MVV-Tarife:Weißfahren oder schwarzärgern

Streifenkarten, Zonen, Ringe, Kontrolleure: Der öffentliche Nahverkehr in München ist eine reichlich komplizierte Angelegenheit - besonders für Flüchtlinge.Für sie gibt es nun spezielle Kurse. Unsere Autorin aus Uganda kennt das Problem und war auf einer Tour dabei

Von Lillian Ikulumet

Das Tarifsystem des Münchner Verkehrsverbunds (MVV) ist ja schon für Einheimische verwirrend genug. Noch viel mehr für Touristen oder Geflüchtete. Sie müssen sich mit Begriffen wie Streifen- oder Zeitkarten auseinandersetzen, mit Innen- und Außenraum - auch wenn sie kaum ein Wort Deutsch beherrschen. Der Verein Green City bietet nun Hilfe an, "München erfahren" heißt das Projekt. Eine solche Exkursion hat am Montag Lillian Ikulumet begleitet, die auf der Leute-Seite der SZ regelmäßig die Kolumne "Neue Heimat" schreibt.

Es war kalt, verwirrend und alles war fremd. Eines der ersten Dinge, mit denen man hier konfrontiert wird: Es gibt hier ein richtiges öffentliches Verkehrssystem. Viele Einheimische beschweren sich zwar gerne darüber, dass die Tram zu langsam ist und die Bahn zu oft Verspätung hat. Verglichen mit der Heimat aber ist es ein viel besseres Transportsystem.

Diese Geschichte erzählt der 21-jährige Afghane Zabiullah Saber, aber sie hätte genauso gut von mir selbst stammen können. Am Montagvormittag begegnen wir uns bei einer Exkursion der Umweltorganisation Green City, bei der wir in die hohe Kunst des U- und S-Bahnfahrens eingewiesen werden. Und nach mehr als fünf Jahren in München lässt sich sagen: Diesen Kurs hätte ich definitiv schon früher gebrauchen können. In einem fremden Land ist es mit dem öffentlichen Verkehr immer kompliziert. Besonders schwierig ist es aber, sich im Münchner System zurechtzufinden. Besonders, wenn man wie ich aus Uganda kommt, wo sich der öffentliche Verkehr auf klapprige Busse beschränkt. Zabiullah Saber lebt seit eineinhalb Jahren hier. Seine Freunde helfen dem Berufsschüler. Und doch sagt er: "Ich komme immer noch nicht hundertprozentig zurecht."

MVV-Tarife: "München erfahren" heißt das Projekt des Vereins Green City - hier die Exkursionsteilnehmer in der U-Bahn.

"München erfahren" heißt das Projekt des Vereins Green City - hier die Exkursionsteilnehmer in der U-Bahn.

(Foto: Catherina Hess)

Die Exkursion beginnt mit dem Theorieteil über die verschiedenen Transportmittel in München. Die Schüler bekommen Start- und Ziel-Haltestellen vorgegeben, die sie dann mit ihrem neuen Wissen finden müssen. Die Exkursionsleiterin Eva Maschino erklärt jeden einzelnen Schritt, auch wie man sich an der Ticketmaschine möglichst elegant aus der Affäre zieht. Wie man Ringe und Zonen kapiert, wann sich ein Gruppen- oder ein Wochenendticket lohnt. Für viele ist es auch eine Herausforderung, den richtigen Ausgang in der U-Bahn-Station zu finden.

Das Fahren selbst ist eigentlich nicht so kompliziert. Gefährlich wird es aber, wenn man nicht genau weiß, wie man zahlt, und vor allem: wie viel. Es gibt Ringe und Zonen, Zeiten, Alter und Richtungen. Welches Ticket gilt wofür? Diese Frage kann eigentlich nur verstehen, wer sich dieses System ausgedacht hat. Vieler derer, die bei der Exkursion dabei sind, berichten, dass sie sicherheitshalber ein teureres Ticket kaufen, weil sie sich nicht sicher sind, ob es für die Strecke reicht und weil sie sich vor den rustikalen Kontrolleuren fürchten.

Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Lillian Ikulumet, 36, arbeitete in Uganda für mehrere Zeitungen, bis sie 2010 flüchtete. Seit fünf Jahren lebt die Journalistin in München.

(Foto: Florian Peljak)

Manchen ist es auch schon passiert, dass sie zu wenige Streifen abgestempelt haben - und dann erwischt wurden. Das erzählen einige hier, einer meint, dass er deswegen lieber gar kein Ticket kaufe, weil es dann ja auch schon egal sei. "Ich frage meine Freunde immer, ob sie weiß- oder schwarzfahren", sagt Barry Abdourahmane aus Senegal. Der Begriff Schwarzfahren irritiert ihn, weil er etwas Negatives impliziert, für einen Verstoß steht. Warum ist das so, fragen sich einige, aber auf diese Frage habe ich noch keine Antwort gefunden. Interessant ist, dass es in vielen Ländern gar nicht möglich ist, schwarzzufahren. In Senegal, erzählt Barry Abdourahmane, da fährt man vor allem Bus, und wer hineinwill, muss dem Fahrer Bargeld geben, sonst lässt er einen sofort wieder aussteigen. Seit seiner Ankunft in München vor zwei Jahren fahre er immer weiß, sagt er. "Ich habe Angst, dass ich mein Asylverfahren torpediere, wenn ich mal zu stempeln vergesse", sagt er. Ganz abgesehen von den Kosten: 60 Euro, das muss man als Berufschüler auch erst einmal haben.

Es sind viele junge Leute bei dieser Exkursion dabei, Männer, aber auch ein paar Frauen. Die meisten erzählen von einer Schwierigkeit: Fast alles ist auf Deutsch, wenig auf Englisch. Ich erinnere mich an eine Erfahrung in meiner Anfangszeit in München an einem der Ticketschalter. Das Problem war, dass der Mann am Schalter genauso viel Englisch wie ich Deutsch konnte, nämlich gar nichts. Das hatte ich anders erwartet in einer internationalen Großstadt wie München, doch ich hatte mich getäuscht. Es half nichts, ich bat einige Passanten, mir zu helfen - nun hatte ich eine Fahrkarte, allerdings die falsche, was ich herausfand, als ich prompt von einem S-Bahn-Kontrolleur nach meinem Ticket gefragt wurde. Ehe ich es verstanden habe, kam in den ersten Monaten eine dreistellige Summe an Bußgeld bei mir zusammen.

Am Anfang ärgert man sich darüber, doch für mich war es mit eine Hauptmotivation dafür, die deutsche Sprache zu lernen. Wer sich in einem Land zurechtfinden will, der muss auch wissen, wie man dort die Bahn benutzt. Umso besser, wenn Neuankömmlinge durch einen Kurs wie diesen auf solche schmerzlichen und teuren Erfahrungen verzichten können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: