Mutter spielt für Jüdisches Zentrum:Hinterlassenschaften von humanistischer Bedeutung

Anne-Sophie Mutter ist einer der Prominenten, die bei der Finanzierung des Jüdischen zentrums mithalfen: Im Herkulessaal der Münchner Residenz gab sie ein Benefizkonzert, dessen Reinerlös für den Bau des Jüdischen Gemeinde- und Kulturzentrums am Jakobsplatz verwendet wird, in welches unter anderem ein musischer Kindergarten und ein Konzertsaal integriert werden sollen.

Egbert Tholl

Gemeinsam mit Stipendiaten ihrer Stiftung zur Förderung hochbegabter Nachwuchsstreicher und Mitgliedern des Orchesters Jakobsplatz spielt Mutter Bachs Doppelkonzert sowie Vivaldis "Vier Jahreszeiten".

Mutter spielt für Jüdisches Zentrum: Anne Sophie Mutter und Charlotte Knobloch beim Benefizkonzert.

Anne Sophie Mutter und Charlotte Knobloch beim Benefizkonzert.

(Foto: Foto: ahed)

SZ: Sie haben eine gewisse Erfahrung mit Benefizkonzerten. Ist dieses ein besonderes?

Mutter: Ich glaube, dieses Benefizkonzert leidet ein wenig unter der politischen Lage im Nahen Osten. Aber, um Ihre Frage zu beantworten: Jedes Benefizkonzert ist für mich etwas Besonderes, weil es sich immer um Themen handelt, die mir besonders am Herzen liegen, weil es Projekte sind, die ich versuche bis ins Detail mit zu steuern und mit zu tragen durch mein Engagement, das sich auch weit außerhalb des reinen Konzertierens bewegt. Das betrifft zum Beispiel das Suchen von Sponsoren. Herr Faltlhauser (als Finanzminister oberster Herr der bayerischen Schlösser, Anm. d. Red.) war ja unglaublich großzügig und hat uns sofort die Residenz überlassen, weil er an das Projekt glaubt. SZ: Das Konzert war Ihre Idee?

Mutter: Ursprünglich wollte man mich für das Ehrenkomitee gewinnen, was ich abgelehnt habe, weil ich nicht sehe, was für einen positiven Effekt das haben soll, wenn da noch ein Name auf der Liste steht.

SZ: Nun, es ist Ihr Name.

Mutter: Wen kümmert das? Es ist doch viel sinnvoller, ich gebe ein Konzert, und es kommen ein paar Euro zusammen.

SZ: Dennoch sah es für dieses Projekt zunächst gar nicht so gut aus.

Mutter: Es ist eines der Benefizkonzerte, die vor dem Hintergrund der politischen Situation ganz offensichtlich gemischte Gefühle hervorrufen. Ich bin der Meinung, man muss dieses Benefizkonzert wie so viele andere auch völlig losgelöst von der Politik sehen.

SZ: Das Bizarre daran ist ja, dass der Trugschluss naheliegt, die jüdische Gemeinde in München und der Staat Israel seien in ihrer politischen Ausrichtung deckungsgleich, was sie wohl kaum sind.

Mutter: Ganz sicher nicht. Und unser Projekt in München hat mit deutscher Vergangenheitsbewältigung, mit deutscher Geschichte zu tun; damit, dass wir erst nach einem Menschenleben die Hauptsynagoge in München wieder aufbauen. Es hat damit zu tun, dass eine neue Generation von Kindern auch immer die Hoffnung in sich trägt, dass alles anders werden kann, dass man die Dinge mit unbelasteten Augen sieht.

SZ: So unbelastet etwa, dass jüdische Kinder mit Kindern anderer Glaubensrichtungen zusammen Musik machen.

Mutter: Die Symbolik, die dahinter steckt, wenn Mitglieder des Jakobsplatz-Orchesters und meine Stipendiaten, die ja auch aus aller Herren Länder kommen und den unterschiedlichsten Konfessionen angehören, zusammen musizieren, ist ja nicht zu übersehen. Ich glaube, es ist so eine Art Versuch im Sinne des West-Eastern-Divan-Orchestra von Daniel Barenboim, der ja auch unser Schirmherr ist: eine Brücke zu schlagen, die natürlich in der Hauptsache mit deutscher Vergangenheitsbewältigung zu tun hat, die aber einfach das Medium Musik als verbindende Kraft in den Vordergrund stellt. Der musische Kindergarten wird allen Konfessionen offenstehen, wie das ganze Zentrum am Jakobsplatz eine Begegnungsstätte werden wird.

SZ: Was das derzeitige Zentrum in der Reichenbachstraße, aus historischen, sicherheitspolitischen und anderen Gründen nicht leisten kann.

