Süddeutsche Zeitung

Nach Überfall auf Juwelierladen:Räuber entschuldigt sich bei Opfer

Lesezeit: 2 min

Von Christian Rost

Obwohl er es gerne möchte, diesen Geburtstag wird Rudolf Bleiholder nicht vergessen. 42 Jahre alt wurde der Juwelier am 17. April 2013. Wie an jedem anderen Werktag auch stand er im Geschäft, das er am Hotel Königshof zusammen mit seinem Bruder führt. Es ist ein Familienbetrieb, den es bereits seit 1919 gibt. Seit Rudolf Bleiholder sich um die Beratung der Kunden und die Goldschmiedewerkstatt kümmert, hatte er so etwas noch nicht erlebt.

Eine 16-jährige Auszubildende befand sich noch im Laden, als gegen 13.30 Uhr Ervin V. durch die Tür trat. Der arbeitslose Mann hatte sich seinen Schal über die Nase hochgezogen und bedrohte den Juwelier und die Jugendliche aus nur einem Meter Entfernung mit einer schwarzen Waffe. Es handelte sich um eine Schreckschusspistole, die aber so täuschend echt aussieht, dass man dafür einen Waffenschein benötigt.

Selbst Bleiholder, der sich als Jäger auskennt mit Waffen, hielt diesen Beretta-Nachbau für echt. "Ich hatte Todesangst", sagte der alleinerziehende, zweifache Vater am Montag beim Prozessauftakt gegen den Räuber am Landgericht München I.

"Einpacken! Einpacken!"

Der 29-jährige V. zögerte nicht lange. Er deutete auf den mit Perlenketten bestückten Tresen und forderte: "Einpacken! Einpacken!" Der massiv unter Druck stehende Juwelier wunderte sich noch, dass es der Räuber nicht auf Gold abgesehen hatte, das sich leichter weiterverkaufen lässt, und musste den Schmuck im Gesamtwert von 15 600 Euro in eine Tasche füllen. Als V. dann auch noch auf das Geld in der Kasse aus war, versuchte der Ladeninhaber Zeit zu gewinnen. "Ich schüttete ihm Münzgeld auf den Tresen in der Hoffnung, dass es ihm zu lange dauert, das Geld einzusammeln, und er verschwindet." Der Täter griff jedoch selbst in die Kassenlade und erbeutete daraus 500 Euro. Anschließend verließ er rasch das Ladenlokal und versteckte die Waffe in seiner Tasche.

"Ich weiß auch nicht, warum ich hinter ihm her bin, es war wohl ein Reflex", berichtete Bleiholder über das weitere Geschehen. Während seine Auszubildende hyperventilierend im Geschäft zurückblieb und später von einem Notarzt versorgt werden musste, rannte der Chef dem Räuber hinterher. Bleiholder rief: "Überfall, festhalten!" Etwa 100 Menschen befanden sich im näheren Umkreis auf der Straße, aber nur einer griff beherzt ein.

Der Täter stellte sich ein halbes Jahr später

Ein 45-jähriger griechischer Zeitungsverkäufer stellte sich dem flüchtenden Ervin V. in den Weg. Zusammen mit dem Juwelier bekam er zumindest die Tasche mit dem Schmuck und Geld zu fassen, die der Täter schließlich loslassen musste. Nicht eine einzige Kette erbeutete V., der den Überfall wegen Schulden in Höhe von 30 000 Euro begangen hatte. Die Polizei konnte ihn nicht fassen, doch ihn drückte das Gewissen so sehr, dass er sich ein halbes Jahr später selbst stellte.

Vor der 20. Strafkammer räumte er über seinen Anwalt Uwe Paschertz die Tat ein und wandte sich dann selbst an den Juwelier im Zeugenstand: "Ich kann das nicht rückgängig machen", sagte er - und dass er niemanden verletzen wollte. "Ich konnte nicht nachvollziehen, wie es ist, wenn man auf der anderen Seite der Waffe steht", sagte V., um zu rechtfertigen, weshalb er dem Juwelier und der Angestellten einen derartigen Schock versetzt hat. "Ich möchte mich entschuldigen."

Rudolf Bleiholder meinte, es sei "ein starkes Zeichen", dass der Räuber sich gestellt habe. Nach kurzem Überlegen akzeptierte er die Entschuldigung, obwohl die Tat ihn nach wie vor verfolgt. "Es vergeht keine Woche, in der ich nicht daran denke", sagte der Juwelier, besonders an seinem Geburtstag wird er daran erinnert. Der Prozess wird fortgesetzt.

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SZ vom 03.03.2015
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