Zu klein, zu groß, doppelt gemoppelt, eben nicht EU-Norm: Initiativen in München zeigen, dass man Obst und Gemüse, das aus der Norm fällt, an den Verbraucher bringen kann. Einen gemeinnützigen Weg verfolgt die Organisation "Foodsharing". Rund 1300 Helfer in München holen bei 141 Betrieben Lebensmittel ab und verteilen sie an vier Stationen in der Stadt, etwa im Eine-Welt-Haus. Im Angebot waren zuletzt auch einige der Zwillingskiwis, denn VollCorner ist ein Kooperationspartner der nicht kommerziellen Initiative.
Mittlerweile ist aus dem gewinnorientierten Vertrieb von vermeintlich drittklassigem Obst und Gemüse ein erstklassiges Geschäft erblüht. "Wer is(s)t schon gern normal?" ist das Motto des Münchner Start-ups Etepetete. Das Konzept: Über die Website lassen sich Boxen mit Obst und Gemüse bestellen, das Biobauern zuvor aussortiert haben. Geliefert wird vom Logistikzentrum im Allgäu aus an Haushalte in ganz Deutschland, die Box enthält, was saisonal verfügbar ist. Der Kunde zahlt per Lastschrift, die Box kommt mit Rezeptvorschlag nach Hause. Freitag für Freitag wird geliefert, bundesweit bisher mehr als 200 000 Boxen. Ein Geschäft, von dem Bauern profitieren - und mit dem die drei Gründer nicht nur sich mit gutem Gewissen ernähren können.
Ernährung:Nächste Trainingseinheit: Essen
Auf Münchner, die ihre Fitness so richtig ernst nehmen, wartet ein neuer Trend: Restaurants bieten Gerichte an, die aufs persönliche Workout-Programm abgestimmt sind.
München sei "einer der Hotspots, noch vor Berlin", sagt Carsten Wille, 25, einer der drei Gründer. Rund 20 bayerische Biobauern entledigen sich über Etepetete ihrer hagelverschlagenen Zucchini, Doppelgurken und ausgebuchteten Tomaten. Die Qualität dieser stünde "vermarktbarer" Ware in nichts nach, "oft ist schlichtweg zu viel produziert worden", sagt Wille. Dass VollCorner für den Vertrieb von Doppelkiwis abgemahnt wurde, findet der Mitgründer "absurd und lächerlich". Doch er zeigt Verständnis für Großhändler: "Wir erkennen die Problematik beim Boxenpacken." Trotzdem habe das Start-up schon "haufenweise Doppelkiwis verkauft".
Mit der Frage, ob sie das überhaupt dürften, hatten die Gründer selber vor zwei Jahren zu kämpfen. Die Lösung: aussortiertes Obst und Gemüse gar nicht erst als Handelsklasse Extra, I oder II deklarieren, sondern direkt als Überbleibsel verkaufen. Das scheint zu funktionieren: Seit April 2016 hat sich das Geschäft mit unförmigen Kartoffeln, dreibeinigen Karotten und sonnenverbrannten Auberginen in München verdreifacht. Nicht nur viele Verbraucher, sondern auch Großkunden scheinen sich nicht an Obst und Gemüse mit kleinen Makeln zu stören. Das Berliner Start-up Querbeet beliefert nach eigenen Angaben auch Cateringfirmen in München. Das Start-up erwuchs aus einer Nachhaltigkeitsinitiative mit Schnippelpartys - und bemüht sich nun darum, Nachhaltigkeit und Handel zu verbinden. Dass sich ein Biosupermarkt gegen EU-Vorgaben auflehnt, finde sie "unterstützenswert", sagt Amelie Mertin, 26, eine der Gründerinnen.
Der Teufelskreis, in dem große Supermärkte akkurat abgemessenes Obst und Gemüse einfordern, Kunden nur noch makellose Bananen und Äpfel als essbar erachten und schlussendlich haufenweise Tomaten und Co. in der Tonne landen, müsse endlich durchbrochen werden. Daran arbeiten Querbeet, Etepetete und Foodsharing mit 41 weiteren Akteuren wie der Tafel und der Verbraucherzentrale zusammen, im Bündnis "Wir retten Lebensmittel". Dieses hat das bayerische Ministerium für Landwirtschaft vor knapp zwei Jahren ins Leben gerufen, angelaufen sind seitdem Projekte wie Lebensmittelführerscheine für Schüler und Schulungsmaterial für Supermarktpersonal.
Der Ansatz, unförmiges Obst und Gemüse nicht mehr zu verschwenden, ist auch in Strategieabteilungen großer Supermärkte angekommen. Seit etwa einem Jahr vertreibt Penny die sogenannten Bio-Helden: Mischpackungen von normgerechtem Obst und Gemüse und solchem, das aus der Reihe fällt. Das hat dem Discounter im Bio-Bereich seit April 2016 ein Umsatzplus von sieben Prozent beschert. Billiger als zuvor sind die Packungen trotz Zitronen mit grünen Punkten und Zwiebeln mit Wasserflecken aber nicht. "Gleiche Qualität bedeutet gleiche Ware und gleicher Preis", sagt der Sprecher Andreas Krämer. Auch Kunden, die in Discountern einkaufen, seien heute anspruchsvoller und aufgeklärter. "Der Kunde weiß heute, dass Bioobst nicht makellos sein muss". Start-ups wie Etepetete und Querbeet sehe der Konzern durchweg positiv, "am Ende profitiert die gesamte Branche".