Nach dem Tod von Karl-Heinz Wildmoser:Münchner im Himmel

Ein Sturkopf von barocker Pracht: Karl-Heinz Wildmoser war ein wahres Münchner Original - wie Moshammer, Sedlmayr und Monaco Franze. Ein Typus, der vom Aussterben bedroht ist.

Christian Mayer

Um im alten Rom ein Original zu werden, eine Figur mit einem sicheren Platz im Gedächtnis künftiger Generationen, musste man ein Eroberer sein, ein Siegertyp mit der nötigen Kaltblütigkeit. Nur wem einmal in seinem Leben die Ehre zuteil wurde, im Triumphzug in die Stadt einzuziehen, hatte es geschafft.

Nach dem Tod von Karl-Heinz Wildmoser: Einer wie Rudolph Moshammer oder Helmut Fischer: Karl-Heinz Wildmoser.

Einer wie Rudolph Moshammer oder Helmut Fischer: Karl-Heinz Wildmoser.

(Foto: dpa)

Dies war der göttliche Augenblick: Wenn sich der Feldherr mit grotesk geschminktem Gesicht und Lorbeerkranz im Haar anschickte, an der Masse der johlenden Schaulustigen vorbei in die Stadt Rom einzufahren, auf dem Weg zum ewigen Ruhm.

Karl-Heinz Wildmoser war kein Caesar und kein Pompejus Magnus, aber ein Gastronom, der in München Geschichte geschrieben hat. Auch er hatte seine öffentlichen Triumphzüge, Momente, in denen er sich seiner Bedeutung gewiss sein konnte: Immer dann, wenn die Wirte des Oktoberfests am ersten Samstag von der Innenstadt zur Theresienwiese fuhren, saß auch der Herrscher der Hühner- und Entenbraterei in seiner festlich geschmückten Kutsche. Selbst als sein Ruhm als mächtiger Patron des TSV 1860 München längst verblasst war, konnte er sich bei solchen Gelegenheiten zu alter Größe aufplustern.

Er trug dann eine übergroße Weste aus Wildleder, schwenkte demonstrativ einen Maßkrug. Wildmoser lächelte wie der selige Aloisius Hingerl nach der dritten Maß - ein Münchner im Himmel. Das Volk, das hinter der Absperrung am Straßenrand stand, jubelte ihm zu, sofern es nicht zur speziellen Fraktion der Giesiger Wildmoser-Verächter zählte.

Er ist nicht mehr, der unberechenbare Lebemann, der es vom Pasinger Schankkellner zum Vorzeigewirt brachte und seinen Fußballverein erst zu glorreichen Höhen führte, um dann ein persönliches Fiasko zu erleben.

Ohne Übertreibung darf man behaupten, dass mit ihm ein echtes Münchner Original verschwindet: ein vollkommen unangepasster, zur Irrationalität neigender Sturkopf von barocker Pracht und Leibesfülle.

Wildmosers Aufstieg und Fall waren so wohl nur in München möglich, in einer Stadt, die ihre Prominenten gerne im Triumphzug über rote Teppiche oder ins Fußballstadion begleitet. Diese Selbstentblößung auf dem Boulevard hat vor ihm vielleicht am stärksten der Modehändler Rudolph Moshammer ausgelebt, der den Münchnern aus besseren Verhältnissen auch immer ein wenig peinlich war.

Ähnlich wie Wildmoser schien Moshammer gegen Ende seines Lebens aus der Zeit gefallen zu sein. Man lächelte über ihn und seine Auftritte, denn der selbsternannte Märchenkönig aus der Maximilianstraße war zuletzt nur noch eine touristische Sehenswürdigkeit, ein müder Abklatsch seiner selbst. Gleich nach seinem gewaltsamen Tod erklärten ihn die Medien dann in einer zynischen Kehrtwendung zum großen Münchner Original: Die Zeitungen widmeten ihm Serien und Sonderseiten, angebliche Freunde äußerten sich tief bestürzt, und als Moshammer dann auf dem Ostfriedhof zu Grabe getragen wurden, kannte die öffentliche Trauer keine Grenzen mehr - die Parallelen zum aktuellen Todesfall sind offensichtlich.

