Es gibt ein Problem mit der Nachhaltigkeit: Alle finden sie gut – was soll man auch dagegen sagen? Dennoch sind nachhaltige Konsumprodukte kein Selbstläufer. Vielen Menschen ist es zwar wichtig, den Klimawandel zu bremsen. Sobald es aber unbequem oder teurer wird, sind die guten Vorsätze schnell vergessen. Es gibt zwar eine kleine Gruppe überzeugter Konsumentinnen und Verbraucher, die in jedem Fall ökologische Produkte oder vegane Lebensmittel kaufen. Die Frage ist aber, wie erreicht man als junges Unternehmen nicht nur jene Menschen, die von der guten Sache ohnehin überzeugt sind? Wie wird man für eine breite Zielgruppe interessant, ohne dabei seine Grundsätze zu verraten? Drei Münchner Start-ups verraten, wie sie Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit vereinen wollen.
Sie haben sich mit Gleichgesinnten in einem Verein zusammengeschlossen. Er heißt Start-ups for Tomorrow, sitzt in München und hat hier Mitglieder wie Recup (Mehrweg-Pfandsystem für Kaffeebecher und Geschirr), Happybrush (Zahnbürsten aus recyceltem Plastik), Greenforce (vegane Burger), Junglück (natürliche Kosmetik) oder Everdrop (Putzmittel ohne Einwegplastik). Gemeinsam wollen die grünen Start-ups für faire Lieferketten, die Vermeidung von Plastik und umweltbewusstes Wirtschaften kämpfen. „Wir wollen die Welt zu einem besseren Ort machen, ohne dabei den ökonomischen Erfolg aus den Augen zu verlieren“, sagt Constantin Schmutzler, der in München für Start-ups for Tomorrow gerade ein Festival mit 500 Teilnehmern organisiert hat und Geschäftsführer des Vereins ist.
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Denn: Nachhaltigkeit ist kein Ziel, das einfach mit gutem Willen und viel Tatkraft zu erreichen ist. Nachhaltigkeit verlangt harte Arbeit und langen Atem. Immer wieder müssen Gründer ihren Standort neu bestimmen, Kunden nach ihren Wünschen befragen, nachdenken, Neues erfinden, das Geschäftsmodell korrigieren, mutig sein und dabei die Hoffnung nicht verlieren, dass sie ökologische Probleme lösen und gleichzeitig profitabel sein können.
Everdrop: Wie Putzen cool wird
„Es gibt zwei große Probleme, wenn man Haushaltsreinigungsmittel kauft: Sie sind in Einwegplastik verpackt und die flüssigen Mittel bestehen zum Großteil aus Wasser, das wir alle zu Hause haben“, sagt David Löwe, einer der Gründer des jungen Putzmittel-Herstellers Everdrop, das auch Produkte zur Körperpflege verkauft. Auf eine Kreuzfahrt könne man der Umwelt zuliebe verzichten, aber nicht auf Waschmittel oder Duschgel. Wie also werden Spül-, Wasch- und Putzmittel oder Shampoo weniger klimaschädlich? Indem man sie in Form von Pulver, Tabs und festen Seifen verkauft. So lassen sich Plastik und Wasser vermeiden. Nur: kauft das auch jemand?
