Körperpflege ohne Chemie:Sie will Naturkosmetik sexy machen

Aline Werr vom Naturkosmetikhersteller "I want you naked", 2019

Aline Werr hat vor fünf Jahren ihre Firma I want you naked in München gegründet.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Unternehmerin Aline Werr hat ihre Firma vor fünf Jahren in München gegründet. Sie stellt fest: Immer mehr Menschen wollen wissen, was sie sich auf die Haut schmieren.

Von Kathrin Aldenhoff

Sie sagt, es gibt keinen Weg zurück. Wer angefangen habe, die Liste der Inhaltsstoffe seiner Kosmetikprodukte zu lesen, der höre nicht mehr auf damit. Sondern steige um. "Wer einmal Naturkosmetik nutzt, der bleibt dabei", sagt Aline Werr. Sie lächelt, als sie das sagt. Und als Unternehmerin erzählt sie das nicht nur einfach so - sie wünscht sich das auch. Denn sie hat ihre Zukunft darauf aufgebaut. Ihre, und die ihrer Familie.

Ein Gewerbegebiet östlich von München, kurz hinter der Stadtgrenze. Flache Gebäude, Container, ein Schrottplatz, große Parkplätze. Ausgerechnet hier, in einem dieser Häuser, versteckt sich eine Oase. Dort duftet es nach Blüten und Birkenblättern, dort stehen Möbel, wie man sie zu Hause gerne hätte. Ein Flur, links das Labor hinter einer Scheibe, geradeaus Regale voll Seifen, rechts bestimmt ein runder Schreibtisch den Raum, eine Vase mit einem großen Zweig Flieder steht in der Mitte.

Aline Werr, Jeans, schwarz-weiß gestreifte Bluse, grauer Strickmantel, sitzt in dieser Oase in einem tiefen Sessel und sagt, sie sei ein Waldorfkind. "Ich bin mit viel Natur aufgewachsen." Mit der Idee, etwas selbst zu machen. Sie habe schon immer gehäkelt, geschreinert und gebastelt. Vor zehn Jahren hat ihr dann eine Freundin das Seifensieden beigebracht. "Damit fing es an", sagt die 45-Jährige. Sie war begeistert. Im Keller ihres Hauses siedete sie fortan Seifen, probierte verschiedene Inhaltsstoffe und Rezepturen.

Vor fünf Jahren hat sie, wenn man so will, den Schritt aus dem Keller heraus gewagt, und mit ihrem Mann Jörg eine Firma gegründet. Naturkosmetik boomte, und sie wollte etwas Neues probieren. Etwas Eigenes herstellen, in Handarbeit. Ihre Idee: Naturkosmetik, die sexy ist. "Wenn ich in einem großen Eimer mit Rosenblättern wühle, das ist so toll", schwärmt sie. "Die Materialien, Düfte und Öle sind wahnsinnig sinnlich. Diese Freude wollte ich transportieren. Ich finde, das gab es vorher nicht."

Werr wusste, was sie tat: Vor 17 Jahren haben sie und ihr Mann schon mal eine Firma gegründet. Eine Kommunikationsagentur mit zwischenzeitlich 30 Mitarbeitern. Die beiden sind Profis - kein Wunder also, dass sie einen Namen für ihre Produkte gefunden haben, der im Kopf bleibt: "I want you naked". Eine Weile liefen Agentur und Naturkosmetik parallel, vor eineinhalb Jahren schließlich lösten sie die Agentur auf, setzten alles auf Alines Seifen.

Naturkosmetikhersteller "I want you naked" in Kirchheim bei München, 2019

Mit den Seifen fing alles an: hier eine aus Sheabutter und Meersalz.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Naturkosmetik ist so beliebt wie noch nie, die Deutschen und auch die Münchner kaufen immer mehr davon. Im vergangenen Jahr wuchs der Markt für Naturkosmetik in Deutschland um 5,9 Prozent - der für herkömmliche Kosmetikprodukte stagnierte. Die Zahlen stammen von Elfriede Dambacher, sie führt seit 2003 ein Beratungsunternehmen für Naturkosmetik und gilt als Expertin der wachsenden Branche. Für das Wachstum seien vor allem neue junge Marken und sogenannte Handelsmarken, etwa die Eigenmarken von Drogeriemärkten, verantwortlich.

"Der Trend zur Naturkosmetik hält weltweit an und steigt sogar", sagt Dambacher. Sie zitiert eine Zahl des Marktforschungsinstituts GfK: 1,1 Millionen Menschen in Deutschland haben im vergangenen Jahr zum ersten Mal Naturkosmetik gekauft. "Die Konsumenten heute sind ganz andere Menschen, als die, die früher Naturkosmetik verwendet haben", sagt Dambacher. Dafür sei eine Werteveränderung in der Gesellschaft verantwortlich. "Jüngere Menschen achten viel mehr auf ihren ökologischen Fußabdruck und auf Nachhaltigkeit. Ihnen ist auch die Ethik des Unternehmens wichtig, Glaubwürdigkeit und Transparenz. Natürliche Inhaltsstoffe werden vorausgesetzt."

