Anlaufstelle:Wie Nachbarschaftstreffs den Zusammenhalt im Viertel fördern

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Beim Workshop an der Lehrer-Wirth-Straße gibt Petra Wolf (rechts) den Frauen Tipps für die Arbeit an der Nähmaschine. (Foto: Robert Haas)

42 Nachbarschaftstreffs gibt es in München, in denen Menschen gemeinsam kochen, nähen oder einfach reden. Mit einer Aktionswoche werben die Organisatoren um neue Besucher.

Von Christina Hertel

Wenn Markus Oswald über die 42 Münchner Nachbarschaftstreffs spricht, in denen Menschen gemeinsam Kaffee trinken, ihr Fahrrad reparieren oder kochen, klingt er, als gehörten sie zu den letzten heilen Orten der Stadt: Die Treffs, so glaubt er, würden Konflikte in den Vierteln verhindern, die Anonymität der Großstadt auflösen und Bürger dazu motivieren, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Um die Einrichtungen bekannter zu machen, organisiert Oswald zum dritten Mal die Woche der Nachbarschaftstreffs. Noch bis Mittwoch, 29. Mai, können sich Interessierte bei Nähworkshops, Spaziergängen, Festen und Ausstellungen von dem Angebot überzeugen.

Oswald will so die Treffs nicht nur bei den Münchnern bekannter machen, sondern auch bei den Politikern. Er will ihnen zeigen, dass sich die 3,8 Millionen Euro, die die Stadt jedes Jahr dafür ausgibt, lohnen, und dass es richtig ist, wenn in den nächsten Jahren noch an die 20 weitere eröffnet werden - mit Räumen, die die Anwohner mieten können, und einem Sozialarbeiter, der das Angebot koordiniert. "Wo die Stadt auseinanderdriftet", sagt er, "können die Treffs helfen, die Menschen wieder zusammenzubringen."

Schneidern in der Messestadt

Eine Frau zieht ein schwarz-weiß gemustertes Stück Stoff durch die Nähmaschine. Es rattert immer schneller und schneller, bis das Geräusch plötzlich stoppt. Irgendetwas hat sich verheddert. "Das ist wie beim Autofahren. Man muss erst ein Gefühl dafür bekommen", sagt Petra Wolf. Sie bietet jeden zweiten, dritten und vierten Donnerstag im Monat ein Nähcafé im Nachbarschaftstreff Galeria in der Messestadt an. Dort gibt sie Frauen Tipps, wie sie Hosen kürzen und Kleider umnähen können. Um kurz nach 9 Uhr sitzt nur eine Frau hinter der Nähmaschine. Dann kommt eine weitere mit Kopftuch durch die Tür, kurz darauf eine mit dunklem Teint und dunklen Haaren. Multikulturell und familienfreundlich sind die ersten Stichworte, die Angie Pritschet, der Leiterin, zu ihrem Treff einfallen: Es gibt einen arabischen Lesekurs, eine türkische Frauengruppe. Und Nachhilfe, Kochen für Kinder, Hausaufgabenbetreuung - schließlich gilt das Viertel als eines der kinderreichsten Münchens.

Besonders, sagt Pritschet, habe sie sich darüber gefreut, als vergangene Woche ein junger Vater bei ihr angefragt habe, ob er einen Papa-Treff gründen könne. Frauengruppen gebe es schließlich einige - dass sich auch Männer treffen, um sich über Kindererziehung auszutauschen, sei neu. Auch während der Aktionswoche stehen Kinder im Vordergrund: Am Montag, 27. Mai, können Jungen und Mädchen zwischen sieben und 14 Jahren bei einem Spaziergang Ideen für ein kinderfreundlicheres Viertel sammeln. Treffpunkt ist um 13 Uhr am Galeria-Treff an der Lehrer-Wirth-Straße. 21.

Improvisieren in Sendling

Fünf, vier, drei, zwei, eins, zählt Justin Hegler herunter. Dann befindet er sich in einer imaginären Küche beim Schnibbeln von Gemüse, in einer Bank bei einem Überfall oder mitten in einem lautstarken Familienstreit. Justin Hegler, 58 Jahre alt, leitet im Nachbarschaftstreff Theresia in Sendling eine Improtheatergruppe. Wie Theaterspielen ohne Textbuch funktioniert, können sich Interessierte am Mittwoch, 29. Mai, um 18.30 Uhr anschauen (Anmeldung unter orpmi14@gmail.com). An diesem Abend sind sechs Männer zum Theaterspielen gekommen, sie warten in einem Schulungsraum mit weißer Tafel und weißen Tischen darauf, dass es los geht - zuerst mit Aufwärmübungen, dann mit dem Spiel, das immer anders aussieht, je nachdem, wer gerade anfängt.

