Süddeutsche Zeitung

Nach der Bayern-Wahl:Verliert München an Bedeutung?

  • Bei der Landtagswahl haben alle Nicht-Regierungsparteien zusammen in der Stadt München 59,2 Prozent erreicht.
  • In der Stadt geht die Sorge um, dass dadurch das Interesse der Staatskanzlei an wichtigen Münchner Projekten zumindest nicht befeuert wird.
  • Aus der FDP kommt die Kritik, der Freistaat befasse sich zu intensiv mit Mittelfranken und speziell mit Nürnberg, der Heimat von CSU-Ministerpräsident Söder.

Von Dominik Hutter

Vielleicht schafft es die Frauenkirche noch zum Symbol für Opposition. Als Wahrzeichen der Stadt, in der die wahrscheinliche Regierungskoalition von CSU und Freien Wählern auf magere 30,9 Prozent kommt - übrigens weniger als die Grünen allein. Dazu kommen aber noch die Oppositionsparteien SPD, FDP und AfD. Alle Nicht-Regierenden zusammen haben in der Stadt satte 59,2 Prozent erreicht, viel Rückenwind aus München kann die neue Staatsregierung daher wohl nicht erwarten. Zwar weichen die Münchner Wahlergebnisse schon immer von den Durchschnittswerten auf Landesebene ab. So extrem wie diesmal ging es bislang aber nicht zu. In München-Mitte etwa erreichte die CSU nur 15,5 Prozent, und nicht einmal zusammen mit den Freien Wählern knackt sie die 20-Prozent-Marke. Und in der Stadt geht die Sorge um, dass dadurch das Interesse der Staatskanzlei an wichtigen Münchner Projekten zumindest nicht befeuert wird.

Tatsächlich haben die Freien Wähler (FW) im Wahlkampf unmissverständlich klargemacht, dass künftig mehr Geld aufs Land und an die Landwirte fließen soll. München, so beteuerten FW-Politiker immer wieder, werde davon auch profitieren, weil dies den Druck aus dem Kessel nehme. Ob diese These aufgeht, muss freilich offen bleiben. Der frisch gewählte FDP-Landtagsabgeordnete Wolfgang Heubisch etwa glaubt nicht, dass die Münchner dann in Scharen aufs Land umziehen und so der Wohnungsmarkt entlastet wird. Schließlich müssten ja auch die Familien mitspielen, und dann gehe es auch noch um Arbeitsplätze, für deren Erreichen nicht jeder gerne stundenlange Anfahrtszeiten in Kauf nimmt.

Was das Geld aus der Landeskasse angeht, beobachtet Heubisch schon seit einiger Zeit, wie intensiv sich der Freistaat mit Mittelfranken und speziell mit Nürnberg befasse, der Heimat von CSU-Ministerpräsident Markus Söder. "Und Hubert Aiwanger wird Niederbayern protegieren", sagt der frühere Wissenschaftsminister voraus - ob das letztlich den Fortschritt im Freistaat fördere, sei mehr als zweifelhaft. Schließlich trage die Landwirtschaft nur zwei bis maximal drei Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Heubisch hofft, dass die neue Prioritätensetzung nicht zu Lasten der Münchner Kulturinstitutionen geht.

Auch Florian Roth, der Fraktionschef der Grünen in Münchner Rathaus, hält verstärkte Geldflüsse in Richtung Land für möglich. Allerdings müsse dies nicht unbedingt zu Lasten der Großstadt gehen - da im Jahr 2020 Kommunalwahlen sind, sei es denkbar, dass einfach insgesamt mehr Geld ausgegeben wird. Zu Lasten des Staatshaushalts. Roth glaubt, dass die CSU bis 2020 unbedingt die Sympathie der Großstadtbewohner zurückgewinnen will. Und dass die Freien Wähler zwar klare Ansagen für eine verstärkte Förderung der Provinz gemacht haben. Die parteiinterne Nummer zwei, der Landtagsabgeordnete und Generalsekretär Michael Piazolo, sei aber aus München.

Der CSU-Abgeordnete Georg Eisenreich, von Söder kürzlich zum München-Beauftragten ernannt, weist Befürchtungen zurück, die aufmüpfige Landeshauptstadt könne benachteiligt werden. Die Staatsregierung sei für sämtliche Regionen Bayerns zuständig und nehme diese Verantwortung auch wahr, sagt er. "Das gilt für alle Ballungsräume genauso wie für den ländlichen Raum." Zudem gebe es ja nach wie vor "vier starke Persönlichkeiten" der CSU, die München im Landtag repräsentieren: Markus Blume etwa, den CSU-Generalsekretär, aber auch den bisherigen Bürgermeister Josef Schmid, Robert Brannekämper und natürlich Eisenreich selbst, der bislang Staatsminister für Digitales, Medien und Europa war.