Mutter: Wir leben ja immer für die nächste Generation. Es ist mein Bemühen, in meinem Leben als Musikerin, besonders in den Benefizprojekten, für die nächste Generation etwas zu schaffen, was von humanistischer Wichtigkeit ist und einen guten Gedanken pflanzt, so dass wir aus einer eingefahrenen Denkweise in eine globalere zurückkehren und einfach den Nächsten in seinen Bedürfnissen auch sehen und in seinem Menschsein wahrnehmen. Es kann durchaus gelingen, dass wir in einem Jahrzehnt ganz anders über das Miteinander der Konfessionen denken dank eines Zentrums der Begegnung am Jakobsplatz. SZ: Das ist doch letztlich die Idee hinter dem musischen Kindergarten. Es geht dabei doch nicht allein darum, dass Kinder mit fünf Jahren ein Musikinstrument in die Hand nehmen.

Mutter: Das wäre aber auch schon ein großer Schritt.

SZ: Der weiter geht. Die Beschäftigung mit Musik steht ja nicht für sich allein.

Mutter: Nein, nein. Die Beschäftigung mit Musik fördert soziale Kompetenz, ist Basis des spielerischen Lernens, aber auch Basis einer Lebensschulung, die auf Dialog, auf Zuhören hinausläuft und darauf, eine Gruppe inspirieren, mitreißen zu können.

SZ: Ist der Kindergarten auch ein Labor für die Ideen, mit denen Sie seit zwei Jahren das bayerische Kultusministerium erfolgreich unterwandern, nämlich Ihr inzwischen angewandtes Konzept für musischen Unterricht in Kindergärten?

Mutter: Es ist kein Labor, weil wir keine Experimente durchführen. Ich weiß ganz genau, wie es funktionieren kann, und ich glaube, mit gut ausgebildeten Kindergärtnerinnen ist es möglich, und ich hoffe, dass es uns am Jakobsplatz gelingen wird, einen musischen Kindergarten auf die Beine zu stellen, der weniger von endlosen Kompromissen und überflüssiger Überhäufung des Lernmaterials geprägt ist.

SZ: Barenboims Engagement für sein Orchester aus israelischen und arabischen Jugendlichen hat einen deutlich persönlichen Hintergrund. Gibt es den bei Ihnen auch?

Mutter: Zum einen hat mein Engagement für dieses Benefizkonzert mit der schulischen Vergangenheit meiner Kinder zu tun, die den Sinai-Kindergarten und die -Grundschule besucht haben, die dort sehr vieles fürs Leben gelernt haben, eine andere Kultur kennenlernten. Und diese Kultur hat in meinem Leben immer eine wichtige Rolle gespielt. Da kommt gleich der Gedanke an Yehudi Menuhin auf, wegen dem ich, sehr wahrscheinlich, überhaupt das Geigespielen angefangen habe. Seine Aufnahme mit Beethovens Violinkonzert war sicher eine Initialzündung, als ich ganz klein war.

SZ: In diesem Alter, auch als Sie ihn als Teenager kennenlernten, ist einem vollkommen egal, welcher Konfession das Gegenüber angehört.

Mutter: Total. Als Musiker spielt ja Alter, Geschlecht, Konfession keine Rolle. Entweder, du verstehst die Sprache der Musik und kommunizierst auf dieser Ebene, oder es funktioniert nicht. Mit äußeren Umständen hat das nichts zu tun. Bei Menuhin kommt dazu, dass mich irgendwann seine humanistische Arbeit fasziniert hat, vielleicht sogar die letzten Jahre mehr als seine geigerische Entwicklung. Aber das war früh schon so. Denken Sie an Menuhins Besuch in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich kenne niemanden aus der Generation, der nicht heute noch mit Tränen der Dankbarkeit in den Augen davon erzählt. Das war schon eine enorme Geste. SZ: Vielleicht umgekehrt vergleichbar mit Brandts Kniefall in Warschau.

Mutter: Ja. Aber Menuhin klang schöner. Und Musiker verfolgen keine politischen Ziele, sondern humanistische.

SZ: Wie Sie in der Vollendung Ihres Mozart-Projekts, den gerade erschienenen vier CDs mit Violinsonaten, einen sehr humanen Erzählgestus betonen. Für Mutter-Verhältnisse sozusagen klingen diese erstaunlich zurückgenommen.

Mutter: Na, das klingt ja toll. Aber Sie haben schon recht. Mozarts Musik hat gerade in den Sonaten etwas sehr Erzählendes, unmittelbar Sprechendes. Diese Musik lebt von der Intimität.

SZ: Die hier aber enorm ist.

Mutter: Tja, vielleicht ist das der Alterungsprozess. Die Altersweisheit segnet mich vielleicht früh.

SZ: Vor einem dreiviertel Jahr stritten Sie die noch im Gespräch ab.

Mutter: Inzwischen bin ich 43. Das macht einen Riesenunterschied.

SZ: Ist das Mozart-Projekt beendet?

Mutter: Ich konzertiere zwar weiter mit meinem Klavierpartner Lambert Orkis, aber in ihrer Geschlossenheit, 15, 16 Sonaten an drei Abenden, werde ich sie mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit in meinem Leben nie wieder spielen.

SZ: Und was kommt jetzt?

Mutter: Jetzt wende ich mich Sofia Gubaidulinas Violinkonzert zu, von dem ich täglich erwarte, dass Seiten davon ins Haus flattern.

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