Naturschutz:Grünes Refugium

Seit 25 Jahren dient das Gebiet rund um den Rangierbahnhof Nord der Erholung und dem Artenschutz

Von Simon Schramm, Moosach/Fasanerie

Was manche zumindest ansatzweise sehen oder während eines Spazierganges durch das Erholungsgebiet rund um den Rangierbahnhof Nord nur am Rande wahrnehmen, kann ein Experte wie Heinz Sedlmeier fachlich korrekt auf den Punkt bringen. Zum Beispiel dann, wenn er die seltenen Arten aufzählt, die dort zu finden sind. Und so schwärmt der Geschäftsführer des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) vom Neuntöter oder der Dorngrasmücke, von den Wildbienen oder von wohl mit der Bahn eingeschleppten Gottesanbeterinnen. Und er nennt die Zahl von 400 verschiedene Pflanzenarten - die Sanddornbüsche zum Beispiel, die im Winter ab und an große Schwärme der Seidenschwänze aus dem Norden anlocken. "Das Gelände um den Rangierbahnhof ist das artenreichste in ganz München", fasst Sedlmeier zusammen.

Wenn einem die Idylle westlich der Lassallestraße nicht bekannt wäre, man würde sie wohl nie entdecken. Man würde die Straße weiterfahren und auch von den fast versteckten Zugängen zu dem Gelände keine Notiz nehmen. Doch schlüpft man auf dem kurzen Weg durchs Dickicht oder steigt unter der rostbraunen Schranke hindurch, steht man sofort in einer anderen Welt. Umrahmt von Birken, Weiden und Faulbäumen liegt dort ein Gebiet, das seit einiger Zeit auch als Eidechsen-Biotop ausgewiesen ist. Ein Bläuling aus der Familie der Schmetterlinge flattert über bunte Wiesen, überall zirpt es, der Verkehrslärm ist schnell vergessen, auch vom Zuggedröhne der Gleise ist nichts mehr zu hören. "Da!" - Johanna Salzhuber (SPD), Vorsitzende des Moosacher Bezirksausschusses, reagiert blitzschnell: "Ein Mäusebussard. . . "

Das Biotop gehört zum länglichen Grünzug, der noch Teile des Bahnnordrings und vor allem den Rangierbahnhof Nord im Süden und Norden einrahmt und im Zuge des Baus des Rangierbahnhofes vor 25 Jahren als Erholungsgebiet angelegt wurde. Das Gelände feiert in diesem Jahr Jubiläum, Zeit für eine Zwischenbilanz. Und Johanna Salzhuber steht eine solche Bilanzierung durchaus zu, hat sie doch schon als Kind auf dem Gelände neben der Bahnstrecke gespielt, sich später am Protest gegen den Rangierbahnhof beteiligt und schließlich den Fortschritt der Fläche als Lokalpolitikerin begleitet. "Einen Hit" nennt Johann Salzhuber das Erholungsgebiet und seine Entwicklung. Dennoch: Wie manch andere wertvolle Grünflächen in der Stadt ist auch das Gelände rund um den Rangierbahnhof nicht vor Schwierigkeiten gefeit.

Im östlichen Teil, dem Eidechsenbiotop nahe der Siedlung am Lerchenauer See, führt der Weg zu kleinen Tümpeln, in denen Frösche quaken, und vorbei an großen Steinhaufen, unter denen sich Zauneidechsen verbergen. Folgt man dem Grünzug in Richtung Westen, werden die Wege etwas steiler, weil sie auf dem hohen Wall verlaufen, der den Lärm des Rangierbahnhofes ablenken soll. Dort brettern Mountainbiker entlang, Jogger sind unterwegs; aber auch Spaziergänger und jene, die einfach nur ausspannen wollen, nutzen das Gelände. Rechts des Walls liegt eine wild vor sich hin wuchernde Grünfläche - "Urwald", sagt Johanna Salzhuber. Kleine Schleichwege führen hindurch, vorbei an markanten Vertiefungen: Bombentrichter, Spuren des Zweiten Weltkrieges.

Den Bau des Rangierbahnhofes hatten einst schon die Nationalsozialsten vor, der Plan wurde 1942 wegen des Krieges eingestellt. In den Siebzigerjahren beschloss die Bahn, das Projekt zu reaktivieren, weil das Güterzugaufkommen gestiegen war. In den Achtzigerjahren brandete in Moosach und der Fasanerie deshalb aus Furcht vor Lärmbelastung und Naturzerstörung großer Protest auf. Die Bewohner fuhren zur Radl-Demo vom Bahnhof Moosach bis zum Allacher Wald, eine Ausstellung des Bundes Naturschutz dokumentierte den Wert des Geländes, auf dem sich beispielsweise das größte Wechselkrötenbiotop Bayerns befand. "Das hat die Bürger stark beschäftigt und großes Bewusstsein geschaffen", erinnert sich Johanna Salz- huber an diese Zeit.

Die Proteste führten dazu, dass die durch den Bau wegfallenden Naturflächen zumindest zum Teil ersetzt wurden - ein Entgegenkommen der Stadt, denn die Schaffung von Ausgleichsflächen war damals noch nicht verpflichtend. Später dann, beim Bau, setzten die Aktivisten durch, dass der neue Autobahnring A 99 nicht wie geplant die Hälfte des Allacher Waldes zerstört, sondern die Strecke verlegt und getunnelt wurde.

Tatsächlich finden sich in dem Erholungsgebiet auch historische Spuren des Stadtteils Moosach. Wo einst die Mossach floss, seinerzeit ein knapp 60 Kilometer langer Nebenfluss der Isar, plätschert heute der Feldmochinger Bach, der seit den Regulierungsmaßnahmen bei Oberschleißheim aus dem Würmkanal ausgeleitet wird. Auf der Südseite finden sich dort, wo der ehemalige Dorfgraben Moosachs verlief, mehrere Tümpel. Im Sommer sind Gebüsch und Bäume an den Ufern derart zugewachsen, dass man die Gewässer beinahe übersieht und Johanna Salzhuber die Äste beiseiteschieben muss. Die Verschattung des Geländes ist nicht nur dort ein Problem. "An vielen Stellen muss ausgelichtet werden", sagt Johanna Salzhuber, denn das ökologische Konzept sieht auch sonnige Stellen vor.

Der große Zuspruch der Bürger führt allerdings zu kritischen Szenen. Das ist etwa im Sommer am türkisblau gefärbten Baggersee zu beobachten, der nahe Ludwigsfeld liegt. Dass Besucher am östlichen Ufer baden, hält Johanna Salzhuber noch für weniger problematisch. Bedrohlicher ist es in der Flachzone am Westufer - dort sind Flusskrebse angesiedelt, da der See für Amphibien geschaffen wurde und das Baden eigentlich verboten ist.

Neben der Stadt pflegt auch der Landesbund für Vogelschutz einzelne Teile des Gebietes. Biologe Heinz Sedlmeier schätzt die Entwicklung des Gebietes positiv ein, betont aber auch, dass an manchen Stellen mehr Pflege notwendig wäre. Und wie Johanna Salzhuber stört den LBV-Geschäftsführer gewaltig, dass mancher seine Goldfische in den Tümpeln entsorgt - und dann die Kaulquappen Opfer der ungebetenen Neuzugänge werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: