Nach der Verhaftung des mutmaßlichen Kinderschänders:Der Fall Shanti wird zum Polizeiskandal

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Schon 1998 sagten Buben aus, der Mann habe sie sexuell missbraucht - das Verfahren wurde eingestellt.

Susi Wimmer

Die Pannen von Polizei und Justiz im Fall des mutmaßlichen Kinderschänders Ulrich Schulz, alias Oliver Shanti, weiten sich langsam zu einem handfestem Skandal aus: Wie jetzt bekannt wurde, lag der Polizei bereits im Jahr 1998 eine Anzeige gegen Schulz wegen sexuellen Missbrauchs von zwei Buben vor.

Die Quinta von Ulrich Schulz in Portugal: Hier gab er sich im Ort als Wohltäter. Nach Angaben seiner Opfer missbrauchte er dort auch einheimische Kinder. (Foto: N/A)

Minutiös schildern die Kinder darin, wie sie von dem Mann in München und Portugal missbraucht und vergewaltigt wurden. "Jeden Morgen hat Oliver ein oder zwei Jungen im Bett gehabt", berichteten sie in ihren Aussagen. Für die Staatsanwaltschaft München reichten diese Angaben offenbar nicht: Sie stellte das Ermittlungsverfahren gegen Schulz 1999 ein. Es ist heute davon auszugehen, dass Ulrich Schulz in den Folgejahren noch sehr viel mehr Kinder und Jugendliche zum Opfer fielen.

Die Ermittlungen gegen Ulrich Schulz waren, wie berichtet, erst im Jahr 2002 richtig ins Rollen gekommen. Damals hatten zwei Buben Anzeige gegen Schulz erstattet. Wie der Stern in seiner heutigen Ausgabe berichtet, lag der Polizei aber bereits 1998 eine Anzeige von zwei anderen Buben vor - mit frappierend ähnlichem Inhalt. Die Buben aus dem Norden von Deutschland waren in den Sommerferien 1990 von ihren Eltern zu Schulz nach München geschickt worden. Ulrich Schulz war für diese eine Art Guru, der ihnen eine alternative Lebensform anbot. Sie schickten ihre Kinder zu ihm während der Ferien, andere Minderjährige blieben gar für immer auf der Quinta von Schulz in Portugal.

"Kindergeld" für die Eltern

In München, so berichten die Buben, seien sie zu dritt auf einer Matratze am Boden gelegen, "weil in der Wohnung sehr wenig Platz war". In der Mitte habe "Oliver" gelegen. Dann schildern die Buben, wie er sich nacheinander an ihnen vergangen habe. "Sein Gestöhne und Geschnaufe hat mich abgestoßen, ich dachte, er stirbt gleich", erzählt einer. Auch Gegenwehr habe nichts genutzt: Oliver habe nicht lockergelassen, nachts stundenlang auf seine Opfer eingeredet, "teilweise böse". Am nächsten Tag habe es Geschenke gegeben. Die Eltern hätten ein so genanntes "Kindergeld" von Schulz/Shanti erhalten.

In Portugal sei es "jede Nacht passiert, oder morgens". Schulz habe seine Opfer, so sie nicht willig waren, beschimpft, "dann hat er mir alles weggenommen, was er mir gekauft hatte". Es seien auch Jungs aus dem Dorf in Vila Nova de Cerveira gekommen - die hätten ebenfalls zu "Oliver" ins Bett gemusst. Auch sei ein Junge Zeuge geworden, wie Ulrich Schulz seine "Mitbewohner" in Portugal geschlagen und beschimpft habe.

Trotzdem stellte die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 20. Juli 1999 das Ermittlungsverfahren gegen Ulrich Schulz ein. Oberstaatsanwalt Anton Winkler gab sich gestern nach erster Sichtung der Akten noch zurückhaltend. "Die beiden Opfer waren zum Tatzeitpunkt schon 14 Jahre alt, und ab diesem Alter ist sexueller Verkehr nicht mehr strafbar", sagte er. Außerdem sei es nicht nachzuweisen gewesen, dass Ulrich Schulz bei den Buben Gewalt angewendet habe. "Ein sexueller Missbrauch von Kindern lag angesichts der von dem Geschädigten benannten Tatjahre nicht vor", ist in dem Schreiben der Staatsanwaltschaft von 1999 zu lesen.

"Wir hoffen, dass sich noch weitere Opfer melden werden"

Tatsächlich allerdings war einer der Buben zum Tatzeitpunkt im Sommer 1990 erst 13 Jahre alt. Ferner steht in der Einstellungsbegründung, "der Beschuldigte hat sich zum Tatvorwurf nicht geäußert". Und: "Dass er offensichtlich unter Ausnutzung seiner Betreuerfunktion handelte, genügt für die Erfüllung des Tatbestands der sexuellen Nötigung nicht." Auch lassen die von den Geschädigten geschilderten Taten nicht zwingend den Schluss darauf zu, "dass der Beschuldigte wissentlich und willentlich bei seinen Taten Gewalt anwendete".

"Wir hoffen, dass sich noch weitere Opfer melden werden", sagte Oberstaatsanwalt Anton Winkler nach der Verhaftung von Ulrich Schulz am 27. Juni dieses Jahres in Lissabon. In den alten Polizeiakten finden sich diese Opfer bereits. Ob sie in dem bevorstehenden Prozess gegen Shanti aussagen werden, ist fraglich. Einer von ihnen wird jedenfalls nicht sprechen: Er starb im Alter von 26 Jahren an Alkohol- und Drogensucht.

© SZ vom 10.07.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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