Süddeutsche Zeitung

Größte Tarifreform seit 46 Jahren:MVV verabschiedet sich von allen Ringen

  • Von 9. Juni 2019 an gibt es das berüchtigte System aus Zonen und Ringen, an dem Fahrgäste in München regelmäßig verzweifelt sind, nicht mehr.
  • Stattdessen gelten sieben Tarifzonen, die sowohl für Dauertickets gelten als auch für Einzel- und Streifenkarten.
  • Ein Knackpunkt, der den Beschluss verzögert hatte, war das Monatsticket für die neue M-Zone. Es kostet fortan 59,90 statt bisher 79,10 Euro.

Von Andreas Schubert

Nach dem Treffen gab es Sekt: Die Gesellschafter des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds (MVV) haben am Freitag die größte Reform des MVV seit seiner Gründung 1972 beschlossen - nach drei Jahre währenden Debatten.

Vom 9. Juni 2019 an, also zum "kleinen Fahrplanwechsel", verschwindet das berüchtigte System aus Zonen und Ringen, an dem Fahrgäste regelmäßig verzweifelt sind. Stattdessen gelten sieben Tarifzonen, die sowohl für Dauertickets gelten als auch für Einzel- und Streifenkarten. In der neuen M-Zone, die weitestgehend dem heutigen Innenraum entspricht, aber um ein paar Gemeinden im Umland wie Aschheim, Karlsfeld und Oberhaching ergänzt wird, gibt es keine Tarifgrenzen mehr.

60 Orte werden anderen Tarifzonen zugeordnet

In den Landkreisen gelten Zeitkarten künftig für größere Gebiete. Etwa 60 Orte werden anderen Tarifzonen oder Übergangsbereichen zugeordnet, sodass Fahrten dorthin günstiger werden. Geschlossene Siedlungsstrukturen werden nicht mehr von Tarifgrenzen durchschnitten, wie es bisher etwa zwischen Dachau Bahnhof und den innerstädtischen Haltestellen der Kreisstadt der Fall ist.

Ein Knackpunkt, der den Beschluss zur großen Reform immer wieder verzögert hat, war das Monatsticket für die neue M-Zone. Dieses Monatsticket soll fortan 59,90 statt bisher 79,10 Euro kosten (alle neuen Preise unter Vorbehalt, da sie noch von der Regierung von Oberbayern genehmigt werden müssen). Im Abo zahlt man von nächstem Juni an bei jährlicher Einmalzahlung nur noch 47,20 Euro für den Monat.

Dafür ist es nicht mehr möglich, nur noch zwei oder drei Ringe zu kaufen. Für zwei Ringe kostet das Monatsticket aktuell noch 55,20 Euro, im Abo 43,50 (jährliche Einmalzahlung). Billiger wird zum Beispiel auch das Schülerticket für Jugendliche bis 15 Jahre, das für die M-Zone nur noch 41,90 Euro kosten wird statt wie bisher 55,40 Euro für vier Ringe. Und: Die Schüler und Auszubildenden dürfen künftig im gesamten Stadtgebiet mit ihrem Ticket fahren. Bisher galt es nur bis zur Schule oder zum Ausbildungsplatz.

Wohl in frühestens zwei Jahren soll es dann einen pauschalen, für alle Tarifzonen gültigen Ausbildungstarif geben.

Günster wird es für Bewohner einiger Umlandgemeinden

Günstiger wird es auch für Bewohner einiger Umlandgemeinden, da die Tarifgrenzen nun aufgeweicht wurden. Beispiel Vaterstetten: Hier müssen Fahrgäste bisher vier Streifen auf der Streifenkarte stempeln, wenn sie in die Stadt wollen. Das führt dazu, dass viele mit dem Auto zum Nachbarbahnhof Haar fuhren, da es von dort nur zwei Streifen kostet. Künftig wird nur noch ein zusätzlicher Streifen fällig.

Deutlich teurer werden im kommenden Jahr die Einzelfahrkarten. Eine Zone kostet künftig 3,30 Euro (statt 2,90), das Kinder-Einzelbillett 1,70 statt 1,40 Euro. Die Streifenkarte allerdings bleibt bei 14 Euro, ihr Kauf lohnt sich also künftig wieder mehr im Vergleich zum Kauf eines Einzeltickets. Das Sozialticket Isarcard S verteuert sich in der M-Zone um 70 Cent auf 30,70 Euro monatlich.