In Sendling lädt Justin Hegler (links) Nachbarn zum Improtheater. (Foto: Stephan Rumpf)

Wie er darauf kam, eine Improtheatergruppe zu gründen, kann Hegler gar nicht mehr so genau sagen. Er hatte einfach Lust und erzählte in dem Nachbarschaftstreff von seiner Idee. So, meint Julia Achtner, die Leiterin, seien im vergangenen Jahr auch ein offenes Atelier und ein türkischer Männerchor entstanden. "Das Schöne ist, dass alles so unkompliziert abläuft." Und dass man hier verschiedene Sprachen und Kulturen kennenlernen könne. Um einen Eindruck von der Vielfältigkeit zu vermitteln, richtet Leiterin Julia Achtner am Montag, 27. Mai, von 17 Uhr an einen orientalischen Kochabend aus.

Gemeinsame Heimat in Laim

Er zählt zu den kleinsten Nachbarschaftstreffs Münchens: In einem 22 Quadratmeter großen Raum im Alten- und Service-Zentrum kommen die Anwohner der Siedlung Alte Heimat in Laim zusammen - um Kaffee zu trinken, ihr Fahrrad zu reparieren oder um zu beratschlagen, wie es mit dem Viertel weitergehen soll. Ursprünglich sei der Plan der Stadt gewesen, die Siedlung mit ihren rund 600 Wohnungen abzureißen und neu zu bauen, erzählt Hester Butterfield, die Leiterin des Treffs. Doch die Anwohner schlossen sich zusammen, protestierten gemeinsam, und inzwischen sind viele Häuser saniert. "Es gab viel Lärm, Staub und Dreck, aber sie stehen noch", sagt Butterfield - zum Telefonieren hat sie sich in die Garderobe verzogen, in dem Gruppenraum treffen sich Leute gerade zum Kaffeeklatsch, und sonst ist nirgends Platz.

Für Butterfield ist der Treff vor allem ein Ort des Austauschs: zwischen den älteren Menschen, die als Kinder nach dem Krieg in die Siedlung zogen, weil ihre Wohnungen zerstört waren. Und den Geflüchteten, die inzwischen ihre Familien nachholten, eine Ausbildung oder Arbeit fanden. Damit all diese Leute ins Gespräch kommen, startet in dem Treff am Freitag, 6. Juni, eine Kochreihe, bei der Nachbarn Gerichte aus ihrer ersten Heimat servieren. Beginn ist um 18 Uhr. Weil die Räumlichkeiten so klein sind, sind ausschließlich Anwohner des Viertels eingeladen.

Geschichte am Harthof

"Die Geschichte des Viertels soll nicht vergessen werden", sagt Biancka Miranda, sie leitet den Nachbarschaftstreff "Unter den Arkaden" am Harthof. Das Quartier bestand früher aus Kasernen, inzwischen wurden viele neue Wohnungen gebaut, Familien mit kleinen Kindern zogen her. Miranda möchte, dass diejenigen, die schon lange in dem Quartier leben, helfen, die Historie der Siedlung zu bewahren. Am Montag, 27. Mai, begibt sie sich deshalb, mit allen, die etwas über das Viertel erzählen können, und allen, die etwas darüber erfahren möchten, von zehn Uhr an auf einen Spaziergang. Treffpunkt ist an der Dientzenhoferstraße 68.

Mirandas Ziel ist, aus den Erzählungen eine Ausstellung zu machen. Der Nachbarschaftstreff, sagt sie, sei für viele Bewohner ein Zufluchtsort. Sie finden hier Beratung - wenn sie krank sind, die Miete nicht mehr zahlen können oder keinen Kindergartenplatz finden. Es würden Menschen jedes Alters, jeder Herkunft mit den unterschiedlichsten Interessen kommen: Mittwochvormittag von zehn Uhr an gibt es einen Computerkurs für Senioren, und danach findet einmal im Monat von 13.30 Uhr an ein Filmnachmittag statt. Es gibt Alphabetisierungs- und Englischkurse, offene Spieletreffs und Krabbelgruppen.

Das komplette Programm gibt es unter www.nachbarschaftstreff-muenchen.de.

© SZ vom 24.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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