leben zu kurz gekommen zu sein. "Ich habe Verständnis dafür, dass man in so einer Situation verbittert wird", sagt Schmidt-Thomé. Schnell stellte sie fest, dass auf dem Friedhof zahlreiche weitere Frauen mit erzählenswerten Geschichten begraben liegen.

Adelheid Schmidt-Thomé am Grab von Friederike Thoma auf dem Alten Südfriedhof. (Foto: Robert Haas)

So wie Ellen Amman. Sie war im Jahr 1919 nicht nur eine der ersten weiblichen Landtagsabgeordneten, sondern gründete auch die Münchner Bahnhofsmission - um junge, unerfahrene Frauen vom Land davor zu schützen, in der Stadt in die Hände von Menschenhändlern zu fallen. Oder Lady Charlotte Blennerhassett, die sich dem Studienverbot durch ihre Eltern widersetzte und später Biografien, darunter eine über Marie Antoinette, verfasste. Und die Schauspielerin Clara Ziegler, die in ihrem Beruf sehr erfolgreich war und das Deutsche Theatermuseum gründete.

Drei Beispiele für Frauen, die sich im 19. und 20. Jahrhundert für Belange einsetzten, die noch heute relevant sind. Oft liegen sie neben ihren berühmten Männern, Vätern und Brüdern begraben - doch im öffentlichen Gedächtnis der Stadt München spielen sie kaum eine Rolle. Das will Schmidt-Thomé ändern.

Seit zwei Jahren steckt sie jede freie Minute in ihr Projekt "Vergessene Münchnerinnen". Zu der Zeit, in der sie auf die Geschichte Friederike Thomas stieß, steckte Schmidt-Thomé in einer Auftragsflaute. Heute nun betreibt sie das Projekt quasi hauptberuflich, lektoriert nur noch ab und zu. "Aber ich bin froh, dass ich davon nicht leben muss", räumt sie ein. Ihr Ehemann unterstützt sie, hilft auch manchmal bei den Bildern. Ende 2015 brachte sie den ersten Kalender heraus. Jeder Monat ist mit Kurzporträt und Fotos einer vergessenen Münchnerin gewidmet. Auch für das Jahr 2017 ist eine Ausgabe mit zwölf Frauen erhältlich. Aktuell schreibt sie an einem Buch mit ausführlicheren Biografien. Im Sommer bietet sie Führungen über den Friedhof an.

Friederike Thoma, aus dem Kalender vergessene Münchnerinnen. (Foto: Monacensia/oh)

Immer wieder stößt sie bei ihren Recherchen an Grenzen, die Quellenlage ist schwierig: Da ist die Apothekerstocher, die "Charkutiersgattin" oder - so die Lieblingsgravur der 61-Jährigen - die "Königlich bayerische Hofpianofortefabrikantenswitwe". Die Inschriften auf den Grabsteinen spiegeln den Status der Frauen in der damaligen Gesellschaft, der sich überwiegend durch die Männer ihrer Familien definierte. Nicht nur auf dem Alten Südfriedhof, sondern auch in den Archiven, in denen die Historikerin forschte, ist Geschichte überwiegend maskulin.

Es sind nicht ausschließlich die Biografien der historischen Münchnerinnen, die Schmidt-Thomé beschäftigen: "Es gibt auch heute noch viel zu tun." Sie ist Mitglied bei den Bücherfrauen, einem Verband, der sich unter anderem für die Gleichstellung der Geschlechter in der Verlagsbranche einsetzt. Schon kleine gesellschaftliche Fortschritte freuen sie: "Ich habe das Gefühl, dass auch Männer wacher für Frauenthemen werden." Ein paar haben sogar ihren Kalender bestellt.

Auch eine "vergessene Münchnerinnen": Clara Ziegler. (Foto: Robert Haas)

Schon bald könnte der Erfolg ihrer Arbeit direkt am Alten Südfriedhof sichtbar werden. Die Tafel im Eingangsbereich, die zu den Gräbern berühmter Persönlichkeiten leitet, soll laut Umweltreferatssprecher Alois Maderspacher im Frühjahr erneuert werden. Beate Bidjanbeg, Mitglied des Bezirksausschusses und der Geschichtswerkstatt Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt, begrüßt das Projekt: "Adelheid Schmidt-Thomé hat verdiente Frauen mehr in den Fokus gerückt. Es wäre wünschenswert, wenn einige von ihnen hinzugefügt werden." Entschieden sei allerdings noch nichts. Der Bezirksausschuss habe aber zugesichert, lokale Kompetenz wie die der Historikerin, in die Beratung mit einzubeziehen.

Eine Feministin sei sie trotz allem nicht, sagt Schmidt-Thomé: "Dafür bin ich nicht konfliktfreudig genug." Doch die Arbeit über die vergessenen Münchnerinnen habe ihren Blick darauf geschärft, was es bedeutet, eine Frau zu sein - damals und heute: "Man muss den Mut haben, unkonventionell zu sein und sich nicht aus der Bahn schubsen lassen."

Adelheid Schmidt-Thomé, "Vergessene Münchnerinnen", der Kalender 2017 kann für 13 Euro (plus 5,60 Euro für den Versand) per E-Mail an schmidt-thome@t-online.de bestellt werden.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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