Nach dem Tod von Christopher:"Zweimal fest geschüttelt"

Ein Jahr war der kleine Christopher alt, als er starb. Ausgerechnet das städtische Jugendamt hat die nun beschuldigte Tagesmutter an die Familie vermittelt.

Susi Wimmer und Sven Loerzer

Die 34-jährige Frau hat gestanden, sie sitzt in Untersuchungshaft, doch für die Eltern gibt es keinen Trost: Josef und Natalie Karl trauern um ihren 13 Monate alten Sohn Christopher.

Nach dem Tod von Christopher: Christopher ist an den Folgen eines Schütteltraumas gestorben.

Christopher ist an den Folgen eines Schütteltraumas gestorben.

(Foto: Foto: privat)

Das schreiende Baby wurde von seiner Tagesmutter so heftig geschüttelt, dass es an Hirnblutungen verstarb. Die Tagesmutter war auf Vermittlung des Münchner Jugendamtes zu dem Paar gekommen.

"Mein Leben ist wie ein Albtraum, der immer schlimmer wird." Natalie Karl weint. Ihr ist das Schlimmste widerfahren, was Eltern passieren kann: Sie und ihr Mann Josef mussten ihr Kind zu Grabe tragen, ihren Sohn Christopher.

Gerade mal ein Jahr war der blonde Bub alt, als er im Krankenhaus starb. Die Eltern können das Geschehene noch nicht fassen, nicht begreifen. Aber sie haben sich entschlossen, mit ihrer Geschichte an die Medien zu gehen: "Wir wollen eine klare Botschaft an die Politiker schicken", sagt die 29-jährige Natalie Karl. Und die lautet: "Schafft endlich mehr Krippenplätze. Und zwar jetzt!" Denn in einer Krippe, so sagt die junge Frau, da gebe es mehr Betreuungspersonal. Da wäre das, was mit ihrem Sohn passiert ist, "sicher nicht geschehen".

Im Juli 2007 kommt Christopher zur Welt: kerngesund und quietschfidel. "Unser Lebensinhalt", sagt die Mama. Nie habe das Paar ohne Christopher das Haus verlassen, nie seien sie abends weggegangen, "der Christopher war immer mit mir dabei", sagt die 29-Jährige.

Regelmäßig war sie beim Kinderarzt, zu den vorgeschriebenen Untersuchungen und auch sonst, "sobald er einen Schnupfen hatte". Beim ersten Kind, sagt sie, sei man halt so vorsichtig. Die Mietwohnung, so erzählt Josef Karl weiter, sei aber zu klein gewesen. Sie wollten sich eine Eigentumswohnung leisten, "mit einem eigenen Zimmer für Christopher". Und deshalb beschloss das Paar, dass Natalie mitarbeiten und Geld verdienen sollte.

Dann allerdings begann die zeitraubende Suche nach einer Kinderkrippe: Elf Bewerbungen schickte das Paar ab, Josef Karl nahm sich sogar Urlaub, um persönlich bei den Krippen vorzusprechen: "Nichts, überall nur Absagen. Da blieb uns nichts anderes übrig, als eine Tagesmutter zu nehmen." Dabei legte das Paar Wert darauf, eine "geschulte und qualifizierte Kraft", empfohlen vom Stadtjugendamt, zu engagieren.

"Zweimal fest geschüttelt"

Josef Karl hatte "kein so gutes Gefühl" bei der 34-jährigen Tagesmutter aus Untergiesing. "Sie hatte so eine Riesenkatze, die haarte. Und sie redete mit dem eigenen Kind irgendwie so lapidar." Auch habe man beim Besuch nur ein Zimmer der Wohnung anschauen dürfen. "Das war schon komisch", sagt er.

Seine Frau aber war begeistert: "Da war Sympathie da, es hat gefunkt. Ich fand die Frau nett und menschlich." Anfang September kommt Christopher erstmals zu der Tagesmutter, die noch mehrere Kinder betreut. "Ganz sanft" gewöhnt das Ehepaar sein Kleinkind an die neue Frau. Schließlich war es in der vierten Septemberwoche so weit, dass Christopher erstmals bei der Tagesmutter seinen Mittagsschlaf halten sollte.

Aber Christopher schrie zwei Stunden lang. Für die Tagesmutter offenbar ein Problem. Wie Richard Thiess von der Münchner Mordkommission sagt, haben sich die Nachbarn schon des Öfteren wegen Kindergeschrei beschwert. Offenbar kam da die 34-Jährige schon unter Druck.

