Süddeutsche Zeitung

Nahverkehr:Wieso Rolltreppen gefühlt so oft defekt sind

  • Die Münchner Verkehrsgesellschaft versichert, dass immer 95 Prozent ihrer Rolltreppen und Aufzüge verfügbar sind und betont, dass die U-Bahn-Rolltreppen größeren Belastungen standhalten müssen als andere.
  • Die MVG hat ein digitales Frühwarnsystem, bei der S-Bahn arbeitet man noch daran.
  • Mit den gleichen Zahlen macht Ex-CSU-Stadtrat Kronawitter eine ganz andere Rechnung auf. Beim Thema Barrierefreiheit sei eine Ausfallquote von fünf Prozent viel zu viel.

Von Silke Lode

Besonders empfindlich sehen sie nicht gerade aus, die Rolltreppen, die sich unermüdlich durch den Münchner Untergrund wälzen. Und schon liegt der Finger in der Wunde - denn in den Augen vieler S- und U-Bahnnutzer sind Rolltreppen nicht unermüdlich, sondern sie stehen andauernd still.

Die Fachleute dagegen stöhnen, wenn es um die vermeintliche Robustheit von Rolltreppen geht. Regelrecht allergisch reagieren sie auf den Kaufhaus-Vergleich, wo immer alle Treppen zu funktionieren scheinen: "Im Bahnhof sind Fahrtreppen einer ganz anderen Belastung ausgesetzt", sagt Anton Michel, der bei der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) für den Betrieb sämtlicher Aufzüge und Rolltreppen zuständig ist. Das fängt damit an, dass es im Kaufhaus selten schneit, und es endet bei Randalierern, die sich weitaus häufiger im öffentlichen Raum austoben.

Trotzdem: Während kaum ein Geschäft je dadurch auffällt, dass es seine Kundschaft durchs Treppenhaus in eine andere Etage schickt, gehört das im Nahverkehr zum Alltag. Eine Praxis, die Leute mit schwerem Gepäck, mit Kinderwagen oder Rollstuhl schlicht auflaufen lässt. Rolltreppenchef Michel von der MVG kontert solche Vorwürfe mit einer blanken Zahl: "Es sind immer mehr als 95 Prozent unserer Fahrtreppen und Aufzüge verfügbar."

Extra-Kontrolle vor der Wiesn

Gerne kommt die MVG dem Wunsch nach, sich einmal in der Praxis anzusehen, wie sie das sicherstellen will. U-Bahnhof Theresienwiese, ein Blick über die Schultern von Florian Hausler. Er ist einer von 90 Technikern, die sich um die 771 Rolltreppen und die 177 Aufzüge der MVG kümmern. Zurzeit ist Hausler fast täglich an der Theresienwiese, weil der Bahnhof bald eine besondere Belastung aushalten muss: Millionen von Fahrgästen, die freudig zum Oktoberfest strömen und berauscht zurück in die U-Bahn wanken. "Vor der Wiesn kontrollieren wir hier alle Fahrtreppen", erklärt Hausler. Eine steht deshalb still. Dort war eine Trittmatte verbogen, also der erste Meter aus Metall, der die Rolltreppe zum Anfahren bringt.

Ein Blick in den Schaltschrank und die Innereien der Treppe zeigen, dass in den vermeintlich einfachen, robusten Anlagen einiges an empfindlicher Technik verbaut ist. Da gibt es neben Motoren und Getrieben Ampeln, die die Fahrtrichtung anzeigen. Sensoren, die Personen auf der Treppe registrieren. Heizungen, die im Winter Schnee und Eis zum Schmelzen bringen. Oder automatische Schmieranlagen, die für genug Öl im System sorgen. Die modernsten Treppen kümmern sich sogar um sich selbst: Wenn etwa jemand den Nothalt gezogen hat, können sie sich später ganz allein wieder in Betrieb setzen.

Eines können inzwischen alle Treppen und Aufzüge der MVG: Sie melden Störungen automatisch einem Leitsystem. Die Techniker bekommen dann auf ihren Tablet-Computern eine Fehlermeldung, ganz egal, ob sie gerade in der Werkstatt oder draußen unterwegs sind. Darin liegt ein gravierender Unterschied zu den 95 Fahrtreppen und 117 Aufzügen im S-Bahnbereich München, für welche die Deutsche Bahn zuständig ist. Die arbeitet zwar auch an einem Fernüberwachungssystem, das soll aber erst im kommenden Jahr laufen.

