Literatur:Der unheimliche Mitbewohner

Literatur: Bezahlbarer Wohnraum - diesem Thema kann man eigentlich gar nicht entkommen, findet Natalie Buchholz.

Bezahlbarer Wohnraum - diesem Thema kann man eigentlich gar nicht entkommen, findet Natalie Buchholz.

(Foto: Peter von Felbert)

Natalie Buchholz lässt in ihrem neuen Roman ein Paar auf Wohnungssuche fündig werden. Doch das anfängliche Glück trügt.

Von Anna Steinbauer, München

In München ist das Jammern über die vergebliche Suche nach einer bezahlbaren Wohnung mittlerweile - neben Corona - zum beliebten Smalltalk-Thema avanciert. Die Stadt platzt aus allen Nähten, mit absurd vielen Mitbewerbern konkurriert man um jedes einigermaßen zentral gelegene Objekt, das eigentlich viel zu teuer ist. Welches Opfer ist man bereit, für seinen Wohntraum zu bringen? Diese interessante Ausgangsfrage legt die Autorin Natalie Buchholz ihrem neuen Roman "Unser Glück" zugrunde. Coordt und Franziska, ein junges Elternpaar mit kleinem Sohn, haben die Chance, in eine bezahlbare Altbauwohnung in bester Lage zu ziehen: 120 Quadratmeter mit Balkon, Fischgrätparkett und Stuck an der Decke, der Englische Garten direkt vor der Haustür. Die Wohnung ist perfekt, allerdings gibt es einen Haken: Ein Zimmer bleibt untervermietet. Bobo, der Ex-Mann der Vermieterin, weigert sich auszuziehen. Er sei todkrank und sowieso nicht gesellig, betont diese. Verlockt von der Aussicht auf eine Verbesserung ihrer Wohnsituation, zieht die Kleinfamilie ein. Allerdings rechnen Coordt und Franziska nicht damit, dass die Aussicht auf Immobilienbesitz ihre Liebe bald auf eine harte Probe stellt.

"Man kommt dem allgegenwärtigen Thema bezahlbaren Wohnraums gar nicht aus, wenn man in München lebt, es ist einfach da", erzählt Buchholz beim Zoomgespräch. Außerdem beschäftige sie sich schon länger mit dem Phänomen des Unheimlichen: "Die Auswirkungen der Immobilienpreisentwicklung haben etwas Unheimliches, Skurriles, Surreales in dem Sinne, dass sie eigentlich ziemlich real und konkret fassbar sind", so die Autorin. "Ich wollte das in eine Figur mit unheimlichen Aspekten hineinbringen, sodass man glauben könnte, es kippt ins Skurrile, aber eigentlich ist das gar nicht der Fall." Der mysteriöse Mitbewohner stellt sich nach und nach als ernsthafte Bedrohung für das Beziehungsleben heraus und dringt schließlich mit einem ungewöhnlichen Angebot in den Familienraum ein. Das von den Eheleuten unterschiedlich bewertet wird: "Für Coordt ist Bobo der Spalter, der sich zwischen ihn und seine Familie drängt, und für Franziska bietet er letztendlich die Chance ihres Lebens. Der Roman funktioniert wie ein Vexierbild, bei dem ein Teil sofort sichtbar ist, bis man die andere Seite auch erkennt und die vermeintliche vorherige Eindeutigkeit des Bildes ins Wanken gerät", sagt Buchholz.

Schmerzhaft präzise legt die Autorin die Fragilität von Beziehungen offen

"Unser Glück" hält viele überraschende Wendungen bereit und spielt subtil mit der Wahrnehmung des Lesers. Während anfangs der hingebungsvolle Familienvater Coordt der eindeutige Sympathieträger ist, repräsentiert Franziska mit ihrem Hang zur Depression die dunklere Seite der Beziehung. Das wandelt sich jedoch im Laufe des Buches: In dem Maße wie Franziska durch die Wohnung und die Möglichkeiten, die diese ihr bietet, aufblüht, wandelt sich ihr Ehemann zum paranoiden Stalker. Es gehe ihr auch darum darzustellen, dass das Zusammenleben innerhalb einer Wohnung durchaus Verhandlungssache sei, so die Autorin. Sie wollte mit ihrer Protagonistin Franziska eine Frau zeigen, "die nicht vom Glück, ein Kind zu bekommen, überrannt worden ist, sondern sehr stark mit ihrer Rolle als Mutter zu kämpfen hat", so Buchholz.

Schmerzhaft präzise legt die Autorin in "Unser Glück" die Fragilität von Beziehungen offen und die damit verbundene Herausforderung, Veränderungen zu verhandeln und zu kommunizieren. "Wenn ein Mitbewohner ins gemeinschaftliche Leben tritt, der eine ganz eigene Persönlichkeit mitbringt, nach der man sich richten muss, kann das die Risse in der Beziehung, die vorher schon da waren, auch verstärken und muss nicht zwangsweise zusammenkitten", sagt Buchholz. "Das ist diesem jungen Paar passiert. Ich würde sogar sagen, alle, die Kinder haben, wissen, dass es dann ganz anders ist als die Vorstellung, die man vorher hatte", so die 1977 in Frankreich geborene Autorin, die mit ihrer Familie mittlerweile auf dem Land lebt.

Während des Schreibprozesses sei es ihr besonders wichtig gewesen, einen "Sound für Sprachlosigkeit" zu kreieren, erzählt Buchholz, "für eine scheiternde Kommunikation zweier Figuren, die eine Ehe führen und offensichtliche eine ganz andere Sprache sprechen". Den richtigen Ton habe sie gefunden, indem sie den Roman, der eigentlich viel umfangreicher gewesen sei, herunterdestilliert habe. "Ich wollte nur diese Leerstellen als Gefühl übrigbehalten. Die Sätze sollten so nebeneinanderstehen, dass sich dazwischen noch Bildwelten auftun." Dass diese nachklingen, wenn man liest, ist eine der großen Stärken des Romans.

Natalie Buchholz: Unser Glück, Penguin, 224 Seiten

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