Natalie Karl führt noch ein langes Gespräch mit der Tagesmutter: Und ob es sinnvoll sei, nicht doch im Zimmer zu warten, bis Christopher eingeschlafen sei und dann rauszugehen. Die Tagesmutter findet diese Idee nicht so gut. "Sie hat gesagt, sie streichelt den Kindern noch über den Kopf, macht Musik an und geht. Und das sei in Ordnung."

Es ist Donnerstag, der 25. September. Die Tagesmutter will Christopher mittags wieder hinlegen, doch das Kind quengelt und schreit. "Da hat sie das Kind zweimal fest geschüttelt", sagt Richard Thiess. Dann, so berichtete die Frau weiter in ihrer Vernehmung, sei Christopher still gewesen.

Natalie Karl ruft am Nachmittag noch bei der Tagesmutter an. "Da erzählte sie mir, Christopher habe eine halbe Stunde geschlafen, sei nach dem Aufwachen total erschöpft gewesen und habe dann wieder weitergeschlafen."

Auch das findet die Mutter merkwürdig. Sie setzt sich in die Trambahn, um ihren Sohn in Giesing abzuholen, da kommt der Anruf auf dem Handy: "Kommen Sie schnell, Christopher geht es nicht gut." Als die Tagesmutter das Kind wieder aus dem Bettchen nehmen wollte, hat sich Christopher übergeben.

Er wirkt apathisch. Als die Mutter an der Wohnung eintrifft, ist der Notarzt schon da. "Christopher lag da mit verdrehten Augen, verkrampften Armen. Schrecklich." Der Notarzt vermutet einen "fieberlosen Krampfanfall". Später, im Krankenhaus, kommt die Diagnose: massive Hirnblutungen. Christopher wird noch operiert. Zwei Tage später ist er tot.

"Die Polizei wurde zügig eingeschaltet, am 29. September haben wir die Tagesmutter festgenommen", so der stellvertretende Leiter der Mordkommission. Die Tagesmutter habe die Tat "schnell eingeräumt", der Richter erließ Haftbefehl wegen Körperverletzung mit Todesfolge. "Wir haben keine Erkenntnisse auf weitere Misshandlungen", sagt Richard Thiess.

"Wir möchten der Frau nichts antun", sagen die Eltern. Aber wie könne es sein, dass eine qualifizierte Tagesmutter nicht wisse, was passieren kann, wenn man ein Kind schüttelt? Warum hat sich eine Frau, die hauptberuflich Kinder betreut, nicht unter Kontrolle?

"Ich hatte ihn im Arm, als er starb"

Diese Fragen werden Josef und Natalie Karl wohl noch ein Leben lang beschäftigen. Für sie geht ihr persönlicher Albtraum weiter. "Ich habe Christopher gleich nach der Geburt im Arm gehalten, und ich hatte ihn im Arm, als er starb", sagt Natalie Karl.

Im Jugendamt herrscht Entsetzen. "Die Mitarbeiter sind sehr betroffen", sagt Jugendamtschefin Maria Kurz-Adam. Die Tragik besteht darin, dass die Bezirkssozialarbeiterin am Tag der Tat gegen 12.30 Uhr bei der Tagesmutter anrief, um, wie üblich, nachzufragen, wie es mit der Eingewöhnung des neu aufgenommenen Kindes laufe.

"Es geht gut, nur beim Einschlafen hat er noch leichte Schwierigkeiten", lautete die Antwort. Weder an diesem Tag noch bei Hausbesuchen seit Aufnahme der Tätigkeit als Pflegemutter Ende 2005 hätten sich Hinweise auf eine "massive Überforderung" oder gar Gewalt ergeben. Die Tagesmutter hatte die nötige Grundqualifikation für die Pflegeerlaubnis und auch die Aufbau-Unterrichtseinheiten besucht.

Gerüchte aus der Nachbarschaft, die Tagesmutter habe ein Alkoholproblem gehabt, will das Jugendamt nicht kennen. Beschwerden habe es zwar immer wieder gegeben, "aber das ist in diesem Bereich nicht unüblich", erläutert die Jugendamtsleiterin. Sie hätten sich zum Beispiel darauf bezogen, dass die Wohnung unaufgeräumt gewesen sei.

Andererseits sei aber auch die familiäre Atmosphäre gelobt worden. Die Tagesmutter habe sich immer sehr kooperativ gezeigt. Hinweise, die einen Entzug der Pflegeerlaubnis gerechtfertigt hätten, habe es nicht gegeben. Dennoch kündigte die Jugendamtschefin wegen des tragischen Falls an: "Wir werden unsere Verfahren noch einmal überprüfen und gegebenenfalls nachjustieren."

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