Absturzkneipe:Ein Ort für die Kinder der Nacht

Gertis Schoppenstube im Kino

Gerti Guhl (von rechts) verteilt nach dem Film selbstgemachte Fleischpflanzerl und stößt an mit Moses Wolff und Peter Goedel.

(Foto: Florian Peljak)

Acht Jahre nach der Schließung denkt man immer noch gerne an die Fraunhofer Schoppenstube: In den Museum-Lichtspielen ehrt man das Lokal und seine Wirtin mit einem Film und einer Lesung

Von Franz Kotteder

Wie bitte? Um elf Uhr vormittags zur Gerti? Da ging man doch eher zwölf Stunden später hin, früher. Um elf sperrte die Gerti nie auf. Höchstens einmal im Jahr, zum Kinderfasching mit Würstlschnappen. Aber sonst war die Fraunhofer Schoppenstube ein Ort für die Kinder der Nacht.

Und zwar ein ganz besonderer Ort, das wird an diesem Vormittag wieder allen klar, die das zwar eh schon wussten, weil sie gerne dort einkehrten, sich aber immer wieder gerne an die alten Zeiten erinnern. Zu ihnen gehört offenkundig auch Matthias Stolz, der Inhaber der Museum-Lichtspiele, denn er stellte am Sonntag um elf Uhr nicht nur sein Kino zur Verfügung, sondern stiftete auch noch ein paar Flaschen Prosecco fürs Publikum.

Im Mittelpunkt steht dabei eine Frau - ach was, die legendäre Wirtin der Fraunhofer Schoppenstube am Dreieck Baader-/Fraunhofer-/Reichenbachstraße: Gerti Guhl. Zusammen mit ihrem Mann Werner, der E-Piano und Akkordeon bediente und zwischen Schlager und Operette alles draufhatte, was ein gepflegtes Nachtlokal an guter Unterhaltungsmusik braucht, schmiss sie den Laden seit 1973 gut 40 Jahre lang. Das heißt: Die letzten Jahre ohne Werner, denn der ist 2007 gestorben. Die Kündigung für ihr Lokal, sechs Jahre später, hat sie tief getroffen. Es war ja ihre Lebensaufgabe. "33 verschiedene Lokale habe ich mir danach angeschaut", erzählt Gerti Guhl, "aber nirgendwo hätte die Schoppenstube hingepasst." Jetzt wird etwa die Hälfte der Innenausstattung in einem Bauernhof bei Haag im Landkreis Mühldorf eine neue Heimat finden, "im Frühjahr gibt's dort dann auch eine Ausstellung".

"Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da" kostet 16,60 Euro, "mit Trinkgeld zwanzig Euro"

Man stellt sich das schön und zugleich etwas traurig vor, wenn dann Pilgerfahrten aus München zu einer leider verblichenen Absturzkneipe aufs Land stattfinden werden. Zunächst aber gibt es diese Matinee im Kino. Ein knapp einstündiger, sehr einfühlsamer Film über Gerti Guhl aus dem Jahr 2009 ist da zu sehen, aus der Reihe "Lebenslinien" des Bayerischen Fernsehens. Der Regisseur Peter Goedel hat ihn gedreht, und dass ihn die Schoppenstube auch danach nicht losgelassen hat, merkt man daran, dass er 2012 noch den Dokumentarfilm "Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da" nachgelegt hat. Der war "abendfüllend", wie man so sagt - wobei er natürlich all die Abende in diesem berühmten Nachtlokal naturgemäß nur ansatzweise abbilden konnte.

"Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da" heißt aber auch das neue Buch des Münchner Schauspielers, Comedian und Autors Moses Wolff, das er zusammen mit Gerti Guhl über die Fraunhofer Schoppenstube geschrieben hat. Im Münchner Hirschkäfer-Verlag ist es erschienen. "Es kostet 16,90 Euro", so Wolff, "mit Trinkgeld zwanzig Euro." Guhl und Wolff lesen nach der Filmvorführung daraus, und das ist dann eigentlich schon eine Late-Night-Show. Wolff erzählt, wie er hervorragende deutsche Weine im Keller der Schoppenstube entdeckt, sie zu D-Markt-Preisen aus den Siebzigerjahren von Gerti ausgeschenkt und schließlich gar eine Monats-Flatrate zugestanden bekam. Misstrauisch beäugt von Werner, dem gebürtigen Schwaben.

Rainer Werner Fassbinder setzte die Gerti auch gerne mal direkt an die Türe

Aber Gerti hatte eben immer ein großes Herz für bedürftige Künstler. "Künstler kamen viele zu uns", sagt sie, "und Lebenskünstler! Aber die waren wir auch." Beinahe unauffällig stiftete sie Partnerschaften und Ehen, indem sie die Separées an drei der vier Schoppenstubenwänden mit passenden Pärchen füllte und Gruppen resolut so an den mit rotweiß karierten Tischdecken versehenen Resopaltischen platzierte, dass man sich zwangsläufig näherkam. Rainer Werner Fassbinder, der öfters mal mit seiner Film-Entourage einkehrte, aber wurde schon mal nahe der Tür gesetzt, wenn er besonders schmuddelig daherkam und müffelte, weil er tagelang nicht aus seinen Kleidern gekommen war. Gerti kommentierte das mit den diplomatischen Worten: "Hams eana heit wieder recht rausputzt, Herr Regisseur?"

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