Neu ist die Regelung für das Seniorenticket, das künftig erst ab 65 Jahren erhältlich ist, dafür aber auch schon vor neun Uhr gelten soll (49 Euro pro Monat, im Abo bei jährlicher Zahlung 38,79 Euro). Alle weiteren künftigen Preise sind bereits im Internet unter mvv-muenchen.de/tarifreform abrufbar. Für den MVV-Geschäftsführer Alexander Freitag, der im Herbst von Bernd Rosenbusch, dem bisherigen Chef der Bayerischen Oberlandbahn, abgelöst wird, ist die Reform ein echter Durchbruch. "Wir bekommen nun das transparenteste Preissystem in Deutschland", sagte Freitag nach der Sitzung.

München habe nun die mit Abstand günstigsten Zeitkarten für Erwachsene im Vergleich der deutschen Großstadtverbünde. Auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und sein Stellvertreter Josef Schmid (CSU) zeigen sich erleichtert, dass sie gerade für die Münchner einen guten Abschluss erreicht haben.

"Wir haben heute gemeinsam eine Reform beschlossen, die allen Fahrgästen zugutekommt. Das Tarifsystem wird einfacher, klarer und bietet den Kunden mehr fürs Geld", sagte Reiter. Wie der OB lobte auch Schmid die Zusammenarbeit zwischen Stadt, Landräten und Freistaat. "Was lange währt, wird endlich gut", sagte der Ebersberger Landrat Robert Niedergesäß (CSU), Sprecher der Landkreise im Verbund. Auch er pries die Zusammenarbeit von Landeshauptstadt und Landkreisen, die zusammen mit dem Freistaat die MVV-Gesellschafter sind und die jeweils verschiedene Interessen durchsetzen wollten. So war bis zum Schluss die Finanzierung der M-Zone und des künftigen Sozialtickets ein Thema.

Hier erwarten die Experten des MVV ein künftiges Defizit von 34 Millionen Euro pro Jahr, das aber die Stadt zu drei Vierteln und die Landkreise zu einem Viertel ausgleichen. Allein das günstige M-Zonen-Ticket wird die Bilanz mit 15 Millionen Euro minus pro Jahr belasten. Niedergesäß sieht das allerdings gelassen, seine Rechnung und die der anderen Gesellschafter: Erstens habe der Freistaat zugesagt, dass er seine ÖPNV-Zuweisungen für die Landkreise um 45 Prozent erhöhen werde, zweitens könne sich wegen der seit Jahren steigenden Fahrgastzahlen und den nach der Reform zu erwartenden zusätzlichen MVV-Kunden das Defizit von selbst ausgleichen. Laut dem aktuellen Verbundbericht des MVV betrugen die Fahrgeldeinnahmen im vergangenen Jahr knapp 910 Millionen Euro. Im Jahr 2016 nahm der MVV 872 Millionen Euro ein - und mit weniger Fahrgästen ist angesichts der steigenden Bevölkerungszahlen im Raum München eher nicht zu rechnen. Ein Jahr nach der Reform, so Niedergesäß, werde man einen Kassensturz machen und dann weitersehen. Wichtig sei die sogenannte Revisionsklausel. Das heißt: Wenn die Reform nicht funktioniert, kann sie theoretisch auch wieder zurückgenommen werden.

Jetzt müssen der Reform noch der Münchner Stadtrat und die Kreistage zustimmen. Ist diese Formalie erledigt, sind aus Sicht des MVV "wichtige Weichen für die Mobilität von morgen" gestellt. Dass die Preise für Vielfahrer um bis zu ein Drittel sinken, soll mehr Leute zum Verzicht aufs Auto bewegen. Es solle sich lohnen, öfter "öffentlich" zu fahren, heißt es beim MVV. Was ebenso am Freitag beschlossen wurde, ist ein Modellversuch für einen Entfernungstarif, bei dem Kunden nach der tatsächlich zurückgelegten Strecke zahlen. Der soll 2019 mit bis zu 5000 Teilnehmern erprobt werden.

Dieses Jahr werden im Dezember übrigens die MVV-Preise erstmals seit Jahren nicht erhöht. Künftige Erhöhungen, so denn nötig, sollen dann nach einem festen Index erfolgen, in den zum Beispiel Lohnerhöhungen für Fahrpersonal oder steigende Energiepreise einbezogen werden.

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SZ vom 07.07.2018/jana
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