Süddeutsche Zeitung

Nachruf:"Da muss man sich auch mal was trauen"

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Gustava Mösler war die erste Hörfunkdirektorin des Bayerischen Rundfunks. Nun ist sie wenige Monate nach ihrem 100. Geburtstag gestorben

Von Julia Huber, München

Die schönste Zeit war für Gustava Mösler, als sie in den Siebzigerjahren die Redaktion Wissenschaft beim Bayerischen Rundfunk aufbauen konnte. Sie hat das mal in einem Video von "BR Geschichte(n)" erzählt. Gustava Mösler war damals Anfang 50, arbeitete schon 20 Jahre beim Bayerischen Rundfunk, als die Beförderung kam. Sie hatte viele gute Leute in ihrem Team. Und den Wunsch, gelungenen Wissenschaftsjournalismus zu machen. Also legten sie los.

Sie berichteten über Herztransplantationen, die damals umstritten waren. Sie sendeten eine Fernsehdiskussion über die Pille. "Das waren damals Grenz-Themen", sagte Gustava Mösler später. Die privaten Sender gab es noch nicht, nur den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Mösler und ihre Redaktion machten anspruchsvolle Sendungen für ein Massenpublikum. Einmal filmten sie das Experiment, wie ein US-amerikanischer Neurochirurg einen Affenkopf auf einen anderen Körper verpflanzte. Das Tier starb kurz später "So was würde man heute nicht mehr machen", sagte Gustava Mösler rückblickend über den Film. Es war ihr wichtig, die Wissenschaft nicht im Elfenbeinturm zu lassen, sondern einer Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ein Satz, den sie oft zu ihrem Sohn sagte, war: "Da muss man sich auch mal was trauen!"

Gustava Mösler, 1920 geboren auf Helgoland, hat sich in ihrem Leben oft was getraut. Nach ihrer Promotion in Germanistik und Theaterwissenschaft und einem Wirtschaftsstudium wollte sie 1950 zum Bayerischen Rundfunk. Die NS-Zeit war vorbei, "da fing eine neue Zeit an", sagte sie, "die Freiheit und die Unabhängigkeit. Bei all dem wollte ich mitarbeiten". Also holte sie sich mehrere Abfuhren beim Bayerischen Rundfunk, der keine Stellen frei hatte. Sie fragte so oft nach, bis die Kulturabteilung ihr anbot, eine Weile "nebenherzulaufen". Aber sie lief nicht lange nebenher. Erst wurde sie freie Mitarbeiterin, dann Redakteurin in der Film-Redaktion, später im "Nachtstudio". Nachdem sie 1971 bis 1980 die Wissenschaftsredaktion geleitet hatte, wurde sie zur Chefin der Hauptabteilung Kultur berufen. Und dann, 1982, rief der damalige BR-Intendant Reinhold Vöth sie zu sich und fragte, ob sie Hörfunkdirektorin sein wolle. "Also, wie kommen Sie denn da drauf?", habe sie ihm geantwortet. Sie zögerte, bat um Bedenkzeit. Aber dann sagte sie doch zu. Sie wurde die erste Frau in diesem Amt innerhalb der ARD. Das Foto von ihrer Amtseinführung zeigt lauter Anzugträger und Gustava Mösler.

Und auch als Hörfunkdirektorin traute Gustava Mösler sich wieder was. Sie strich alte Sendungen, reformierte Bayern 3, wo Thomas Gottschalk und Günther Jauch ihre Karrieren begannen. Die Konkurrenz wurde stärker, Privatsender kamen auf. Zu der Zeit liefen noch Nachrichten auf Italienisch im Programm, Gustava Mösler wollte sie ins zweite Programm verlegen. Der ganze Rundfunkrat war dagegen, sie machte es trotzdem. Als sie sich einmal selbst charakterisieren sollte, nannte Mösler sich eine strenge Hörfunkdirektorin, "da hat auch schon mal jemand geweint bei mir". Trotzdem schrieben Kollegen Gedichte auf sie, als sie 1985 aufhörte. Langjährige BR-Redakteurinnen haben sie als angenehme, bescheidene Chefin in Erinnerung. "Gustava Mösler war eine Pionierin und eine beeindruckende, mutige und meinungsstarke Journalistin. Der Bayerische Rundfunk, ja die ganze ARD, hat ihr viel zu verdanken", sagte BR-Intendantin Katja Wildermuth. Am 14. Juni 2021, wenige Monate nach ihrem 100. Geburtstag, ist Gustava Mösler gestorben.

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Quelle:
SZ vom 17.06.2021
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