„Wir haben bei der Gründung von Everdrop lange überlegt, wie unsere Produkte aussehen sollen“, sagt Löwe. Normalerweise hätten nachhaltige Marken einen speziellen, „ökigen“ Look. „Wir dachten, wenn wir das jetzt auch machen, dann verdrängen wir nur andere Produkte, die auch nachhaltig sind, – und erreichen nicht viel“, sagt der Gründer. „Also haben wir uns entschieden, mit Design und Auftreten unserer Marke eine Brücke zum Massenmarkt zu bauen.“
Badreiniger, Spültabs oder Shampoo sind üblicherweise in Flaschen und Kartons mit grellen Farben verpackt. Bei Everdrop dominieren Rosa, Lavendel, Hellblau. Man muss ihre Wasch-, Spül- und Reinigungsmittel nicht unbedingt im Putzmittelschrank verstecken, die nachfüllbaren Flaschen haben ein schlichtes Design. „Wir wollen auch Menschen erreichen, die sich nicht mit dem grünen Lifestyle identifizieren, und ihnen ermöglichen, auf Plastik und CO₂-Emissionen zu verzichten“, sagt Löwe. „Es muss für sie okay sein, etwas Nachhaltiges zu kaufen.“
Deshalb arbeite Everdrop auch mit ungewöhnlichen Düften – es gibt zum Beispiel ein Duschgel mit Zitrone, Zedernholz, Lavendel. „Und wir versuchen, humorvoll zu sein“, sagt Löwe. „Unsere Spülmaschinen-Tabs sind nicht einzeln in Folie verpackt, die haben wir weggelassen, und sie Naked Tabs genannt, Nackedei-Tabs.“ Damit hat Everdrop gespielt. Das Münchner Start-up hat eine große Fangemeinde in den sozialen Netzwerken, Influencer spielen in der Werbung eine wichtige Rolle.
Für die Spülmittel-Tabs zogen sich einige von ihnen vor der Kamera aus – nach dem Motto „besser nackt als in Plastik verpackt“. Design, Duft und Humor sollen die „Einstiegsbarriere“ senken und einen breiten Teil der Bevölkerung dafür begeistern. „Viele Leute kaufen unsere Produkte hauptsächlich, weil sie hübsch aussehen oder angenehm riechen und nehmen die Nachhaltigkeit als gutes Gefühl mit“, sagt Löwe.
Weil Putzmittel auch sauber machen sollen und die Reinigungswirkung der Everdrop-Tabs anfangs zu gering war, hat das Start-up nachgelegt. Es gibt jetzt ein Power-Pulver für besonders schmutzige Oberflächen mit deutlich mehr Wirkstoff. „Wir mussten anfangs lernen. Uns war klar: Wir brauchen jemanden, der es schafft, diesen Sweetspot zwischen Nachhaltigkeit und Reinigungsleistung zu finden“, sagt Löwe.
Also haben sie ein erfahrenes Forschungsteam von Deutschlands größtem Lohnhersteller für Reinigungsmittel abgeworben. Es baute für Everdrop ein Labor auf und entwickelt seitdem neue Produkte oder verbessert alte. So sind das Power-Pulver entstanden und die Spülmaschinen-Tabs, die von der Stiftung Warentest im Februar als Sieger ausgezeichnet wurden – eben weil sie einen guten Ausgleich zwischen Reinigungsleistung und Gewässerbelastung erreichten. Für Löwe fühlt sich das an wie ein Ritterschlag.
Greenforce: Wenn Erbsenwurst schmeckt
Vegane Fleischersatz-Produkte finden sich heute in vielen Supermärkten und Bioläden; vor fünf Jahren sah das noch anders aus. „Das zeigt, dass Fleischalternativen die Zukunft sind und kein Trend, der vorbeigeht“, sagt Anne Köhler, die sich für Greenforce um den E-Commerce kümmert. Greenforce? Das sind die mit der veganen Weißwurst, die es auf der Wiesn 2022 zu einiger Berühmtheit gebracht hat. Und damit ist man schon mitten im Thema: Wie macht man eine vegane Wurst oder einen Leberkäse aus Erbsenprotein und Sonnenblumenkernen, der auch von Fleischessern gern gegessen wird?
Es ist, wie so oft, eine Frage des Geschmacks. „Um die Masse zu erreichen, müssen vegane Produkte dem Fleischoriginal sehr nahekommen“, sagt Köhler. „Sie dürfen kaum zu unterscheiden sein.“ Mit Leberkäse oder Cevapcici gelinge dies schon recht gut. Anderes sei schwieriger bis unmöglich zu imitieren: gegen ein Brathendl mit Knochen und knuspriger Haut täte sich die vegane Konkurrenz sehr schwer. Aber der Anspruch von Greenforce ist es, die Leute dort abzuholen, wo sie sind. Geschmack, Mundgefühl, Textur und Saftigkeit gewohnter Fleischprodukte sollen möglichst genau nachgebaut werden. „Wenn man etwas bewegen möchte, muss man die erreichen, die vorher nicht damit in Berührung gekommen sind“, sagt Köhler.
