Nach Goldschürfen in Afrika:Nur knapp überlebt: Malaria-Patient klagt nach Grippe-Diagnose

Nach Goldschürfen in Afrika: Anna Oleshko und Baris Gelir im Klinikum Schwabing. Beim Goldschürfen in Sierra Leone steckte sich der Mann mit Malaria an.

Anna Oleshko und Baris Gelir im Klinikum Schwabing. Beim Goldschürfen in Sierra Leone steckte sich der Mann mit Malaria an.

(Foto: privat)
  • Fieberschübe und Schüttelfrost: Ärzte attestieren einem 32-jährigen Münchner eine Grippe - obwohl er betont, dass er vor kurzem zum Goldschürfen in Afrika war.
  • Dann stellt sich heraus, dass er schwer an Malaria erkrankt ist.
  • Der Mann überlebt knapp - und zieht vor Gericht

Von Thomas Schmidt

Baris Gelir liegt apathisch im Bett, als der Rettungsdienst seine Wohnung betritt. Anfälle lassen seinen Körper zittern, er friert und schwitzt, ist kaum noch ansprechbar. Malaria-Erreger zerstören seine roten Blutkörperchen. Bei einem Befall von mehr als zehn Prozent wird es lebensgefährlich, bei Gelir ist der Wert zu diesem Zeitpunkt wohl schon doppelt so hoch. Der 32-jähriger Münchner muss ins Krankenhaus, sofort. Verängstigt wählt seine Freundin die Nummer 112. Doch die Sanitäter vermuten, der Mann leide unter einer Grippe - und lassen ihn liegen. Seine Freundin weint, fleht verzweifelt. Er solle viel Wasser trinken, raten sie ihr. Und fahren davon. Ohne Gelir. Es ist der Abend des 12. Januar.

Der junge Unternehmer überlebt knapp, inzwischen hat er sich erholt und einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Den Rettungsdienst verklagt er wegen unterlassener Hilfeleistung, von seinem Hausarzt verlangt er Schmerzensgeld. Denn der Arzt hat offensichtlich einen lebensgefährlichen Fehler gemacht.

Dass Baris Gelir die Malaria überlebt, verdankt er zwei Menschen. Der erste ist seine Freundin, Anna Oleshko. Egal, was die Männer vom Rettungsdienst an jenem Donnerstagabend sagen, irgendwie spürt die 30-Jährige, dass sie ihren Freund nicht einfach im Bett liegen und schlafen lassen darf. Hätte sie das getan, wäre er vermutlich gestorben. Stattdessen schleppt sie ihn das Treppenhaus hinunter, vier Stockwerke, und setzt ihn in ein Taxi. Zusammen fahren sie ins Klinikum Bogenhausen, wo sie gegen 23 Uhr ankommen.

Oleshko erinnert sich: "Die erste Frage an der Rezeption war: ,Aus welchem Asylheim ist der denn?'", sagt sie. "Und dann: ,Hat der Drogen genommen?'" Nein, hat er nicht. Männer seien eben wehleidig, wenn sie krank sind, habe eine Frau lapidar zu ihr gesagt. Baris Gelir bekommt von all dem längst nichts mehr mit, er ist völlig weggetreten. Anna Oleshko erinnert sich deshalb für beide an den schlimmen Abend. Wenn sie es tut, dann weint sie.

Während das Paar in der Klinik warten muss, vermehren sich die Parasiten in seinem Blut weiter. Die Malaria nimmt ihren Verlauf: Blutgefäße verstopfen, der Sauerstoff in den Organen wird knapp. Eine Stunde habe es gedauert, bis der erste Arzt zu ihnen gekommen sei, sagt Oleshko. Sie erklärt den Ärzten mehrmals, dass ihr Freund vor Kurzem in Westafrika war, einem Malaria-Gebiet.

Doch die ganze Nacht über stellt niemand die naheliegende Diagnose. Gelir rückt dem Tod näher. Dann, am Vormittag des nächsten Tages, kommt endlich der richtige Befund. Der 32-Jährige wird verlegt und zu einem Spezialisten ins Schwabinger Klinikum gebracht. Zu dem zweiten Menschen, dem er sein Leben verdankt.

Es ist knapp, verdammt knapp

Es ist knapp, verdammt knapp. Inzwischen hat die Malaria 30 Prozent der roten Blutkörperchen zerstört, eigentlich ein tödlicher Wert. Der Schwabinger Arzt rät Anna Oleshko, wenn Verwandte ihn noch besuchen wollen, sollten sie sich beeilen. Es gibt kaum noch Hoffnung. Während Gelir ohnmächtig gegen den Feind in seinem Blut kämpft, wacht seine Freundin an seinem Bett. Doch die Medikamente schlagen an, gerade noch rechtzeitig. Gelir übersteht die kritischste Phase seines Lebens. Gegen zwei Uhr nachts öffnet er wieder die Augen. Seine Freundin erinnert sich: "Das war so ein glücklicher Moment", sagt sie. Er überlebt.

