Mythos Franz Beckenbauer:Genug vom Kaiser

Franz Beckenbauer in der Werbung

Franz Beckenbauer wirbt als junger Fußballer für Tütensuppe.

(Foto: Screenshot: youtube)

Eine Ohrfeige und ihre dramatischen Folgen: Lichtgestalt Franz Beckenbauer und warum das junge Fußballtalent lieber zum FC Bayern als zum TSV 1860 ging. Eine Münchner Heldengeschichte - und wie es wirklich war.

Von Florian Fuchs

Die berühmte Watschn in der Karriere von Franz Beckenbauer kennen viele, von den Küssen und vom Bier wissen die wenigsten. Als Jugendlicher wollte Beckenbauer eigentlich wie alle anderen zum TSV 1860 wechseln, der größten Nummer damals im Münchner Fußball. Aber dann, als es in seinem letzten Spiel für seinen Jugendverein SC 1906 vor dem anvisierten Wechsel ausgerechnet gegen 1860 ging, verpasste ihm ein Gegner eine saftige Watschn.

Beckenbauer war so sauer, dass er sich kurzfristig anders entschied: Er ging zum FC Bayern. Wie er aber überhaupt zum Klubfußball gekommen ist, zu seinem Jugendverein SC 1906, beschreibt Beckenbauer in seinem Buch "Einer wie ich": Mit seinen Freunden hatte er solange gegen Büchsen und Bälle getreten, bis die Kumpels irgendwann lieber Mädchen küssten und Bier tranken. Als eines Nachts auch noch sein Bruder betrunken nach Hause kam, lag der kleine Franz im Bett und überlegte, mit wem er jetzt überhaupt noch kicken könnte. "Als ich morgens aufwachte, hatte ich eine Idee", schrieb Beckenbauer. Er meldete sich beim SC 1906 an.

Der Giesinger Traditionsverein war lange stolz darauf, des Kaisers Jugendklub zu sein. Im Vereinsheim neben dem berüchtigten Ascheplatz an der St.-Martin-Straße hingen bis vor fünf Jahren Fotos und andere Devotionalien von und über Franz Beckenbauer. Jeder gegnerische Verein, der hier antrat, bekam die Wucht dieses Vermächtnisses zu spüren. Dabei hat sich der SC 1906 dadurch immer ein bisschen kleiner gemacht, als er eigentlich ist: Nicht nur Beckenbauer nämlich, sondern auch der Nationalspieler und Sechzger Rudolf Steiner sowie Ludwig "Lotte" Goldbrunner, der in den Jahren 1933 bis 1940 ein paar Dutzend Länderspiele bestritt, sind Söhne des Vereins.

Zudem hatte der Klub in den Fünfzigern so viele Erfolge, dass man ihn neben dem FC Wacker, Bayern und 1860 auch außerhalb Münchens kannte. Zu Spielen kamen bis zu 4500 Zuschauer; sogar Sepp Herberger lud den Klub einmal zu einer Testpartie mit seiner Weltmeister-Nationalelf ein. Und die Erste Jugendmannschaft vollbrachte 1955 eine Sensation: Sie holte die Münchner Meisterschaft - im Finale gegen den FC Bayern.

Seine Heimspiele trug der SC lange auf einem Sandplatz aus, den die Sportpresse "Stadion rote Erde" taufte und der ein Teil der Giesinger Fußballgeschichte ist - unzählige Amateurfußballer haben sich hier die Knie aufgeschlagen. Erst 2008 wurde der Platz zu einer modernen Kunstrasenanlage ausgebaut. Zur gleichen Zeit nabelte sich der Verein auch von seinem berühmtesten Sohn ab: Der SC 1906 fusionierte mit dem FC Haidhausen zur SpVgg 1906 Haidhausen. Heute spielt der Klub in der Kreisliga und ist ganz gut aufgestellt, fürs nächste Jahr peilt Vorstand Tarek Saadeldeen den Aufstieg in die Bezirksliga an.

Fotos von Franz Beckenbauer aber hängen nicht mehr im Vereinsheim. "Wir wollten einen Neuanfang, deshalb haben wir ausgemistet", sagt Saadeldeen. "Außerdem hat der Beckenbauer nie etwas für diesen Verein getan." Einen gewissen Groll auf den Kaiser hegt der Vorstand deshalb schon, er hätte sich eine solche Unterstützung gewünscht, wie sie Philipp Lahm seinem Jugendverein FT Gern gewährt.

Aber wenigstens freut sich die SpVgg 1906 Haidhausen, den Spieß seit dem Abgang Beckenbauers vor Kurzem auch einmal umgedreht zu haben: Seit ein paar Monaten kickt im Verein ein neuer Spieler mit, er heißt Christian Saba - und kommt aus der Reserve des FC Bayern.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: