Süddeutsche Zeitung

Nackerte in München:Wie unangezogen!

"Ist es in Ordnung mitten in einer Großstadt nackt herumzulaufen?": Münchens neue FKK-Verordnung erregt britische und US-amerikanische Medien. Dabei sind in der Stadt immer weniger Anhänger der Freikörperkultur zu finden.

Von Thomas Anlauf

Der Lonely Planet gilt vor allem für englischsprachige Traveller als Bibel unter den Reiseführern. Natürlich gibt es auch eine München-Ausgabe (kombiniert mit dem Rest von Bayern und dem Schwarzwald). Darin finden sich alle wichtigen Sehenswürdigkeiten: etwa die Surfer am Eisbach, die Marktweiber vom Viktualienmarkt und die Nackerten im Englischen Garten.

"Wenn die Sonne scheint", heißt es im Lonely Planet, "lieben es viele Münchner, nackt an ihrer Bräune zu arbeiten, auch während der Mittagspause." Und dann die Warnung an prüde Touristen: Nacktbaden im Englischen Garten sei "völlig legal und gesellschaftlich akzeptiert, also lassen Sie ihre Sittsamkeit zu Hause".

Nackte Tatsachen also, Schwarz auf Weiß. Einige US-amerikanische und britische Medien sind derzeit dennoch reichlich echauffiert über diesen Münchner Brauch, als seien die Nackerten am Flaucher und im Englischen Garten soeben erst von der Welt entdeckt worden. "Ist es in Ordnung, mitten in einer Großstadt nackt herumzulaufen?", fragt sich das Blatt The Atlantic Cities und schiebt sogleich nach, dass eine seriöse Debatte darüber bizarr klingen mag, aber es genau das sei, was die drittgrößte Stadt Deutschlands praktiziere.

Einer der Hotspots der Unangezogenen sei gerade Mal zehn Minuten von Münchens Hauptplatz entfernt - gemeint ist wohl der Marienplatz. Auf den Fotos der Ausgabe findet sich übrigens nur ein einziger entblößter Hintern unter Hunderten Sonnenanbetern. Auch die Liberty Voice zeigt unter dem Titel "München wird nackt: Warum ist das erlaubt?" lediglich ein Foto, in dem sich Menschen in Textil im Englischen Garten sonnen. Das Online-Magazin gibt zumindest eine Erklärung für das Münchner Phänomen: "Munich residents have a philosophy of 'leben und leben lassen'."

Es gilt nun wie bisher ein generelles Nacktbadeverbot

Die transatlantische Erregung über Münchner Nudisten hat einen banalen Hintergrund: Der Stadtrat hatte vor zwei Wochen eine neue Badeverordnung erlassen, nachdem die bayernweit gültige Regelung im Herbst ausgelaufen war. Ohne den Münchner Weg hätte das nämlich zur Folge gehabt, dass es in der Stadt überhaupt keinen Zwang mehr gegeben hätte, sich beim Sonnen oder Baden zu bekleiden.

Es gilt nun also auch wie bisher ein generelles Nacktbadeverbot - mit Ausnahmen an fünf Orten: Maria Einsiedel, Brudermühlbrücke, die Isarinsel in Oberföhring, die Schönfeldwiese sowie die Schwabinger Bucht im Englischen Garten.

Die neue Münchner Nackertenverordnung wird im Gegensatz zur US-Presse in München wohl auf kein allzu großes Echo stoßen. Gegen die Nudisten im Englischen Garten wollte zuletzt in den Achtzigerjahren der damalige Kreisverwaltungschef Peter Gauweiler (CSU) vorgehen, im liberalen München hagelte es dagegen aber Proteste. Überhaupt scheint das einstige Massenphänomen der Münchner Nudistenszene der Vergangenheit anzugehören.

Während der frühere Polizeipräsident Manfred Schreiber 1981 im Münchner Stadtanzeiger beklagte, dass im Englischen Garten und an der Isar "an heißen Sommertagen nicht selten ein massiertes Auftreten Nacktbadender zu beobachten" sei, stellte die Augsburger Allgemeine im Sommer 2002 fest: "München gehen die Nackerten aus".

Im Sendlinger Bezirksausschuss forderte einer der verbliebenen Nacktbader 2012 sogar, Schilder für FKK-Zonen auszuweisen, weil sich er und seine nackten Freunde von den mittlerweile vielen bekleideten Grillern am Flaucher belästigt fühlten. Die Stadt lehnt ein markiertes FKK-Reservat jedoch ab.

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SZ vom 23.04.2014/amm
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