Süddeutsche Zeitung

Nahverkehr im Großraum:Für Bus, Bahn, Tram geht das Geld aus

Lesezeit: 3 min

Von Marco Völklein, München

Wenn Johann Niggl gefragt wird, wie es denn so weitergehen soll mit dem Schienennahverkehr in Bayern und insbesondere in München, dann zuckt der Chef der Bayerischen Eisenbahn-Gesellschaft (BEG) kurz mit den Schultern. Und wirft dann ein Schaubild an die Wand, ein Schaubild mit Gleisen und Weichen. "Wir stehen am Scheidepunkt", sagt er. Und deutet auf die Weichen: Entweder der Bund gibt den Ländern mehr Geld, damit diese weiter die Regionalzüge und S-Bahnen bestellen und bezahlen können. Oder er tut dies nicht. Dann seien "Abbestellungen" die Folge, so Niggl: Dann fahren weniger Züge, kürzere Züge. Auf einigen Strecken fahren dann auch gar keine Züge mehr.

Es ist ein dramatisches Bild, das nicht nur Niggl da zeichnet. Seit Jahren warnen Branchenkenner vor dem drohenden Finanzkollaps. "Es fehlt hinten und vorne an Geld", sagt Alexander Freitag, der Chef des Münchner Verkehrsverbunds (MVV). Mit einem Brandbrief hat er sich vergangene Woche an die Bundes- und Landtagsabgeordneten gewandt, um auf die Lage aufmerksam zu machen. Und er ist nicht allein: Die Chefs der vier anderen großen Verkehrsverbünde in Berlin, Frankfurt, Hamburg sowie an Rhein und Ruhr haben die Briefe verschickt. Ihr Anliegen: Die Abgeordneten mögen doch, bitte, dafür sorgen, dass der Bund nicht den Geldhahn zudreht für Betrieb und Ausbau des Nahverkehrs.

Gleiche Mittel, mehr Leistung

Um das alles zu verstehen, muss man kurz in die Zeit vor 20 Jahren zurückblicken. Damals privatisierte der Bund die Bundesbahn - und übertrug den Ländern die Zuständigkeit für den regionalen Schienenverkehr. Die Länder wiederum erhalten seither Geld aus Berlin, mit dem sie diverse Unternehmen dafür bezahlen, dass diese Regionalzüge und S-Bahnen fahren lassen, auch die im Großraum München.

In Bayern organisiert das alles im Auftrag des Freistaats Johann Niggl mit seiner BEG. Das Geld aus Berlin allerdings, die "Regionalisierungsmittel", ist in der Summe seither kaum mehr geworden. So hatte Niggl zuletzt gut eine Milliarde Euro pro Jahr zur Verfügung. Das ist in etwa der gleiche Betrag wie vor 20 Jahren.

Dennoch ist es Niggl und seinen Vorgängern gelungen, deutlich mehr Züge fahren zu lassen - bayernweit 70 Prozent mehr als noch vor 20 Jahren. Vor allem der Wettstreit der Bahnanbieter untereinander, die bei der BEG um die Aufträge für die verschiedenen Regionalnetze rangeln, hat dazu geführt, dass die BEG mehr fahren lässt für das gleiche Geld.

Dieser Effekt aber lässt sich nicht ungebremst fortsetzen, sagt Niggl: Große Effizienzgewinne seien nicht mehr drin. Zudem steigen die Ausgaben für die Nutzung von Schienenwegen und Bahnhöfe stetig, für die die BEG ebenso aufkommen muss. "Das Korsett wird immer enger", sagt MVV-Chef Freitag. Und irgendwann sei der Punkt erreicht, an dem der Branche die Luft wegbleibe.

Was von der Politik gefordert wird

Genau auf diesen Punkt steuere die Politik derzeit zu, kritisieren nicht nur Niggl, Freitag und die anderen Verbündechefs. Auch Umwelt- und Fahrgastverbände wie der Verkehrsclub Deutschland (VCD) und Pro Bahn fordern mehr Geld. "Wenn die Bundesregierung ihre Umwelt- und Klimaschutzziele ernst nimmt, muss sie eine deutliche Erhöhung der Bundesmittel für den Nahverkehr bis 2030 garantieren", sagt Heidi Tischmann vom VCD.

Doch danach sieht es ganz und gar nicht aus - obwohl sich die Länder nach langem Hin und Her auf einen Gesetzentwurf geeinigt haben und nun eine Anhebung der Regionalisierungsmittel von derzeit 7,3 Milliarden auf 8,5 Milliarden Euro fordern. Zudem soll der Betrag jedes Jahr um zwei Prozent angehoben werden. Am 23. Februar soll dazu im Bundestag eine Anhörung stattfinden. Und Anfang März wird sich der Bundesrat mit der Initiative befassen.

Bislang aber hat die Bundesregierung keinerlei Entgegenkommen signalisiert. Lediglich für 2015 wurde eine Mini-Anhebung um 109 Millionen Euro beschlossen. Mehr nicht. Auch die Perspektiven sind völlig unklar. Was in 2016 und den darauffolgenden Jahre komme, "liegt absolut im Dunkeln", sagt MVV-Geschäftsführer Freitag.

Dobrindt hat eine Antwort versprochen - und nicht geliefert

Und die Zukunft der Regionalisierungsmittel ist nur eine Frage, die ungeklärt ist. Ähnlich sieht es bei einem anderen Geldtopf aus, dem "Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz", kurz GFVG. Aus diesem erhalten bislang viele Kommunen Zuschüsse, etwa für neue Strecken. Das GVFG läuft aber 2019 aus.

Und bislang liegt keine Nachfolgeregelung vor; noch nicht mal eine Andeutung, wie es damit weitergehen könnte, hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bislang ventiliert. Obwohl er im Mai 2014 vor 800 Zuhörern bei einem Kongress in Berlin angekündigt hatte, genau dies bis Ende 2014 tun zu wollen. "Er hat leider nicht Wort gehalten", sagt Herbert König, der Chef der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG). Auch ihn quält, wie die gesamte Branche, die große F-Frage, die Finanzierungsfrage.

Bislang hat die MVG das Glück, einen Großteil ihres Budgets über den "kommunalen Querverbund" zu finanzieren. Dabei verrechnet der Mutterkonzern, die Stadtwerke München, Gewinne aus dem Stromgeschäft steuermindernd mit den MVG-Defiziten aus dem Nahverkehr. Doch seit ein paar Jahren wird die Strombranche heftig durchgewirbelt, das Modell funktioniert nicht mehr.

Für die MVG hat das Folgen: Den Kauf neuer U- und Trambahnen etwa konnte man "überwiegend nur noch durch Kreditaufnahmen finanzieren", sagt König. Die Schulden indes würden in der Zukunft den finanziellen Spielraum zusätzlich beschneiden. "Auch dieser Zusammenhang", sagt König, "ist in der Politik noch nicht wirklich angekommen.

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Quelle:
SZ vom 09.02.2015
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