Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Abschied vom "Sonne"-König

Siegfried Stocker, Inhaber der Hofpfisterei und Umweltpionier, ist tot. Er setzte auf Öko, als das noch nicht leicht war - sein Brot ist längst so etwas wie ein Bekenntnis.

Von Martina Scherf

Er war kein Naturapostel und wahrlich kein Kostverächter. Eine gute Schweinshaxe und ein Bier gehörten zu seiner Lebensart. Aber beim Brot, da ging Siegfried Stocker keine Kompromisse ein. Mehl, Wasser und Salz, dazu ein paar Gewürze, das war's. Mehr durfte ein Pfisterbrot nicht enthalten. Und der Traditionsbäcker ging noch weiter: Als einer der ersten Unternehmer hat er schon Anfang der Achtzigerjahre die komplette Produktionskette auf Öko umgestellt. Ein Umweltpionier war er, seiner Zeit weit voraus. Der Erfolg gab ihm recht.

"Als Unternehmer muss man weiter denken als bis zum nächsten Ersten", sagte Siegfried Stocker damals. Gemeinsam mit dem Naturlandverband suchte er Bauern, die bereit waren, ihren Betrieb auf ökologische Landwirtschaft umzustellen. Das war anfangs nicht leicht. Stocker reiste übers Land und sprach auf Bauernversammlungen darüber, Böden und Grundwasser zu schützen und Verbrauchern gesunde Lebensmittel zu bieten. Oft erntete er nur skeptische Blicke. "Die Zeit war halt noch nicht reif dafür", sagte er später einmal. Doch er selbst war überzeugt, dass er auf dem richtigen Weg war.

Heute bauen fast 600 Öko-Landwirte Roggen, Weizen, Dinkel und Gerste für die Hofpfisterei an. Gemahlen wird in der Meyer-Mühle in Landshut, die Stocker 1988 erwarb und zu Deutschlands größter Biomühle ausbaute. Um seine Landwirte zu unterstützen, baute er in den Neunzigerjahren auch noch die Öko-Metzgerei Landfrau in Emmering auf. Gebacken wird in der Münchner Innenstadt, die meisten Sorten noch in alten, gemauerten Steinöfen. Der Sauerteig bekommt Zeit zum Gehen, auch das Backen geht langsam, Zeit ist das höchste Gut in dieser Bäckerei. Es hat seinen Preis, den die Kunden gerne bezahlen.

Pfisterbrot ist längst so etwas wie ein Bekenntnis. Es gibt Menschen, die sind von München nach Berlin gezogen und haben jahrelang ihre alten Freunde nur um eines gebeten: "Bitte bringt bei eurem Besuch eine Pfister-Sonne mit." Deren Name ist übrigens patentiert: Kein Bäcker darf sein Sonnenblumenbrot einfach "Sonne" nennen, Pfister klagt notfalls dagegen. Die Sonne ist der Laib mit dem höchsten Umsatz.

Mittlerweile gibt es auch in der Bundeshauptstadt zehn Pfister-Filialen, 95 in München und 50 in Bayern und angrenzenden Regionen. Mit fast 1000 Mitarbeitern macht das Unternehmen einen Umsatz von 93 Millionen Euro. Der Chef hatte alles unter Kontrolle. Während seine Bäcker in zwei Schichten arbeiteten, saß er oft schon im Morgengrauen am Schreibtisch. Er redete gern mit den Leuten, "der bayerische Grundsatz ,leben und leben lassen' ist gerade im Betrieb wichtig, weil er beiden Seiten nützt. Sturheit hat noch nie jemandem weitergeholfen", sagte er einmal.

Bei einem Traditionsbetrieb wie der Hofpfisterei ist eine solche Haltung wohl besonders wichtig. Die Bäckerei ist fast 700 Jahre alt. 1331 wurde sie erstmals urkundlich erwähnt. München war gerade Residenzstadt geworden, und Ludwig der Bayer brauchte für seinen kaiserlichen Hofstaat eine eigene Bäckerei. So wurde gleich neben dem Alten Hof eine Pfisterei (Mühle und Bäckerei) eingerichtet.

Schon damals galt: Pfisterbrote enthalten keine Zusätze

Seit 1917 ist die Hofpfisterei ein Familienbetrieb. Ludwig Stocker hatte sie damals von der königlichen Krongutsverwaltung gepachtet. Als die Bayerische Schlösser-Verwaltung in den Fünfzigerjahren das Gebäude an eine Brauerei verkaufte, entschloss sich der Senior, eine neue Bäckerei in der Kreittmayr-straße zu bauen. Und schon damals galt: Pfisterbrote enthalten keine Zusätze.

Siegfried Stocker folgte dann 1970 seinem Vater als Unternehmensführer. Der studierte Volkswirt vertraute darauf, dass sich mit der richtigen Krume, mit Traditionsbewusstsein, Marketing und natürlicher Qualität die Zukunft sichern lasse. Während Industriebäckereien immer mehr Zusatzstoffe und Schnellback-Verfahren einführten, stellte er die komplette Kette vom Acker bis auf den Ladentisch auf Ökobetrieb um. Er war in Arbeitgeber-, Nahrungsmittel- und Umweltverbänden aktiv und bei den Gründern der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller.

Sein Engagement für die Natur wurde vielfach ausgezeichnet, neben anderem mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, dem Bayerischen Verdienstorden und dem Umweltpreis der Europäischen Kommission.

Im Alter von 71 Jahren ist der Unternehmer am Samstag im Kreise seiner Familie gestorben. Die bald hundertjährige Familientradition wird seine Tochter Nicole Stocker, bisher schon Geschäftsführerin, fortsetzen.

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Quelle:
SZ vom 09.06.2016
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