Süddeutsche Zeitung

Nach Entscheidung des Stadtrats:Wiesnwirte: "Wir bleiben vernünftig"

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Bürgermeister Josef Schmid (CSU) wirbt bis zuletzt heftig dafür, den Preis fürs Bier auf dem Oktoberfest zu deckeln. Doch der Stadtrat lehnt das nach hitziger Debatte ab - sehr zur Freude der Zeltbetreiber

Von Heiner Effern und Franz Kotteder, München

Am Ende dieses hitzigen Vormittags im Münchner Stadtrat stand ein großes Versprechen. "Alles was wir brauchen, ist eine vernünftige Politik", sagte Toni Roiderer, Wirt des Hackerzelt und Sprecher der großen Wiesnwirte. Und fügte hinzu: "Wir bleiben auch vernünftig und werden bei den Preisen nicht überziehen."

Fast vollzählig waren Roiderer und seine Wiesnwirt-Kollegen auf dem Besucherbalkon des Großen Sitzungssaals im Rathaus vertreten. Und mit dem Ergebnis der Abstimmung über die Idee von Bürgermeister Josef Schmid (CSU), einen Bierpreisdeckel einzuführen, waren sie erwartungsgemäß zufrieden. Der Stadtrat lehnte es mit großer Mehrheit ab, den Preis für die Mass bis 2019 bei 10,70 Euro einzufrieren. Sehr zur Freude von Lorenz Stiftl, Sprecher der kleinen Wiesnwirte: Letztlich habe natürlich immer der Stadtrat das Sagen. Aber: "So, wie's jetzt ist, ist alles gut."

Das sieht Bürgermeister Schmid ganz anders. Er wollte mit der Preisbremse verhindern, dass die Wirte die höheren Kosten für die Sicherheit auf der Wiesn direkt auf die Besucher umlegen. SPD, Grüne, FDP und Bayernpartei hielten Schmids Idee für ein untaugliches und populistisches Mittel, da die Wirte als Reaktion ihre anderen Preise erhöhen könnten. Der frühere Wiesn-Stadtrat Helmut Schmid (SPD) sagte, Familien sei durch einen Bierpreisdeckel nicht geholfen: "Aber ein Kampftrinker, der mehr als zehn Mass trinkt, hat vielleicht einen Preisvorteil von fünf Euro. Das muss doch wirklich nicht sein!"

Geeinigt hat sich der Stadtrat auf eine Umsatzpacht für Betriebe, die Alkohol ausschenken, und etwas höhere Standgebühren für die restlichen Beschicker. So sollen diese die in diesem Jahr fälligen etwa fünf zusätzlichen Millionen Euro für die Sicherheitsvorkehrungen aufbringen. Der von Schmid als Ausgleich dafür vorgeschlagene zusätzliche Wiesntag fiel im Stadtrat ebenfalls durch.

Dem Beschluss war eine emotionale Debatte vorangegangen. Schmid hatte zu Beginn seine Vorschläge erläutert. Die Umsatzpacht, der Bierpreisdeckel und der zusätzliche Tag seien "sachlich begründet und ausgewogen". Er vertrete als Wirtschaftsreferent "das Interesse der Wiesnbesucher"; in Umfragen habe sich auch eine breite Mehrheit der Münchner dafür ausgesprochen. Wenn das mit dem Vorwurf des Populismus verbunden werde, "so lasse ich mich gerne Populist nennen", sagte Schmid. Ihm gehe es darum, dass die Stadt die Kosten für die Sicherheit da abhole, "wo die größten Gewinne gemacht werden".

Schmid wurde in der anschließenden Diskussion als Selbstdarsteller gescholten. Sein Vorgehen, ohne Einbeziehung der anderen Fraktionen seine Vorschläge öffentlich zu präsentieren, erntete heftige Kritik von SPD, Grüne, FDP und Bayernpartei. "Stillos" nannte SPD-Stadtrat Helmut Schmid den Umgang des Bürgermeisters mit den Kollegen aus der anderen Parteien. Schmid trug auch die gemeinsamen und teilweise recht detaillierten Änderungsanträge von SPD, Grünen, FDP und Bayernpartei vor, die unter anderem eine leicht veränderte Umsatzpacht vorsehen. Auch die Reservierungspraxis in den Zelten wird geringfügig geändert, am bisher reservierungsfreien Tag der Deutschen Einheit darf künftig wie an Sonntagen reserviert werden. Zustimmung fand auch Josef Schmids Vorschlag für eine "Spontanreservierung" mit einem Tag Vorlauf.

Wie viel kostet die Mass in Pilsen?

