Süddeutsche Zeitung

Nationalsozialismus:Wie mit kleinen Zetteln großer Hass verbreitet wird

  • Das NS-Dokumentationszentrum zeigt in seiner Ausstellung "Angezettelt" die Verwendung von Aufklebern und Zetteln mit Hassbotschaften gegen Minderheiten.
  • Die Drucksachen stammen aus dem Zeitraum des späten 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.
  • Die Austellung läuft noch bis zum 5. Juni dieses Jahres.

Von Wolfgang Görl

Was für süße, leidenschaftliche Worte! "Ich habe heute wieder ununterbrochen an Dich gedacht, mir kommt die Trennungszeit jetzt immer eine Ewigkeit vor, das kommt eben, weil wir uns immer lieber haben. Amor hat es uns scheinbar richtig besorgt, dieser Schelm." Der das schreibt, heißt Hans Schober, er ist Ingenieur und lebt in Zwickau; Trude Gasch, seine Angebetete, wohnt in Dresden. Zahllose Liebesbriefe schreiben sich die beiden Anfang der Zwanzigerjahre.

Aus dem schriftlichen Geturtel könnte man auf sympathische junge Menschen schließen. Aber da ist noch etwas: Jeder Brief ist mit einer grünen Verschlussmarke beklebt, und auf dieser stehen Sätze wie folgende: "Der eigentliche Gott der Juden ist das Geld oder das ,goldene Kalb'." Oder: "Lernt von den Juden! Vom getauften Minister bis zum polnischen Schnorrer bilden sie eine Kette."

Zu sehen sind die Briefkuverts mitsamt den antisemitischen Aufklebern in der Sonderausstellung "Angezettelt", die das NS-Dokumentationszentrum München gemeinsam mit dem Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin und dem Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg konzipiert hat.

Die Ausstellung zeigt Aufkleber, Marken und Sticker aus dem späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart - Kleindrucksachen, die dazu dienen, gegen Juden, Migranten und andere Minderheiten Stimmung zu machen. Mit Blick auf die Geschichte des Nationalsozialismus sagt Winfried Nerdinger, der Gründungsdirektor des NS-Dokuzentrums: "Was mit Zettelaktionen begann, endete mit der Deportation in die Vernichtungslager."

Bereits um 1890 waren Aufkleber verbreitet, auf denen die Losung "Kauft nicht bei Juden" gedruckt war. Mit solchen Klebezetteln betrieben dann auch Nazis ihre Boykottkampagnen gegen jüdische Geschäfte. "Man klebte die Zettel ans Fenster und somit war das Geschäft als ein jüdisches markiert", erklärt Isabel Enzenbach, die Kuratorin der Ausstellung. Ganz im Sinne der NS-Führung werden die jüdischen Bürger stigmatisiert und von der "Volksgemeinschaft" ausgeschlossen.

Beklemmend ist die Kontinuität des Weltbilds

Soweit es ihnen möglich war, versuchten aber auch Gegner des NS-Regimes, mit Aufklebern für ihre Sache zu werben. 1936 etwa verbreiteten zwei Kommunisten in Bad Reichenhall selbst gefertigte Zettel, die vor den Kriegsplänen Hitlers warten. Die beiden Männer flogen auf, einer von ihnen wurde im KZ Dachau ermordet.

Beklemmend ist die Kontinuität des Weltbilds, das in den Hassbotschaften von Rechtsextremisten, Rassisten und Rechtspopulisten bis heute zum Ausdruck kommt. Ein Beispiel von vielen ist ein Aufkleber des offenkundig rassistischen "Freundeskreises Freiheit für Deutschland" aus dem Jahr 1993, auf dem zu sehen ist, wie ein Mann und eine Frau, die klischeehaft deutsche Züge tragen, von Furcht einflößend dargestellten Schwarzafrikanern und Juden umringt sind.

Dieselbe Botschaft mit ähnlichen Mitteln hatte ein Klebezettel der Deutschnationalen Volkspartei von 1924, auf dem unter dem Titel "Unsere Herrscher" die witzblattartig gezeichneten Karikaturen von Schwarzen, Sozialisten und Juden abgebildet sind. Darunter steht die Aufforderung: "Wer sie loswerden will, der wählt deutschnational!"

München als Schauplatz rassistischer Propaganda

In der Weimarer Republik tobte eine Art Zettelkrieg zwischen Anhängern und Gegnern der Demokratie. Nazis bestückten den öffentlichen Raum mit antisemitischen Sprüchen, Sozialdemokraten und Gewerkschafter konterten mit Aufklebern, auf denen etwa zu lesen war: "Macht Deutschland frei vom Hakenkreuz." Bereits zur Kaiserzeit hatte der "Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" begonnen, die antisemische Propaganda mit eigenen Aufkleberkampagnen zu bekämpfen. Auf einem Klebezettel aus den Zwanzigerjahren steht: "Judenhass aus Eigennutz ist Schurkerei. Judenhass aus Überzeugung ist Dummheit."

Auch München war Ende der Zwanzigerjahre ein Schauplatz rassistischer Propaganda. In allen Ecken und Winkeln klebten Zettel mit antisemitischen Parolen. Angefertigt hat sie Karl Ostberg, der für die Propagandaabteilung der NSDAP arbeitete. Gegen diese "planmäßige Erregung von Hass und Verachtung" erstattete der Centralverein Anzeige. Bei einer Durchsuchung von Ostbergs Wohnung im Frühjahr 1930 beschlagnahmte die Polizei 300 000 Klebezettel. Die Justiz aber zeigte Verständnis: Ostberg wurde freigesprochen.

Neben antisemitischen Aufklebern sind in der Gegenwart Sticker und Klebezettel verbreitet, die Muslime und den Islam als Feindbild zeichnen. Sie schüren Ängste vor der Islamisierung des Abendlandes und rufen, bisweilen mit stilisierten Kreuzrittern, zur Gewalt gegen Muslime auf. Viele der in der Ausstellung gezeigten Beispiele aktueller Zettelkampagnen stammen aus der Sammlung der Berliner Menschenrechtsaktivistin Irmela Mensah-Schramm, die seit 30 Jahren Aufkleber von Wänden oder Laternenpfählen kratzt und die Fundstücke archiviert. Auch im digitalen Zeitalter haben diese analogen Propagandamittel noch immer eine hohe Alltagspräsenz.

Angezettelt - Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute. Sonderausstellung im NS-Dokumentationszentrum. Bis 5. Juni täglich (außer montags) von 10 bis 19 Uhr.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3409082
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.03.2017/eca
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.