Süddeutsche Zeitung

Nachhaltige Ernährung:Besser essen

Ein neuer, von der EU geförderter Verbund will erforschen, wie Lebensmittel gesünder und nachhaltiger produziert werden können. Mit dabei sind viele Konzerne und die Technische Universität

Von Jakob Wetzel

Es ist etwas faul im Reich der Lebensmittel. Ein Drittel aller hergestellten Nahrungsmittel landet auf dem Müll. Mehr als die Hälfte der Europäer sind übergewichtig. Und geht es ums Essen, ist moderne Technik vielen suspekt: Neun von zehn Start-ups finden für ihre Angebote im Bereich Lebensmittel keine Marktlücke. Nur eins von 40 Start-ups in Europa wagt sich überhaupt in diesen Sektor. Die Europäische Union will das gerne ändern - und zwar gemeinsam mit der Technischen Universität München (TU).

Vor wenigen Wochen hat die TU einen Wettbewerb des Europäischen Instituts für Innovation und Technologie (EIT) für sich entschieden. Das EU-Institut pumpt nun in den kommenden sieben Jahren im Rahmen des Projekts "EIT Food" bis zu 400 Millionen Euro in einen Verbund namens "FoodConnects", in dem sich unter dem Dach der TU 50 Hochschulen, Firmen und Forschungszentren aus 13 Ländern zusammengeschlossen haben, darunter die Fraunhofer-Gesellschaft und Firmen wie Siemens, Bosch, Pepsi und Nestlé. Koordiniert wird die Arbeit im TU-Wissenschaftszentrum Weihenstephan. Die ersten Projekte sollen in diesem Frühjahr beginnen.

"Wir wollen Lebensmittel gesünder und ihre Produktion effizienter und nachhaltiger machen", sagt Thomas Hofmann. Er ist Vizepräsident der TU, leitet dort den Lehrstuhl für Lebensmittelchemie und Sensorik und hat den Verbund federführend koordiniert. Die EU will dabei vor allem innovationsfreudige Firmen und Institute unterstützen: Die 400 Millionen Euro werden nur voll ausbezahlt, wenn die beteiligten Partner selbst mindestens 1,2 Milliarden Euro investieren. Die TU selbst will sich mit Hilfe der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie verstärken. Die 99 Jahre alte und bislang rechtlich selbständige Institution soll formell eigenständig bleiben, aber als "Leibniz-Institut für integrative Lebensmittelforschung" in die Universität eingegliedert werden, sagt TU-Präsident Wolfgang Herrmann. Das Institut soll zudem erweitert werden; binnen zwei Jahren soll ein Neubau entstehen.

In den Blick wollen die Forscher die gesamte Wertschöpfungskette nehmen, also alles von der Züchtung von Pflanzen über ihre Verarbeitung bis hin zum Konsum. Anders gehe es gar nicht, sagt Hofmann. Um zum Beispiel Lebensmittel recyceln zu können, reiche es nicht, zu überlegen, wie man die einst versprühten Pestizide von den wertvollen Inhaltsstoffen trennen könne. Man müsse früher ansetzen, also auch fragen, wie man ohne Pestizide auskommen kann - und ohne Gentechnik. "Firmen, die auf Gentechnik setzen, haben wir nicht als Partner ausgewählt", sagt Hofmann. Er wolle alternative Methoden erforschen. Konkreter wird der TU-Vize nicht. Im März wollen sich zunächst die Partner von "FoodConnects" treffen, um sich kennenzulernen. Das sei im Alltag schwierig, sagt Hofmann: Das Gros der Firmen sei klein bis mittelgroß.

An Visionen mangelt es Hofmann nicht. Man könne nach Alternativen zu fleischlichem Eiweiß suchen, sagt er. In jedes Kilo Rindfleisch müsse man 4000 bis 12 000 Liter Wasser investieren, das sei nicht tragbar. Und auch das Mindesthaltbarkeitsdatum sei überholt. "In Supermärkten werden viele Lebensmittel weggeworfen, weil das Datum überschritten ist, obwohl sie noch genießbar sind." Hofmann schwebt eine Art digitaler Pass für jedes Produkt vor: Mit ihm könne man erfassen, wo und wann etwas produziert, wie es verarbeitet wurde und wie stark es mit Pestiziden belastet ist. Ob etwas weggeworfen werden muss, könne man dann im Einzelfall entscheiden.

Teil von "EIT Food" ist auch die Marktforschung - mit dem Ziel, die Scheu vor modernen Technologien abzubauen. "Ein neues Handy kann den Leuten nicht fancy genug sein", sagt Hofmann. Bei Nahrungsmitteln sei das aber ganz anders. "Der Lebensmittelsektor ist brutal traditionell." Die Perspektive der künftigen Konsumenten soll deshalb von Anfang an einfließen.

Die ersten Schritte sind getan. Mit vier Millionen Euro EU-Anschubfinanzierung sind fünf Koordinationszentren entstanden, eins in Weihenstephan und je eines in Madrid, London, Brüssel und Warschau. In den kommenden sieben Jahren sollen 250 Start-ups gefördert, 10 000 Fachleute weitergebildet und etwa 290 neue Produkte entwickelt werden. Dabei sei man offen für neue Partner, so Hofmann. Nach sieben Jahren werde man sehen, wie erfolgreich die Arbeit war. Für die TU ist der Verbund bereits ein Erfolg: Es ist das bisher größte Verbundprojekt in Freising und das erste vom EIT geförderte Projekt mit Sitz in Bayern. Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) habe der TU bereits eine halbe Million Euro im Jahr aus dem Etat ihres Hauses zugesagt. "Und die werden nicht über halb Europa verteilt", sagt Präsident Herrmann. "Die bleiben schön brav bei uns."

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SZ vom 02.02.2017
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