Mit Charme und Schlawinertum

Wildmoser zählte zu den letzten großen Vertretern des Münchner Eigensinns, außer ihm gibt es höchstens noch den quicklebendigen Richard Süßmeier, ebenfalls ein Wiesnwirt mit Geschichte. Charme und Schlawinertum, Unabhängigkeit und Unbedarftheit, dazu eine gewisse Hinterfotzigkeit und Hassliebe zur Heimatstadt, das zeichnet diesen Typus aus. Meist geht es Vertretern des Wildmosertums psychisch schlecht, wenn sie die Stadt einmal verlassen müssen. Münchner Originale sind nur in München originell, anderswo fehlt ihnen der Saft.

"Ich verreise ja eh nie - und wenn, dann ist der Anflug auf den Münchner Flughafen das Schönste", hat Karl-Heinz Wildmoser einmal gesagt. Helmut Fischer, der von vielen bis heute hochverehrte Monaco Franze, empfand das genauso; seine Heimat war Schwabing, sonst gab es nichts für den Volksschauspieler aus der Vorstadt. Die Rollen seines Lebens waren Münchner Casanovas, Münchner Kommissare, Münchner Melancholiker - bei dieser Festlegung ging es ihm ähnlich wie seinem Kollegen Walter Sedlmayr, der die gepflegte Variante des Münchnerischen verkörperte und nach seinem Tod sofort zum letzten Original erklärt wurde.

Der Typus Wildmoser ist vom Aussterben bedroht, weil in der Welt der Betriebswirte und Systemgastronomen ganz andere Werte zählen. Leute in verantwortungsvollen Posten müssen heute nach rationalen Regeln funktionieren; sie müssen global, nicht lokal denken; sie dürfen auch keine dicken Bäuche und roten Backen haben, und wenn, dann müssen sie diese geschickter kaschieren als der selige Aloisius oder der große Karl-Heinz.

Lautes Triumphgeheul oder anarchische Wutanfälle, ein Wesenszug, den Wiesnwirte und Fußballvereinspräsidenten teilen, sind höchstens noch bei bestellten Bierzeltrednern erlaubt. Wenn man als Politiker für einen Abend mal die Volksseele massieren will, ist das okay, es geht als Folklore durch. Wer es jedoch zu einer gewissen Bedeutung gebracht hat, engagiert einen Medienberater oder einen Pressesprecher, um in kritischen Situationen bloß nicht sofort ins offene Messer zu laufen.

Selbstbewusst und bodenständig

Dieses offene Messer hat Wildmoser, der eher selten auf Berater hörte, oft genug treffsicher angesteuert. Er neigte dann dazu, vor lauter Erregung sämtliche Vokale zu verschlucken oder Fremdworten, die aus seinem Munde tatsächlich fremdländisch klangen, eine völlig neue Bedeutung zu verleihen - im Youtube-Zeitalter sind solche Versprecher oft Anlass für anhaltenden Spott, deshalb sind ja alle so vorsichtig mit ihrer Wortwahl geworden.

Münchner Originale - das waren früher oft jene, die einfach nicht das Maul halten konnten. Eine Großspurigkeit im Auftreten, ein donnerndes Selbstbewusstsein, eine etwas derbe Sprache, aber gleichzeitig eine Bodenständigkeit, die bei den Leuten ankommt: Das zeichnete viele dominante Figuren der neueren Münchner Geschichte aus, die man im weitesten Sinne als barock bezeichnen muss.

Man kann gar nicht anders, als in diesem Zusammenhang auch an den Schwabinger Metzgerssohn Franz Josef Strauß zu denken. An den polternden, nicht den philosophierenden Strauß, an den bayerischen Volkstribunen, nicht den Bonner Machtpolitiker, an den Bierzeltredner, nicht den Intellektuellen, der seine Verwünschungen auf Lateinisch vortragen konnte. Strauß war einer, der sich nur in der Heimat absolut stilsicher fühlte, obwohl er immer nach Höherem strebte. Auch er lief gerne ins offene Messer, um danach über die Niedertracht seiner zahlreichen Gegner zu jammern. Nach dem Tod des großen Vorsitzenden war die Ära der barocken Instinktpolitiker endgültig vorbei.

Karl-Heinz Wildmoser war ein großer Fan von Strauß. Sicher kein Zufall.

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