Süddeutsche Zeitung

Nach den Terrorwarnungen:"Wir sind in Lauerstellung"

Berlin, Hamburg, München - laut Sicherheitsbehörden ist dort die Anschlagsgefahr am größten. Doch die meisten Menschen nehmen es gelassen - auch wenn die schwerbewaffneten Polizisten nur stichprobenartig kontrollieren.

Katja Riedel

Für Stefan Leisz ist der Terror greifbar. Schließlich könnte es jederzeit passieren, dass er ihn auf seinen blauroten Gepäckwagen lädt, auf den er sich gerade aufstützt. Mit nachdenklichem Gesicht steht Leisz an Gleis 25 des Münchner Hauptbahnhofs. "Gepäckservice" ist auf seinen Blaumann gestickt. Seit zwei Jahren ist Leisz, 44, der Mann fürs Gepäck. Und wenn er an diesem Morgen zum Bahnhofseingang an der Arnulfstraße schaut, sieht er die Stadt durch metallene Raster.

Seit Mittwoch hat die Bundespolizei Rolltore heruntergelassen, um die Eingänge zu verengen, hat dort Beamte in schusssicheren Westen postiert, die schwerer bewaffnet sind als üblich. Sie sollen Reisenden, aber auch Menschen wie Stefan Leisz Sicherheit geben. Doch sicher fühlt der sich nicht, im Gegenteil. Seit Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Mittwoch vor einer akuten Bedrohung gewarnt hat und seit die Polizei sich so deutlich zeigt, ist auch Leisz verunsichert. "Ich mache mir schon Gedanken", sagt er. Wer wisse schon, was er da transportiere in den vielen Taschen und Koffern, die er jeden Tag auf seinen Gepäckwagen hievt. Wenn er ein herrenloses Gepäckstück sehe, sei er jedenfalls "sehr vorsichtig". Dass die Polizei ihn schützen könnte, glaubt er nicht.

Doch nicht viele Münchner sind so besorgt wie Leisz. Sie nehmen kaum Notiz von den Schwerbewaffneten, die paarweise durch die Bahnhofshalle patrouillieren. Auch Zivilstreifen sind unterwegs. Ein Lokführer wartet an Gleis 23 auf seinen Einsatz. Ob er Angst hat? "So schlimm ist es nicht", sagt er kurz und klingt ebenso gelassen wie die Mitarbeiter bei den Schließfächern. "Wenn ich zu Hause aus der Tür und über die Straße gehe, ist das gefährlicher", sagt einer von ihnen. "Wir sind aber schon in Lauerstellung", ein anderer.

Der Münchner Hauptbahnhof ist keine Festung. Während durch den Wareneingang Stapel von Paketen, Getränkekisten, Speisen angeliefert und in den Bahnhof gerollt werden, kontrollieren Polizisten einzelne Reisende. Es ist nicht mehr als eine Stichprobe: Ein Mann aus Nordafrika und seine Begleiterin müssen ihre Papiere vorzeigen, die Beamten prüfen die Identität des Mannes, dann darf das Paar weiter zum Zug. Währenddessen sind Dutzende Passanten an den Polizisten vorbeigezogen.

Terrorangst ist unter den Passanten am Donnerstag nicht zu spüren: Nicht in der U-Bahn im Berufsverkehr, nicht am Marienplatz, und auch nicht am Flughafen, wo in der Nacht zuvor um 0:40 Uhr 296 Passagiere eines Air-Berlin-Fluges aus dem namibischen Windhuk gelandet waren. Dort hatte die Polizei ein verdächtiges Gepäckstück aus dem Verkehr gezogen, das offenbar in den Flieger nach München verladen werden sollte. Beim Durchleuchten des Gepäckstücks seien Batterien sichtbar geworden, die laut Bundeskriminalamt über Kabel mit einem Zünder und einer laufenden Uhr verbunden waren, wohl auch mit einem Sprengsatz. Das BKA überprüfte noch in der Nacht die Passagiere.

Am Münchner Flughafen geht dennoch alles weitgehend seinen gewohnten Gang. Die Sicherheitsleute kontrollieren Reisende und ihr Handgepäck gründlich, aber nicht gründlicher als an normalen Tagen. Kein Hinweis warnt vor erhöhter Terrorgefahr. Ein einsamer Bildschirm zeigt Nachrichten des Senders N24, "Deutschland in Terrorangst", steht dort grell-orange geschrieben. Von den Reisenden dreht niemand den Kopf oder bleibt stehen. Täten sie es, sie würden hören, wie ein Experte sagt: "Die Gefahr, in Deutschland vom Blitz getroffen zu werden, ist größer, als Opfer eines Terroranschlages zu werden."

Flughafensicherheit ließe sich leicht verbessern

So würde das wohl auch Birgit Baier formulieren. Seit 20 Jahren arbeitet sie am Flughafen, sie sitzt am Service-Schalter in der Abflughalle des Terminals 1. "Ich habe keine Angst", sagt sie. "Wenn man die Zeitungen aufschlägt, ist alles voll von Krieg und Terror", sagt sie, "aber ich habe Vertrauen, dass nichts passiert." Dass die Polizei sich an Flughäfen und anderen Verkehrsknotenpunkten in den kommenden Wochen deutlicher zeigen will, gibt Baier keine Sicherheit. Wer einen Anschlag verüben wolle, der lasse sich davon nicht beeindrucken, glaubt sie.

Ähnlich sieht das auch Steffen Baumann. Genauso lange wie Baier arbeitet er am Flughafen, früher hat er Koffer verladen, jetzt kümmert er sich um Sperrgepäck. Für seine Arbeit brauche er eine gute Menschenkenntnis, sagt er; er wisse, bei welchen Gepäckstücken er genauer hinschauen müsse. "Man muss die Leute mit Vorsicht genießen." Die Sicherheit am Flughafen ließe sich indes leicht verbessern, findet er.

In Chiang Mai in Thailand hat er kürzlich erlebt, dass nur diejenigen in den Flughafen durften, die ein Ticket besaßen und die schon am Eingang ihr Gepäck durchleuchten ließen. Das würde er sich auch für München wünschen.

Der Mann und die Frau mit den dunkelblauen Overalls, den Schusswesten und umgehängten Maschinenpistolen sehen das naturgemäß anders. Sie ziehen ihre Runden durch die Schalterhalle, in der Baier und Baumann sitzen. Für die beiden Bundespolizisten ist der Einsatz Routine, sagen sie. "Es ist unsere Aufgabe und Arbeit, die Passagiere zu schützen", sagt der Mann. Niemand habe sie darauf angesprochen, dass sie an diesem Tag schwerer bewaffnet auftreten als üblich: "Die Leute sind einfach so mit sich selbst beschäftigt, dass es ihnen gar nicht auffällt."

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Quelle:
SZ vom 19.11.2010/bica
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