Bislang stellte die CSU acht Abgeordnete aus der Landeshauptstadt. Die Partei hat bei der Mandatsverteilung in München besonders unter den Tücken des bayerischen Wahlsystems gelitten, in der fiktiven "Münchner Gruppe" der Landtagsabgeordneten ist sie klar unterrepräsentiert. Ein wenig verzerrt wirkt er schon, der Wählerwille in München: Fünf Abgeordnete der SPD entsendet die Landeshauptstadt in den neuen Landtag - und damit einen mehr als die CSU, die doch eigentlich doppelt so viele Stimmen errungen hat. Die Grünen kommen sogar auf acht Mandate aus München, obwohl sie keineswegs doppelt so stark abgeschnitten haben wie die Christsozialen. Alles in allem stellt München 22 von 205 Abgeordneten im Landtag.

Das Wahlrecht hat eben seine Tücken - auch wenn das bayerische System als vergleichsweise fair gilt, weil - anders als bei der Bundestagswahl - auch die Erststimmen unterlegener Direktkandidaten weiter gelten. Durch die Münchner Brille betrachtet, haben sich durch die Umrechnung der Stimmen in Mandate allerdings gravierende Veränderungen ergeben.

Günstige Konstellation verschafft Grünen schlagkräftige München-Fraktion

Bei der CSU war daran das landesweit gute Abschneiden bei den Erststimmen schuld: Die CSU hat mehr Direktmandate erhalten, als ihr nach Prozenten eigentlich zustehen. Dieses wird durch zusätzliche Mandate für andere Parteien ausgeglichen - es führte aber eben in der Folge auch dazu, dass bei den Christsozialen niemand mehr über die Liste nachrücken konnte. Womit der Partei in der Landeshauptstadt nur ihre vier siegreichen Direktkandidaten bleiben.

Dass etwa Münchens CSU-Chef Ludwig Spaenle nicht mehr im Landtag sitzt, liegt nicht am Zuspruch der Wähler insgesamt: 38 263 Gesamtstimmen kann Spaenle aufweisen, gut 6000 mehr als sein direkter Gegenkandidat Christian Hierneis von den Grünen. Nur: Spaenles Ergebnis setzt sich aus 14 089 Erst- und 24 174 Zweitstimmen zusammen, Hierneis dagegen hat 23 797 Erst- und 8326 Zweitstimmen. Ausschlaggebend war der Sieg im Stimmkreis, also die Erststimmen: Hierneis drin, Spaenle draußen.

Die SPD hingegen verfügte über das Personaltableau ihrer kompletten Liste, und weil Münchner Kandidaten wegen des größeren Wählerreservoirs (nur die Landeshauptstadt verfügt über neun Stimmkreise) gegenüber Bewerbern aus der Provinz im Vorteil sind, rutschten auf der Liste so viele Sozialdemokraten aus München nach vorn, dass sie in der neuen Landtagsfraktion fünf der sieben oberbayerischen Sitze beanspruchen können. Den Grünen verschaffte eine günstige Konstellation eine besonders schlagkräftige München-Fraktion: Fünf der insgesamt sechs grünen Direktmandate wurden an der Isar erkämpft. Dazu kommt ein landesweit gutes Ergebnis, von dem noch drei Listenkandidaten profitierten. So dass nun acht Grüne die Landeshauptstadt im Maximilianeum repräsentieren. Dazu kommen die drei FDP-ler Albert Duin, Wolfgang Heubisch und Julika Sandt sowie Michael Piazolo (Freie Wähler) und Uli Henkel (AfD).

Über den größten Zuspruch unter allen Münchner Kandidaten kann sich Katharina Schulze freuen: Mit 242 046 Gesamtstimmen aus ganz Bayern ist die grüne Spitzenkandidatin ganz klar der Superstar unter den Münchnern. Ihr Co-Spitzenmann Ludwig Hartmann kann "nur" 95 451 vorweisen, er hat dafür das bessere Ergebnis im eigenen Stimmkreis. Bei der CSU ist der scheidende Zweite Bürgermeister Josef Schmid Stimmenkönig: mit 48 642 Gesamtstimmen. Nummer zwei ist ausgerechnet Ludwig Spaenle, bei dem es trotzdem nicht für ein Mandat reicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4177597
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.10.2018/huy
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.