Bis dahin ist sie auf die Störungsmeldungen von Personal und Fahrgästen angewiesen. Möglicherweise erklärt das, warum die Bahn nach eigenen Angaben innerhalb von vier Stunden auf eine Störung reagiert, während die MVG versichert, in der Regel nach 20 bis 30 Minuten einen Techniker vor Ort zu haben.

Die einen sind stolz, die anderen verärgert

MVG-Rolltreppenchef Michel ist sichtlich stolz auf die Logistik, die den Betrieb am Laufen hält. An vielen U-Bahnhöfen werden Verschleißteile gelagert, um Reparaturen zu beschleunigen. Sieben Teams arbeiten in drei Schichten rund um die Uhr und reagieren auf aktuelle Störungen, 50 Mann kümmern sich um die normale Instandhaltung. Mitten in der Innenstadt, im zweiten Untergeschoss des Hauptbahnhofs, unterhält die MVG eine Werkstatt samt riesigem Lager. "Wir sitzen hier wie die Spinne im Netz und können jeden Bahnhof in 30 Minuten erreichen", sagt Michel. 90 Prozent der Störungen könnten binnen eineinhalb Stunden repariert werden. "Nur größere Sachen dauern länger."

Georg Kronawitter macht mit den gleichen Zahlen eine ganz andere Rechnung auf. Für den ehemaligen CSU-Stadtrat, der sich für den Arbeitskreis Mobilität des Behindertenbeirats hinter das Thema Barrierefreiheit klemmt, ist eine Ausfallquote von fünf Prozent bei Liften und Rolltreppen viel zu viel. "Für eine Fahrt hin- und zurück braucht man schnell acht Rolltreppen und mehr - da stehen die Chancen ganz gut, dass eine nicht läuft." Für sein Gefühl jedenfalls stehen die Fahrgäste viel zu oft vor kaputten Anlagen. Gerne würde er das auf der Basis von Fakten belegen, doch ihm fehlen die entsprechenden Statistiken. "Schon als Stadtrat habe ich beantragt, dass die MVG Zahlen zu Störungsschwerpunkten veröffentlicht. Aber die rücken das nicht raus", sagt Kronawitter.

"In einer Großstadt ist das völlig inakzeptabel"

Gefühlt also hat vor allem der Ostbahnhof viele Fahrgäste monatelang vor unüberwindbare Hürden gestellt: "Da waren baustellenbedingt ganze Gleise nicht ohne Stufen erreichbar", erinnert sich Kronawitter. Derzeit erreichen ihn fast täglich Beschwerden aus Laim: Dort sind zwei Fahrstühle nötig, um zum Bahnsteig zu gelangen, und die seien offenbar sehr anfällig.

Für Wolfgang Liebscher vom Verkehrsclub Deutschland "zieht sich der Ärger durchs ganze Netz". Die Reparaturen dauern in seinen Augen viel zu lang: "In einer Großstadt mit hohen Fahrgastfrequenzen ist das völlig inakzeptabel." Allerdings räumt er ein, dass man nicht alles der Bahn oder der MVG anlasten könne: "Fußballfans, die Flaschen auf der Rolltreppe zertrümmern, sind auch ein Problem."

Aufgestemmte Aufzugtüren, grundlos gezogene Notbremsen oder Glassplitter, die sich im Ende einer Rolltreppe festbeißen, sind aber nur eine Teil der Störungsursachen. Hinzu kommt der normale Verschleiß. Und wenn eine Rolltreppe oder ein Lift nach 20 oder 30 Jahren ausgetauscht wird, klafft schnell für einen ganzen Monat eine Lücke im Netz. Manchmal fahren die Rolltreppen ganz bewusst nur in eine Richtung: nach oben. Wenn viel Schnee fällt, soll so weniger Nässe und Splitt nach drinnen gelangen. Die Techniker sagen, dass man so größere Pannen vermeiden kann. Viele Fahrgäste aber sehen nur, dass die Rolltreppe sie nicht ans Ziel bringt - und müssen sich mal wieder einen anderen Weg in den Untergrund suchen.

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Quelle:
SZ vom 16.09.2015
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