Erst im Jahr 2015 war Pilsen Kulturhauptstadt Europas, aber seien wir ehrlich: Bekannt ist die Stadt wegen ihrer Brauerei. Das Bier ist es, das viele vorwiegend junge Männer anzieht, sie fahren dann in Gruppen mit dem Zug nach Tschechien und nennen das Junggesellenabschied. In Pilsen verteilen sich zahlreiche Pubs um die St.-Bartholomäus-Kathedrale auf dem Platz der Republik herum, und die zu besuchen würde sich vielleicht auch für die Wiesnwirte lohnen - die Pubs, nicht die Kathedrale. So viel können die Wirte nämlich gar nicht trinken, wie ihnen da billig an Bier hinterher geschmissen wird: 60 Kronen die Mass, das sind nach aktuellem Umrechnungskurs 2,27 Euro. Es soll schon Junggesellen gegeben haben, die nach ihrer Rückkehr nach München ernsthaft überlegten, ihren Hauptwohnsitz zu verlagern.

Nairobi

Unter den afrikanischen Ländern gehörte Kenia lange zu den Ländern mit dem höchsten Bierkonsum. Es gibt keine Ecke des Landes, an der der Bier-Kühlschrank fehlt. Meist mit dem Logo des lustigen Elefanten der großen Tusker-Brauerei. Auf deren Flaschen prangt seit einigen Monaten der Aufdruck "140 Ksh", dieser gedeckelte Bierpreis verbietet es den Händlern, das Bier zu mehr als 140 Kenianischen Shilling zu verkaufen. Was verbraucherfreundlich klingt, soll Tusker nach einer saftigen Biersteuererhöhung vor weiteren Aufschlägen bewahren. Im Laden kostet der Liter umgerechnet 2,50 Euro, auf der Hotel-Dachterrasse werden daraus dann 6,40 Euro. So ist Bier ein bisschen in die Defensive geraten, weshalb ein Getränkehändler in Nairobi in seinem Laden die Vorteile auf einer Tafel zusammenfasst: "Bier gibt einem ein großartiges Gefühl". Prost.

Tokio

Bier wird in Japan mit umgerechnet fast zwei Euro pro Liter besteuert - das ist ein Drittel des Preises von 550 Yen für 350 Milliliter Lagerbier im Ushigen, dem koreanischen Grillrestaurant um die Ecke. Umgerechnet kostet der Liter somit 12,60 Euro; vielen Japanern ist das zu teuer, zumal ihre Löhne seit zwei Jahrzehnten stagnieren. Die Brauereien begannen deshalb in den 1990er-Jahren, Pseudobiere herzustellen. Die werden aber an der gesetzlichen Definition von Bier vorbei produziert und kommen ohne Malz aus. Japans Pseudobiere sind billig - und so schmecken sie auch. Sogar die Regierung hat das gemerkt, sie will das Steuergefälle reduzieren. Immerhin: Weißbier gilt in Japan nicht als Bier, es war deshalb stets billiger. Und Japans beste Biere, jene der Mikrobrauereien, sind so teuer, dass zwei Euro Steuer weniger ins Gewicht fallen.

Manaus

Das Helle schmeckt vorzüglich im bayerischen Biergarten von Manaus, es wird selbst gebraut mitten im größten Regenwald der Welt. Der brasilianische Schankwirt Walter Santos, der nach eigenen Angaben schon zweimal in Deutschland war ("München und Salzburg") nimmt umgerechnet fünf Euro für die Mass. Seinen deutschen Kunden indes empfiehlt er stolz eine Bierkarte für gehobene Ansprüche. Beste Importware! Die Manauser haben ein Faible für Importe, im 19. Jahrhundert haben sie mal eine ganze Oper einschiffen lassen. Walter Santos lässt heute Bitburger einfliegen. Auf der Getränkekarte steht: "Harmonisiert mit leichten Gerichten, weißem Fleisch und Salaten." Klar, dass diese Köstlichkeit ihren Preis hat. Santos nimmt acht Euro für 0,5 Liter Dosenbitburger. Dafür kriegt man im selben Biergarten drei Caipirinha.

Zeitweise nahm die Debatte gar leicht kabarettistische Züge an. Grünen-Stadträtin Lydia Dietrich mutmaßte, ob sich Bürgermeister Schmid mit seinem Konzept und insbesondere dem Bierpreisdeckel fühle "wie bei einer Fahrt mit dem Fünfer-Looping: Steil nach oben, steil nach unten, viele Kurven und dann die Unsicherheit, wo oben und unten ist." Zum Schluss stehe der Zug, es gehe nicht weiter. Dietrich: "Blöd gelaufen, Herr Schmid!" Brigitte Wolf (Linke) kritisierte, die Stadt habe weitaus wichtigere Themen als die Deckelung des Bierpreises. Deckel verschiedenster Art seien sehr viel dringender nötig, etwa beim MVV, bei den Mieten oder den Bodenpreisen. Die ganze Diskussion um die Wiesn sei letztlich "Ausdruck des Dauerwahlkampfs zwischen Reiter und Schmid".

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der die Vollversammlung wie immer leitete, hielt sich am Mittwoch jedoch aus der heftigen Debatte heraus, obwohl er dem Wiesn-Chef Schmid in den vergangenen Wochen immer mal wieder in die Parade gefahren war. Am Mittwoch jedoch schien Reiter geradezu demonstrativ über den Niederungen der Parteipolitik zu schweben.

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Quelle:
SZ vom 18.05.2017
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