Niemand solle missioniert werden oder seine liebgewonnenen Essgewohnheiten überdenken müssen. Es sei ja schon viel gewonnen, wenn einmal die Woche statt Fleisch veganer Ersatz gegessen werde. Das will Greenforce den Menschen so leicht wie möglich machen. Köhler ist überzeugt: „Die Balance aus Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit gelingt nur, wenn nachhaltige Produkte schmecken und traditionelle Essgewohnheiten treffen.“ Dann lasse sich mit Pflanzen die Welt ein kleines bisschen verbessern. Auf der Website erfahren Kunden, dass so bereits 166 605 740 Kilo CO₂ eingespart und 7446 Rinder gerettet werden konnten.
Recup: Wo nur Gesetze helfen
Viele kennen sie: die farbigen Mehrwegbecher und -bowls von Recup, die im Café oder Imbiss die Einwegverpackung ersetzen können. „In den ersten Jahren nach der Gründung ging es steil nach oben. Jetzt sind wir in einer anderen Phase, die schwieriger ist“, sagt Geschäftsführer Fabian Eckert. Immerhin: das Unternehmen sei profitabel, aber die wirtschaftliche Flaute bekomme auch das Start-up zu spüren. Viele Partner in der Gastronomie gingen gerade durch Insolvenz verloren. „Aber bei Recup haben wir das große Glück, dass wir signifikant günstiger als Einweg sind, wenn ein Gastronom viel im Mehrweggeschirr verkauft“, sagt Eckert. „Dann kann man Ökonomie und Ökologie zusammenbringen.“ Nur zu erzählen, dass Müll schlecht ist, helfe nicht weiter. Es brauche ein Geschäftsmodell für Mehrweg, das zu gleichen – oder geringeren – Kosten funktioniert. Das könne Recup bieten.
Doch die vergangenen Jahre waren von Ukrainekrieg, Energiepreiskrise und Inflation geprägt. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass die Umweltkrise so aus dem Fokus gerät“, sagt Eckert. Aber sie werde nicht verschwinden. Langfristig stünden die Zeichen auf Mehrweg, gerade sei das Tagesgeschäft allerdings mühsam. Da hilft auch das Gesetz nicht, das Gastronomen seit Januar 2023 verpflichtet, Mehrwegverpackungen als Alternative zu Einweg anzubieten. Es lasse zu viele Lücken – und seine Einhaltung werde kaum kontrolliert. Eckert kennt nicht einen Wirt, der Bußgeld habe zahlen müssen. Die Folge: In Deutschland verharrt die Mehrwegquote im unteren einstelligen Bereich, wie eine Erhebung des Naturschutzbund WWF zeigt: Bei Getränken habe sich der Mehrweganteil auf 7,0 Prozent fast verdoppelt, im Bereich der Speisen sogar verdreifacht, dort liege er aber immer noch bei nur 0,3 Prozent.
„Von unserer Vision, den Müll abzuschaffen, sind wir weit weg“, sagt der Gründer. Was jetzt helfen würde? Eine Verpackungssteuer, wie sie Tübingen eingeführt hat, könnte funktionieren, glaubt Eckert. Die Stadt verlangt für Kaffeebecher und Pommesschalen zum Wegwerfen 50 Cent. Andere Städte wie Konstanz und Heidelberg wollen im kommenden Jahr nachziehen. Allerdings hat die Betreiberin einer McDonald’s-Filiale gegen die Tübinger Verpackungssteuer geklagt – ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht noch aus. „Ich habe mir gewünscht, dass es ohne Regulatorik geht“, sagt Eckert. „Manchmal brauchen die Menschen offenbar einen Schubs.“