Zurück in Kirchheim: Bei "I want you naked" wird an diesem Tag produziert. Im Labor gießt Tamara Wanke Lauge in eine Schüssel mit Öl und rührt um - mit einem handelsüblichen Pürierstab. "Es ist wichtig, alles gut zu vermischen, damit es mit der Lauge reagiert", erklärt die 28-Jährige. "Sonst zerfällt die Seife später." Dann lässt sie das Meersalz in die Schüssel rieseln, rührt weiter, damit keine Klumpen bleiben. Vor ihr liegt eine Zutatenliste, sie hakt ab, was sie schon dazugegeben hat. Wenn alles in der Schüssel und verrührt ist, gießt sie die Mischung in rechteckige Formen. Die Seife ruht ein bis zwei Tage, dann wird sie geschnitten und in ein Regal zum Trocknen gelegt.

Körperpflege ohne Chemie: Tamara Wanke gießt die Seifenmischung in die Formen. Dort ruht sie ein bis zwei Tage.

Tamara Wanke gießt die Seifenmischung in die Formen. Dort ruht sie ein bis zwei Tage.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Kakao, Bienenwachs, Kaffee und Mandelöl, Meersalz und Sheabutter - je nach Inhalt reifen Seifen sechs bis acht Wochen, sagt Werr und streicht über die dunkelbraune, körnige Kaffeeseife. Natürlich kann man sich mit diesen Seifen die Hände waschen. Werr hat sie aber für das Gesicht und den Körper entwickelt. "Die Seifen helfen der Haut, sich selbst zu regulieren", sagt sie. Kakaobutter und Macadamiaöl pflegen trockene Gesichtshaut, die Duschseife mit Kaffee und Mandelöl soll straffen. Und ergiebiger als Waschgels seien die Seifen noch dazu, sagt sie, verursachten also weniger Verpackungsmüll.

Neben den Seifen trocknen seit zwei Tagen Birkenblätter. Hellgrün und duftend liegen sie dort, rascheln, wenn Werrs Finger in ihnen wühlen. Sie hat sie von der großen Birke in ihrem Garten gepflückt, erzählt sie und strahlt, und ihre Freude darüber wirkt sehr echt, Marketingprofi hin oder her. Für ihren Badezusatz mit Birke und Melisse mischt sie diese Blätter mit den gekauften, für alles reicht die Ernte aus dem Garten nicht.

Werr hat eine Ausbildung zur Naturkosmetikerin gemacht, sie entwickelt jedes Peeling und jede Seife selbst. Auf ihrer Arbeitsfläche im Labor stehen eine Waage, Glasgefäße in verschiedenen Größen, Fläschchen mit Vitamin E und Ingweröl, ein Döschen mit gemahlenem Drachenblut, daneben ein Korb mit kleinen Tüten: Orangenblüten, Himbeerpulver, Eisenkraut. Sie stellt Mischungen zusammen, testet sie selbst und gibt sie ihren Mitarbeitern mit. Sie verändert die Rohstoffe, die Mengen, probiert aus. Wie viel braucht sie, bis sich das Peeling so anfühlt, wie sie es sich vorstellt?

Naturkosmetikhersteller "I want you naked" in Kirchheim bei München, 2019

Auch Farbe kann natürlich sein: Wenn zum Beispiel mit gemahlenem Drachenblut gefärbt wird.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Oder bis die Farbe so ist, wie sie es will: Gerade probiert sie aus, mit welcher natürlichen Zutat sie das Waschgel der neuen Intimwaschserie zart rosa färben kann. Hibiskus und Rote Bete verflüchtigen sich, vielleicht Drachenblut oder Acai-Beere? In zwei Monaten soll die Serie auf dem Markt sein. "Das krieg' ich schon noch hin", sagt Werr. Wenn die Rezeptur feststeht, wird sie von einem Labor geprüft, es wird eine Sicherheitsbewertung erstellt. Erst dann darf das Produkt verkauft werden.

Eine Glastür weiter steht eine Mitarbeiterin mit Schürze und Plastikhandschuhen an einer Edelstahltheke und drückt mit einem Spritzbeutel quietschgrünes Zitronengraspeeling in kleine Behälter. Eine Abfüllmaschine gibt es nicht, das ist hier Handarbeit.

Noch. Denn neben der perfekten, rosafärbenden Zutat für das Intimwaschgel sucht Werr gerade nach einer Abfüllmaschine. "Meine neuen Probleme sind viel schöner als meine alten", sagt sie. Zurück ins Büro? Auf keinen Fall. Für sie zumindest stimmt es: Von der Naturkosmetik führt kein Weg zurück.

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