Gelir ist nur deswegen nicht gestorben, weil seine Freundin dem Rettungsdienst nicht glaubte. Weil der Schwabinger Arzt sofort und richtig reagierte. Und weil der 32-Jährige an Thalassämie leidet, einem Gendefekt, der den Malaria-Erreger etwas bremst. Für die meisten Menschen ist ein 30-Prozent-Befall tödlich. Infiziert hatte sich der selbständige Geschäftsmann im vergangenen Dezember, als er in Sierra Leone mit seinen Angestellten Gold wusch.

Zurück in München stellten sich bald die typischen Symptome ein: Fieber, Schüttelfrost, Erbrechen. Er konsultierte seinen Hausarzt, doch der wiegelte ab: Gelir könne keine Malaria haben, wegen des Gendefekts sei er immun, so lautet die gefährliche Fehleinschätzung des Arztes. Doch das Fieber steigt und steigt, bis Anna Oleshko schließlich die 112 wählt - und der Rettungsdienst ihn im Stich lässt.

Malaria

Die Malaria, auch Sumpf- oder Wechselfieber genannt, ist eine Tropenkrankheit, die rechtzeitig erkannt leicht behandelt werden kann, ohne Medikamente aber lebensgefährlich ist. Verbreitet wird die Krankheit in den Tropen und Subtropen durch den Stich der Anophelesmücke. Einzellige Parasiten, sogenannte Plasmodien, gelangen so in den Blutkreislauf des Menschen. Sie vermehren sich zunächst in der Leber, verbreiten sich dann im ganzen Körper und greifen die roten Blutkörperchen an. Das führt zu einer Verengung der Gefäße und somit zu einem Sauerstoffmangel in den Organen. Dies wiederum kann unter anderem zu Lungenödemen und einer Schädigung des Gehirns führen.

Die Malaria bricht nicht unmittelbar nach dem Mückenstich aus, die ersten Symptome treten meist nach zwei bis drei Wochen auf. Sie ähneln zunächst denen einer Grippe, besonders typisch sind Fieberschübe. Einen Impfstoff gibt es bislang nicht, dafür aber vorbeugende Medikamente, die das Risiko zumindest verringen können. Von Mensch zu Mensch ist die Malaria nicht ansteckend, außer gelegentlich von der Mutter auf ihr ungeborenes Kind oder bei Bluttransfusionen. Weltweit verzeichnete die Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahr 2015 440 000 Malaria-Tote. Allein in Nigeria waren es 300 000. In vielen Ländern verbessert sich die Situation inzwischen aber deutlich. TbS

Sein Rechtsanwalt Thomas Hofknecht hat inzwischen Strafanzeige gestellt, weil der Rettungsdienst Gelir weder behandelt noch ins Krankenhaus gebracht hat. Es sei "unbegreiflich", so Hofknecht, "wie ärztliche Hilfe derart verweigert werden kann". Dem Hausarzt wirft Hofknecht "grobes Versagen" vor. "Man muss kein Mediziner sein, um auf Malaria zu kommen, wenn der Patient gerade aus Afrika kommt und 40 Grad Fieber hat."

Hätte der Hausarzt die richtige Diagnose gestellt, wäre es ein Leichtes gewesen, die Malaria mit Medikamenten in den Griff zu kriegen. Gelir hätte nie in Lebensgefahr geraten dürfen. Hans-Dieter Nothdurft war lange Jahre Oberarzt am Tropeninstitut der Ludwig-Maximilians-Universität und erklärt: "Wenn man eine Malaria frühzeitig erkennt, ist sie fast immer gut heilbar." Zeit spielt eine entscheidende Rolle. "Wenn jemand in Afrika war und Fieber bekommt, muss man von einer Malaria ausgehen, bis das Gegenteil bewiesen ist." Dass der Hausarzt die Gefahr nicht erkannt habe, sei "ein klarer ärztlicher Kunstfehler".

Solche Fehler hat Nothdurft "leider schon ein paar Mal erlebt". Der Oberarzt berichtet von einer Münchnerin, die ihrem Arzt sogar eine Postkarte aus Kenia geschickt hatte, zwei Wochen später krank in seine Praxis kam - und trotzdem nicht auf Sumpffieber getestet wurde. Stattdessen verabreichte ihr der Mediziner ein pflanzliches Arzneimittel gegen Erkältung. Tags darauf habe ihr Lebensgefährte sie tot in ihrer Wohnung gefunden.

Dass Gelir trotz der zunächst falschen Diagnose überlebte, sei "ein großes Glück" gewesen, sagt der Oberarzt. Und er hat es dem klugen Misstrauen Anna Oleshkos zu verdanken. Sie erinnert sich noch gut daran, welche Frage ihr der Fahrer stellte, als sie ihren Freund an dem unheilvollen Abend ins Taxi schleppte: "Warum haben Sie denn nicht den Notdienst gerufen?"

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