Man könnte einfach anfangen, so wie jener Kollege. Der wohnt im Münchner Westend und fährt von dort jeden Tag mit dem Fahrrad ins Büro nach Steinhausen im Münchner Osten, in jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter. Hin und zurück sind das rund 20 Kilometer. Würde er dieselbe Strecke mit dem Auto zurücklegen, würde er jeden Monat einen Ausstoß von Kohlenstoffdioxid in einer Menge verursachen, die ähnlich groß wäre wie sein Körpergewicht.
So gesehen, vermeidet der Kollege mit seinem Fahrrad aufs Jahr gerechnet einen Ausstoß von rund einer Tonne CO₂. So ergibt es sich aus dem Rechner der "Klimafit-Challenge", die der WWF und der Helmholtz-Forschungsverbund "Regionale Klimaänderungen und Mensch" entwickelt haben. Eine ganze Tonne, vermieden durch das Strampeln dieses Kollegen! Und dennoch: Das Klima rettet er damit leider nicht. Wie auch?
Es ist derzeit viel die Rede davon, dass der Einzelne sich einschränken muss, dass er mithelfen muss, die Welt zu retten, dass er zur Energiewende beitragen muss oder auch dazu, München, Deutschland und den globalen Westen unabhängiger zu machen von Energieimporten fragwürdiger Lieferanten. Münchens Erdgas etwa kommt hauptsächlich aus Russland, und laut Bundeswirtschaftsministerium sind die Privathaushalte immerhin die zweitgrößten Verbraucher von Erdgas in Deutschland, hinter der Industrie. Es ist also auch jeder Einzelne, der das Land abhängig macht. Doch was kann dieser Einzelne tun?
Wer Unabhängigkeit will, wer den Klimawandel stoppen und seine Folgen begrenzen will, der muss sich an andere Größenordnungen gewöhnen. Der Münchner Durchschnittshaushalt verbraucht laut den Stadtwerken Erdgas mit einer Energie von rund 20 000 Kilowattstunden, das entspricht grob kalkuliert etwa 2000 Kubikmetern. Zum Vergleich: Russland exportierte 2020 nach Deutschland 56,3 Milliarden Kubikmeter. Ähnlich sind die Größenverhältnisse beim Klimaschutz. Eine Tonne durch mehr Radfahren?
Wenn alle aufs Rad umsteigen würden - machen sie aber nicht
Alleine auf dem Münchner Stadtgebiet etwa sind 2017 - das sind die aktuellsten Zahlen der Stadt - mehr als neun Millionen Tonnen sogenannte CO₂-Äquivalente entstanden. Mit dieser Einheit wird gerechnet, um die Wirkung unterschiedlicher Treibhausgase miteinander vergleichen zu können. In Deutschland waren es 2021 laut Umweltbundesamt 762 Millionen Tonnen. In der EU waren es zuletzt 3,6 Milliarden Tonnen, weltweit gar mehr als 30 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalente. Was ist da schon eine Tonne? Klar, wenn alle Münchner, alle Deutschen, alle EU-Bürger, alle Menschen wie mein Kollege vom Auto aufs Rad umsteigen würden, dann läpperte sich das entsprechend zusammen. Nur: Das machen sie nicht.
Die großen Stellschrauben, an denen die Menschen weltweit drehen müssen, sind Kraftwerke und Heizungen, Fabriken und Motoren. Es wird dazu mutige und entschlossene Parlamente und Regierungen brauchen, nicht einfach nur Rad fahrende Journalisten. Richtig ist aber ebenso: Ohne diejenigen, die aufs Rad umsteigen, die ihr persönliches Verhalten ändern, wird es auch nicht gehen.
Das zeigt sich auch in den Plänen der Stadt München, die bis 2035 klimaneutral werden will. Die Stadt möchte zum Beispiel mehr Gebäude als bisher durch klimaneutral erzeugte Fernwärme beheizen, und sie möchte parallel durch Sanierungen den Energieverbrauch beim Heizen senken. In beiden Fällen ist sie darauf angewiesen, dass die Hauseigentümer mitziehen. Wenn die Stadt mit Millionen Euro die Installation neuer Solarzellen fördern will, dann liegt es an den Münchnerinnen und Münchnern, solche Zellen tatsächlich an ihren Dächern und Balkonen anzubringen. Wenn die Stadt den öffentlichen Nahverkehr verstärken und Radwege bauen will, dann liegt es an den Münchnerinnen und Münchnern, tatsächlich das Auto stehen zu lassen.
Und das ist nicht alles: Laut Umweltbundesamt entfällt rund die Hälfte des durchschnittlichen CO₂-Fußabdrucks der Deutschen auf Ernährung und Konsum - und taucht damit in der Klima-Bilanz der Stadt großteils gar nicht auf, denn in dieser werden nur Emissionen berücksichtigt, die auf dem Münchner Stadtgebiet entstehen. Treibhausgase, die anderswo bei der Herstellung von Waren entstehen, die in München über den Ladentisch gehen, fallen aus der Rechnung, ebenso Emissionen, die irgendwo auf der Welt in der Landwirtschaft entstehen, damit die Münchnerinnen und Münchner genug zu essen haben. "Wir müssen uns Gedanken machen über die Art und Weise, wie wir arbeiten, wie wir uns bewegen, wie wir essen", sagte zuletzt Münchens Klimaschutzreferentin Christine Kugler. Sie glaube nicht daran, dass es eine ausschließlich technische Lösung für den Klimaschutz geben werde. Aber die künftige Welt müsse deshalb nicht schlechter werden: "Wer sagt denn, dass die Welt, wie wir sie uns heute eingerichtet haben, die allerbeste ist?"
Die SZ zeichnet in einer Serie nach, was der Einzelne unternehmen kann, um München auf dem Weg zur Klimaneutralität voranzubringen - auch wenn es nur kleine Dinge sind. Denn der Einzelne wird das Klima zwar nicht retten. Aber ohne dass sich jeder Einzelne bemüht, wird es auch nicht gehen.