Süddeutsche Zeitung

Mylord:Marietta und die Schmetterlinge

In dem Plüschlokal Mylord in der Ickstattstraße haben Freddie Mercury, Franz Josef Strauß und Transvestiten rauschende Feste gefeiert. Manchmal ist es auch heute noch fast wie früher.

Lisa Sonnabend

Update: Leider hat das Mylord 2009 zugemacht.

Für Wirte grenzt es an eine Katastrophe, wenn den ganzen Abend über kein Gast kommt. Marietta stört das gerade gar nicht, sie schwelgt in Erinnerungen. Die Betreiberin des Lokals Mylord in der Ickstattstraße sitzt auf einem Stuhl und hat ein Gästebuch auf dem Schoß. Schauspieler Fritz Wepper und Siegfried Lowitz, Sänger Freddie Mercury, Klatschreporter Michael Graeter und Travestiestar Mary - alle sind sie im Mylord ein- und ausgegangen. Marietta, deren Nachnamen niemand kennt, hat sie fotografiert und sie durften sich mit einem Satz in ihrem Buch verewigen.

Seit 44 Jahren gibt es das Mylord - und immer schon hat es Marietta gehört. Als Balletttänzerin reiste sie einst um die Welt. "Wegen der Liebe bin ich eines Tages in München hängengeblieben und habe ein Lokal eröffnet", erzählt sie. Erst lag das Mylord in der Sternstraße im Lehel, nach ein paar Jahren folgte der Umzug ins Gärtnerplatzviertel. Die Stammgäste kamen mit. "Das Lokal war jeden Tag voll", sagt Marietta. Die wilden sechziger Jahre.

An diesem Abend geht es im Mylord ruhig zu. Nur ein Pärchen kommt hinein, um sich das Lokal anzusehen, das wie eine Mischung aus Wohnzimmer und Museum wirkt. Um die Tische stehen Plüschsofas und Stühle im englischen Landhausstil. An der Wand hängen Fotos von Gästen und Gemälde, die im Laufe der Jahre befreundete Künstler für Marietta gemalt haben. Darauf sind nackte Frauen, Transvestiten auf der Bühne oder blühende Landschaften.

In einer Ecke des Raumes lagern Kleidungsstücke, alte Bücher und ein kleiner Globus. "Flohmarkt" steht auf einem Pappschild geschrieben. Jeder Gast wird von Marietta praktisch gezwungen, sich vor dem Nachhausegehen auf ihrem Flohmarkt umzusehen.

Montags ist im Mylord "märchenhafter Singletreff", freitags "Treffpunkt für Transvestiten und andere Schmetterlinge" und sonntags "Kaffeeklatsch". Marietta bezeichnet das Mylord gerne als Nostalgie-Club oder das "etwas andere Lokal". Die 67-Jährige hat lange, blonde Haare, ihre Lippen sind rot geschminkt. Um den Hals trägt sie eine goldene Kette, auf der ihr Name steht. Sie raucht eine Zigarette nach der anderen.

Wenn Marietta an längst vergangene Nächte denkt, bekommt sie ein spitzbübiges Grinsen. "Alles von damals darf ich natürlich nicht verraten", sagt sie. Doch ein wenig plaudert die Wirtin. "Es war wie Hollywood bei uns." Die Gäste haben getanzt, getrunken und seien sich näher gekommen.

Queen-Sänger Freddie Mercury, der das Münchner Nachtleben liebte, schaute oft im Mylord vorbei. Den Regisseur Rainer Werner Fassbinder ließ Marietta nicht immer hinein. "Er durfte nur ins Mylord, wenn er kein Rauschgift genommen hatte", sagt die Wirtin. "Sonst hab ich sie woanders hingeschickt. Fassbinder war ein sehr trauriger Typ." Und Franz Josef Strauß sei oft hier gewesen und habe die hübschen Mädchen angeschaut.

Lesen Sie weiter: An manchen Abenden ist es im Mylord wie früher.

Auch Hildegard Kneef, Inge Meysel oder Heike Makatsch waren oft im Mylord. "Ich habe zu meinen 'normalen' Gästen gesagt: Lasst die Prominenten in Ruhe, die wollen hier relaxen und sich frei fühlen", erzählt Marietta. "Daran haben sie sich auch gehalten."

Marietta schlägt wieder ihr Gästebuch auf. Zu sehen ist eine junge Frau, die im Mylord steht und ein Getränk in der Hand hält. "Ein nettes Mädchen, sie war Callgirl", sagt die 67-Jährige und seufzt. "Eines Tages wurde sie ermordet. Was in diesem Buch für Schicksale drinstecken." Bei vielen hat Marietta neben die Gästebucheinträge die Todesanzeige geheftet. "Sie sind meistens viel zu früh gestorben."

Zwei Generationen, zwei Welten

Jeden Abend steht Marietta hinter dem Tresen, tagsüber geht sie einkaufen und putzt das Lokal. "Andere in meinem Alter sind ziemlich wunderlich geworden", sagt die Wirtin. "Die sitzen nur daheim rum, ich dagegen bleibe wegen meiner jungen Gäste immer auf dem neuesten Stand."

Der wilden alten Zeit trauert Marietta sicherlich nach, auch wenn sie es nicht zugeben mag. "Zwischen den sechziger Jahren und heute liegen Welten", sagt sie. Die jungen Leute seien viel ernster und spießiger geworden - dazu habe der Kapitalismus beigetragen. "Heute gehen sie doch nur noch aus, um cool und hübsch auszusehen."

Doch an manchen Abenden, wenn die Mischung im Mylord stimmt, ist es auch heute noch fast wie früher. Dann treffen sich hier wieder Prominente, Transvestiten und andere Nachtschwärmer. Marietta mittendrin. Einer erhebt sich irgendwann, setzt sich ans Klavier und beginnt zu spielen. Die Gäste tanzen, trinken und kommen sich näher.

Und als Gast bekommt man eine Ahnung davon, was der Satz bedeutet, den vor langer Zeit ein Gast Marietta ins Buch geschrieben hat: "Würde Gott eine Seele suchen, er würde sie hier finden."

Update: Leider hat das Mylord 2009 zugemacht.

Mylord, Ickstattstraße 2a, 80469 München, Telefon: 089/2604498, geöffnet täglich von 18 bis 2 Uhr, am Wochenende bis 3 Uhr.

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